Christa C., 67
Als ich noch berufstätig war, verwechselte ich immer häufiger Termine. Zu Hause musste mich mein Mann öfter an Kleinigkeiten erinnern. Für mich war das ein klarer Fall, schließlich hatten meine Mutter, meine Großmutter und deren Schwester Alzheimer. Doch mein Mann Udo sagte immer: „Glaub’ mir, du hast das nicht!“ Habe ich aber doch.
Hilfe für Demenz-Kranke und Angehörige
Wo und wie bekommen demente Menschen Hilfe? Das ist die zentrale Frage der „lokalen Allianzen“, einer Initiative der Bundesregierung. Diese Vereinigungen sind Hilfsnetze von Kommunen, Sozialverbänden und privaten Einrichtungen, die direkt im Lebensumfeld der Dementen und ihrer Angehörigen aktiv werden – sie richten Selbsthilfegruppen ein und organisieren Ausflüge oder Gedächtnistrainings.
Es gibt sie an 143 Standorten wie in Celle, Erfurt oder München, bis 2016 sollen es deutschlandweit 500 sein: lokale-allianzen.de
Dass wir das toll finden, kann keiner unserer Bekannten verstehen, auch nicht, dass ich Alzheimer habe. Ich sei doch ganz normal, sagen sie, dabei wissen sie nicht, dass ich einen Tag zu Hause alleine nicht bewältigen könnte. Wenn ich in der Küche stehe, bin ich mit all diesen Handgriffen überfordert. Und ich vergesse immer, die Wäsche aus der Maschine zu holen. Nur wenn mein Mann bei mir ist, fühle ich mich sicher. Zusammen machen wir den Haushalt, er erinnert mich an die Wäsche, und ich putze das Haus. Udo kocht, das macht er sehr gut, besonders gern esse ich Schweinefilet in Schnittlauchcreme.
Zurzeit geht es mir so gut wie nie seit der Diagnose. Ich konnte sogar die Antidepressiva absetzen. Ich hoffe, dass die Krankheit nicht schlagartig schlechter wird. Dann kann ich mit meinem Mann noch viele schöne Sachen unternehmen. Wir gehen zum Beispiel gern zum Tanztee. Dort gibt’s viel Musik von früher: Cha-Cha-Cha oder Rumba, auch Rock ’n’ Roll. Dazu tanze ich am liebsten – nicht stilecht, eben so, wie es mir passt. Ich tanze immer nur mit Udo, er ist der Schatz an meiner Seite, so einen findet man nirgendwo.
Herbert L., 68
Ich stand im Büro am Kopiergerät. Als die Türklingel läutete, war ich orientierungslos. Ich konnte mit dem Geräusch nichts anfangen und wusste nicht, was ich tun soll. Ich war erschrocken. Da merkte ich, dass etwas mit mir nicht stimmt.
"Alzheimerpatienten sollten aktiv sein"
Findet Herbert L. Also lädt er zur Selbsthilfegruppe ein.
Ich finde, Alzheimerpatienten sollten aktiv sein. Ich habe mich gleich nach der Diagnose nach einer Selbsthilfegruppe umgesehen, herumtelefoniert – nichts! Also musste ich eben selber eine Gruppe gründen, als ehemaliger Sozialarbeiter habe ich ja Erfahrung darin. Doch Betroffene zu finden, ist gar nicht so einfach. Ich habe Pressearbeit gemacht, Flyer verteilt und mit Leuten geredet. Ich glaube, viele Alzheimerpatienten verschweigen ihre Krankheit lieber. Aber sie ist doch kein Makel oder gar gefährlich!
Im September 2011 sind wir zu dritt gestartet, mit fachlicher Begleitung. In der Gruppe tauschen wir uns aus und bestärken uns gegenseitig. Wenn ich zum Beispiel vergesse, was ich im Keller holen sollte, fühlt sich das an, wie versagt zu haben, und ich bemerke bei meiner Frau, wie sie sich ärgert oder resigniert. Bei Gefühlen funktioniert mein Gedächtnis einwandfrei.
Eine ältere Dame war eine tatkräftige Mitstreiterin, wir waren auf Alzheimertagungen und haben den Austausch mit anderen Betroffenen organisiert. Wir haben gemeinsam so viel erreicht! Leider ist sie nun im Pflegeheim, sie ist sehr verwirrt. Beim ersten Besuch war ich mir unsicher, ob sie mich erkannt hat. Beim nächsten Mal habe ich sie umarmt. Dann hat sie sich bei mir eingehakt, und wir haben einen Spaziergang gemacht.
Monika C., 73
Meine Gedanken, die ich brauche für das alltägliche Leben, schwimmen mir langsam davon. Ich habe die Kerzen aus meinem Haus verbannt, auch die Streichhölzer. Nicht dass ich irgendetwas anzünden würde, so verrückt bin ich noch nicht, aber sicher ist sicher. Ich habe auch das Auto abgegeben – einmal fuhr ich und wusste nicht mehr, wo ich bin. Da war klar: So geht das nicht weiter, ich hätte ja jemanden töten können!
"Ich bin feige geworden gegenüber meiner Zukunft"
Sagt Monika C. In der Gegenwart engagiert sie sich – und kocht in einer Suppenküche.
Mein Mann ist vor zehn Jahren gestorben, ich habe aber viele Bekannte und Freunde. Alle 14 Tage gehen wir gemeinsam wandern und danach ins Restaurant. Weil ich viel Zeit habe, dachte ich mir, ich könnte mich sozial engagieren. Jetzt koche ich zweimal im Monat mit zwei anderen Frauen in einer Küche für Bedürftige. Meistens gibt es Linseneintopf oder Schnitzel, das geht für 20 Leute am einfachsten. Das macht mir viel Spaß, und die beiden passen auf, dass ich nichts anbrennen lasse. Wir essen dann gemeinsam mit den Hartz-IV-Empfängern und Obdachlosen.
