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Mit einer Befreiung fängt alles an. Wie Vieh waren die Kinder Israels in Ägypten behandelt worden. Indem man ihre Säuglinge umbrachte, wollte man ihnen allen an den Kragen. Zwei mutige Hebammen, Schifra und Pua, leisteten erfolgreich Widerstand. Das Volk wuchs, endlich gelang ihm die Flucht. Geschunden flohen sie, schwer bewaffnete Soldaten verfolgten sie auf Pferden. An einem Schilfmeer geschah ein Wunder: Gott ließ die Gejagten trockenen Fußes ans andere Ufer gelangen und ertränkte Ross und Reiter der Verfolger. Mirjam rief die Frauen zusammen und zog mit ihnen vor das Lager. Mit Liedern und Tanz lobten sie Gottes Rettungstat. Sie waren voller Hoffnung. Die Reise ging weiter. Aus einer Flucht wurde eine endlose Wanderung. Die erste Generation alterte. Mirjam, die weise Frau, die Gott in ihren Liedern den Namen Hoffnung gab und deren Worte Verzagte zu trösten verstanden, starb. Sie wurde begraben.
Christiane Thiel
Wir wissen wenig über Mirjam. Oft soll sie nur die Schwester des großen Anführers gewesen sein. Der Prophet Micha nennt sie Aaron und Mose ebenbürtig.
Dann stirbt auch Aaron. Das Schilfmeerwunder ist lange her. Seit Mirjams Tod singen die Frauen nicht, und die Hoffnung verstummt. Eine ungewisse Zukunft macht für Verklärungen der Vergangenheit empfänglich. Die Befreiten vergessen nur zu gern die Ketten und sehnen sich nach den klaren Verhältnissen der Diktatur zurück.
Es fehlen die, die Mut machen
Auf dem Weg begegnen ihnen andere Menschen, Sitten, Kulturen und Götter. Es kommt zu Konflikten. Es gibt Kriegstote zu beklagen, erschlagene Kinder. Gewalt zerstört und zermürbt. Irrtümer und Schuld belasten die, deren Flucht einmal eine Befreiung war und die jetzt die Zukunft fürchten. Das Wasser ist knapp. Alles hängt ihnen zum Hals raus. Mose und Gott werden beschuldigt und angeklagt. Es fehlen die, die Mut machen. Mirjam fehlt. Es fehlen die tanzenden Frauen und ihre Lieder vom guten Leben. Auch die Geschichten über Gottes Zärtlichkeit fehlen. Die Zeiten des Kampfes und die Dominanz der Männerkrieger haben den mütterlichen Gott vergessen gemacht.
In dieser Situation kommen die Schlangen. Ihre Bisse brennen. Viele Menschen sterben. Wieder der Tod. Das schmerzt und verdirbt den Geschmack des Lebens. Sind die Schlangen eine Strafe, wie immer wieder behauptet wird? Nein. Die Geschichte betont nicht Gottes Strafe, sondern erinnert an die von Gott angestoßenen Veränderungen. Die Schlangenbisse brennen wie Feuer.
Seit Menschengedenken sind Schlangen Begleiterinnen der Gottheit, Symbole der weiblichen Seite Gottes. In Zeiten der Gewalt und Angst bringen sie die falsche Reduzierung Gottes auf einen Krieger und Helden zum Schmelzen.
Qedeschet, die weibliche Seite Gottes
Der unter der Alleinherrschaft der Männer kalt gewordene Gott taut auf. Ich stelle mir vor, dass die Frauen mit ihren Töchtern zum Tanz ziehen und die alten Lieder anstimmen, die Gott erinnern: Du bist ein naher Gott. Du kannst Wasser des Lebens sein, Weisheit und Heilung. Und schon ruft Gott selbst nach der Schlange auf der Stange. Mose stellt das Bild der Göttin her. Wir wissen aus altägyptisch-palästinensischen Quellen, dass sie Qedeschet heißt: eine weibliche Seite Gottes, von jeher geliebt und verehrt. Eine Gottheit der Frauen, des Lebens, der Geburt.
Ein Gewinn für das Leben. Jetzt müssen sie nicht mehr sterben, wenn die Schlangen sie beißen. Sie können hinaufsehen und den Blick erheben. Die neue Haltung gibt ihnen die Würde ihrer Befreiung wieder.
Da brachen sie auf von dem Berge Hor in Richtung auf das Schilfmeer, um das Land der Edomiter zu umgehen. Und das Volke wurde verdrossen auf dem Wege und redete wider Gott und wider Mose: Warum habt ihr uns aus Ägypten geführt, dass wir sterben in der Wüste? Denn es ist kein Brot noch kein Wasser hier, und uns ekelt vor dieser mageren Speise. Da sandte der Herr feurige Schlangen unter das Volk...