Anfänge - Ich habe Angst um den Planeten
Anfänge - Ich habe Angst um den Planeten
Anne Schönharting
"Ich habe Angst um den Planeten"
Die Angst trieb Henrike Lindemann an, aber heute will die einstige Klima-Aktivistin mehr aus Liebe handeln.
Anke LübbertPR
18.12.2018

Henrike Lindemann:

Klimawandel war immer mein großes ­Thema, schon in der Abiturzeit stieg ich in die Umweltszene ein. 2009, da war ich 28 und hatte mein Jurastudium abgeschlossen, war die UN-Klimakonferenz in Kopenhagen. Wir Aktivisten reisten als 
"Klimapiraten" auf einem Segelschiff an. Als Piraten verkleidet konnten wir mit vielen anderen jungen Leuten wild und entschlossen auftreten, Minister duzen und ­Bilder liefern, mit denen wir es in die Medien schafften. Ich 
fand, ich bin das den nachfolgenden Generationen schuldig.

Ich war euphorisch. Dem Druck der Zivilgesellschaft würden sich die Politiker dieses Mal nicht entziehen 
können. Dann wurde mehr und mehr klar, dass diese UN-
Konferenz nicht die Wende einläuten würde, dass auch die Großdemonstration nichts nützen würde. Da brach mir der Boden unter den Füßen weg.

"Dann hatten wir alle eine Glatze"

Als Zeichen für unsere Enttäuschung, Trauer und Wut haben wir uns öffentlich vor dem Konferenzgebäude die Haare scheren lassen. Es war mehrere Grad unter null. Wir saßen auf ­Hockern, die Haare sind im Wind davongeweht. Dann hatten wir alle eine Glatze. Als ich während der Scher­aktion von einer Radiojournalistin interviewt wurde, bin ich in Tränen ausgebrochen. Jeder von uns hatte ein ­Pappschild vor sich, auf meinem stand "als Ausdruck ­meiner Sprach- und Fassungslosigkeit".

Als wir nach Deutschland zurücksegelten, bei minus 13 Grad, mit drei Mützen übereinander, hatte ich ­Henrike, die Aktivistin, in Kopenhagen gelassen. Ein Abschnitt meines Lebens war zu Ende, das wurde mir später klar. Auf der Rückfahrt versuchten wir erst einmal, Abstand zu gewinnen, wir sangen in den Starkwind hinein 
"Es ist ein Ros entsprungen" und backten Weihnachts­kekse – es war schließlich Dezember.

Was kann den Wandel bringen, wenn es solche ­Konferenzen nicht schaffen? Das überlegten wir erst, als wir wieder in Berlin waren. Wie wir weitermachen, hat dann jeder für sich beantwortet. Für mich war das Aktivistending aufgeladen mit negativen Gefühlen. Wir hatten oft starke Feindbilder: die Wirtschaftsbosse, bestimmte ­Politiker. Und Antrieb für unsere Aktionen war die Angst vor dem Klimakollaps.

Von einem Freund habe ich gelernt: "Hinter jeder Angst steckt auch eine große Liebe." Ja, ich habe Angst um den Planeten, weil ich ihn und das Leben darauf so liebe. Ich nahm mir vor, künftig mehr aus Liebe als aus Angst zu handeln.
Das habe ich richtig eingeübt: Einmal war an meinem Geburtstag eine große Demo in Berlin. Anti-Kohle, Anti-
Atom, Anti-Fracking. Es wurden Särge herumgetragen, die Stimmung war düster. Ich aber hatte 20 große Herzluftballons gekauft und sie meinen Freunden geschenkt mit der Bitte, draufzuschreiben, was sie lieben und was vom Klimawandel bedroht ist. Wir liefen dann mit ­Ballons durch die Stadt, auf denen groß "Berggorillas" oder "Alpenkräuter" stand. Wir hatten einen schönen Herzchenblock in der sonst eher schwarzen Demo.

Ich habe für verschiedene Organisationen gearbeitet, aber auch mit Freunden eine eigene gegründet, "Impuls – die Agentur für angewandte Utopien". Unsere Idee: Wenn der Wandel nicht aus der Politik kommt, muss er von ­innen, aus der Gesellschaft kommen. Diesen Wandel ­wollen wir selber einüben und begleiten. Dabei versuchen wir auch, Feindbilder hinter uns zu lassen.

"Ich bin gelassener geworden"

Ein Beispiel ist unser Zuhörprojekt. Da stellen wir uns auf die Straße mit Schildern, auf denen steht: "Ich höre zu." Was dann passiert, ist unglaublich. Die Offenheit, sich auf wirklich jeden Menschen mit Interesse einzulassen, verändert unsere Sicht – auf den Platz, auf den Moment und manchmal sogar auf uns selbst.

Ich bin auf jeden Fall gelassener geworden, schaffe es meistens, die ganz großen Ängste in Liebe und Hoffnung umzuwandeln. Und ich habe ein Baby. Ich habe lange nicht gewagt, Kinder zu bekommen.