Meine Töchter lassen mich machen, sie sind sehr geduldig mit mir. Als sie von der Diagnose erfuhren, guckten sie ganz traurig. Erst wollten sie es nicht wahrhaben, doch inzwischen haben sie es eingesehen. Die beiden respektieren, dass ich alleine leben will, in meiner Wohnung fühle ich mich pudelwohl. Sie haben mich aber überzeugt, ein Armband mit einem Notknopf zu tragen. Den muss ich nur drücken, dann kommt der Notarzt.
Dass meine Töchter mich eines Tages pflegen, kommt nicht infrage. Lieber gehe ich in ein Heim. Aber daran mag ich jetzt nicht denken. Ich bin feige geworden gegenüber meiner Zukunft. Ich weiß nur, dass ich im Frühjahr mit Freunden nach Elba fahren werde, die Reise ist schon gebucht, das werde ich noch schaffen.
Derek B., 66
Ich bin natürlich nicht mehr der Derek, der ich einmal war. Früher war ich Küchenverkäufer. Jetzt gerade wird bei uns eine neue Küche eingebaut, und ich merke, was sich alles verändert hat. So kleine Details bei der Einrichtung sind mir einfach entronnen. Auf der einen Seite nur der Kochbereich, auf der anderen alles, was mit Wasser zu tun hat – raffiniert!
Derek B. will jeden Tag mit seiner Frau Wanda genießen
Wie beim Spazieren gehen im Park.
Ich besuche eine Alzheimer-Selbsthilfegruppe. Es gibt da einen Manager, der ist ganz in sich gekehrt. Er denkt, er sei immer noch ein hohes Tier. Der Rechtsanwalt dagegen ist erst in der Gruppe happy geworden. Vielleicht weil er seine Demenz da nicht zu verstecken braucht? Es ist ja leider so, dass sich manche Demenzkranke wie aussätzig vorkommen.
Für mich war die Diagnose wie ein Stromstoß. Ich habe gemerkt, dass man die Dinge, die einem Spaß machen, einfach tun muss. Die Leute, die in Rente gehen, schieben doch alles auf! Schon bevor ich vergesslich wurde, haben Wanda und ich zu malen begonnen. Jeder kann malen. Manchmal nehmen wir schon morgens den Pinsel in die Hand. Ich male gerne Orte meiner Kindheit, zum Beispiel einen Bahnhof in Glasgow, auch meine Frau und mich selber.
Doch ein bisschen Arbeit macht auch Spaß. Einmal die Woche helfe ich meiner Frau beim Saubermachen in einem Büro. Wir stehen um vier Uhr morgens auf und sind um halb acht fertig. So haben wir noch den ganzen Tag vor uns – und gehen mit den beiden Hunden Emma und Oscar raus in den Park.
Wir waren bei allen Arztterminen und haben uns über die Krankheit umfangreich informiert. Ich weiß, was dement sein bedeutet, nur wie lange es dauert, bis man sich nicht mehr bewusst ist, was man tut, das weiß ich nicht. Ich rauche nicht mehr und trinke keinen Alkohol, ich hoffe, dass mir das ein bisschen Gas gibt. Jetzt will ich nur noch jeden Tag mit Wanda genießen. Aber wenn ich ihren Namen irgendwann vergessen sollte, will ich nicht mehr leben.
Maria H.,* 64
Mein Plan ist es, alles wiederzufinden, was ich vergessen habe. Ich recherchiere Orte, studiere Karten, überlege mir, wo war das? Wo habe ich das gesehen? Ich telefoniere rum und frage nach. Wenn ich durch Hennef laufe, zeichne ich einen inneren Stadtplan. Ich erkunde immer neue Orte in der Stadt, und wenn ich alleine zurückfinde, habe ich einen enormen Gewinn. Neulich bin ich sogar in die Nachbarstadt gelaufen und habe auf dem Rückweg kein einziges Mal nach dem Weg fragen müssen.
Maria H. notiert sich alles, was sie nicht vergessen möchte
Sie vermisst ihr Auto – und freut sich, wenn jemand sie durch die Gegend fährt.
Das Schlimme an der Krankheit ist, dass ich nicht mehr so gut lesen kann. Früher habe ich wie eine Verrückte gelesen, doch wenn ich heute anfange, kommt – zack – etwas dazwischen und ich habe die Zeilen vorher schon wieder vergessen.
Auch vermisse ich, dass ich mit meinem Auto nicht mehr herumfahren kann. Am liebsten würde ich ganz viele Leute kennen, die mich ständig durch die Gegend fahren. Ein älterer Herr, ein Witwer, holt mich regelmäßig ab und fährt mich. Ihm ist auch langweilig. Wenn wir so dahin fahren, kommen meine Erinnerungen zurück.
So wie neulich, da war ich mit meinem Exmann im Auto unterwegs. Er fragte, ob ich mich noch an seinen Opel Manta erinnere. Ja, das tat ich, und mir fielen noch andere Dinge ein, die er vergessen hatte! Das war ein sehr schönes Gefühl. Auf einmal hatte ich es wieder vor mir: Wie aufgeregt er war, als er das Auto bekam – und ich hatte es bezahlt.
* Vorname von der Redaktion geändert
Chrismon Heft 2, Seite 19
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