Nun ist der Gipfel bald zehn Jahre her, und der Klima­wandel ist nach wie vor wohl unser dringendstes ­Problem. Die Frage, was den Wandel bringt, beschäftigt mich noch immer. Wie wäre es, wenn die ganze Gesellschaft mehr aus Liebe handeln würde als aus Angst?

Protokoll: Anke Lübbert

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Die größte Naturkatastrophe, die wir jährlich erleben, ist der Winter. Kein Witz!

Pflanzen werfen ihre Blätter ab, fallen in einen dem Koma ähnlichen Zustand, stellen die Arbeit ein. Im nächsten Frühjahr müssen sie Blätter erneut erzeugen. Mühselig. Ein ineffizentes Hin und Her, den widrigen Umständen geschuldet. Tieren geht es draußen kaum besser. Sie halten notgedrungen Winterschlaf oder Winterruhe. Vögel und andere Tiere finden kaum Futter, viele verhungern. Wenn das keine Naturkatastrophe ist!

Ackerbau kommt zum Erliegen. Was unwortverdächtig als „Erholung“ der Ackerscholle bezeichnet wird, ist schlichte Notlage.

Was kostet uns die Katastrophe, die wir undramatisch Winter nennen? Fangen wir mit dem Heizen an, ohne das wir erfrieren würden. Unsere Klimazone ist sowieso nicht für uns geeignet, wie der Mensch von Natur aus auf die Welt kommt. Die Kosten für den Brennstoff sehen wir auf dem Bankkonto. Aber vorher müssen Heizungsanlagen in die Häuser eingebaut sein sowie Platz für die Lagerung von Brennstoff, weswegen weniger Platz für anderes übrig bleibt. Und die Haus-Wärmedämmung! Dann noch die jährliche Heizungsinspektion, Kaminfeger, behördliche Auflagen… Alles kostet!

Die Straßen. Sie müssen vom Schnee geräumt werden. Zweimal im Jahr müssen die Reifen gewechselt werden, einmal Sommer, einmal Winter. Gefährlich bleibt es trotzdem besonders im Winter bei Glätte. Mehr Unfälle mit Personen- und Blechschäden, Massenkarambolagen. Streusalz nagt an Unterböden und Karosserie, ökologisch präferierte Streumittel wie Stein-Split machen den Unterbodenschutz kaputt. Besonders wirksam, wenn man anschließend auf Streusalz fährt.

Da sind die kommunal betriebenen Freibäder, die im Winter unproduktiv in der Gegend herumstehen und dem Stadtkämmerer nichts von der Schuldenlast nehmen können, fast schon Nebensache. Auch städtische Parks sind ungemütlich bis unbenutzbar. Wer will den Schnee auf den Bänken schon mit seinem Gesäß auftauen?

Sicherlich ist hier noch nicht alles aufgeschrieben, warum der Winter eine Katastrophe ist – gefährlich für Mensch, Flora und Fauna. Immer eine kleine Eiszeit. Das Klima ist einfach zu kalt.

Dies sollte auch ein Hinweis sein, wie sehr sich unnatürlich naturkonservierende Politik und politisierende Religion vom praktischen Alltag aber auch vom Verständnis der Natur entfernt haben. Wer die Natur konservieren will, handelt ihr zuwider. Er tut etwas, das die Natur allein nie getan hätte.

Man sollte Angst vor Führern haben, die den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen, sich dafür in ein anderes Katastrophenszenario hineinsteigern, das nur auf unsicheren Langzeitprognosen über das sehr komplexe, kaum korrekt zu erfassende Klimageschehen beruht… und damit Angst machen wollen. Angst lähmt. Wir sollen in Angst erstarren und das nüchterne Denken beenden. Soll das menschlich sein, gar Religion? Oder doch das, wonach es aussieht, nämlich ein Einsperren der lebendigen Menschheit -und- der Natur?

Ist es die Polarisation, die Aufwiegelung und den Streit wert, die immer aggressiveren Demonstrationen zu Ungunsten der Schulbildung bei gleichzeitgem Dünkel des perfekten Klimawissens, das man den Jugendlichen eingetrichtert hat, und daraus resultierender, eindimensionaler, ergo vermeintlicher moralischer Überlegenheit aus reduziertem Natur- und Lebensverständnis – während in Wirklichkeit kein akutes Problem vorliegt, das Sofortmaßnahmen unerlässlich macht?

Was machen wir eigentlich, wenn uns die Sonne, sagen wir in 30 oder 50 Jahren, unvorhersehbar eine abnehmende Energiemenge liefert? Heizen wir dann die Atmosphäre künstlich, damit das Klima sich nicht ändert? Und welchen Sinn macht heutiger Klimaaktionismus unter dieser unbekannten Voraussetzung?

Nur ein Tipp: Man kann sich auch eine andere Beschäftigung suchen, wo man nicht letztlich unnötig an Menschen herumpfriemelt.