Woher nehmen und nicht stehlen?
Jury und Redaktionsmitglieder waren tief beeindruckt vom großen Zuspruch und der Ideenvielfalt bei der chrismon-Gemeindeaktion. In loser Folge stellen wir besonders spannende Gemeindeprojekte vor - zur Anregung und Inspiration.
16.04.2012

Mit einem kalauernden Wortspiel fing es an. Die Zeichnung eines rustikalen Eintopfs bildete buchstäblich das Zentrum der Aktion "GemEINdehaus in TOPForm", und das "kreative Wochenende" der evangelischen Kirchengemeinde im schwäbischen Dußlingen bei Tübingen brachte unter diesem Motto wenig später in der Mehrzweckhalle des Dorfs von Samstagnachmittag bis Sonntagmittag Christenmenschen und alle anderen zusammen.

Zweites Ziel neben der menschlichen Begegnung: die Spendenwerbung, oder auf Neudeutsch das Fundraising. Dabei hatte anfangs niemand mit dem Zuspruch für diese zunächst etwas abseitig klingende Idee gerechnet - möglichst viele Männer des Orts im Pfarrhaus sollten eine Krawatte abgeben. Wozu ausgerechnet eine Krawatte? Und wie viele auf den Aufruf im örtlichen "Gemeindeboten" würden da wohl bei insgesamt knapp 5600 Seelen zusammenkommen?

Nach vier Wochen waren es unterm Strich mehr als 1000 Exemplare, eine fast schon sensationelle Quote. Bald arbeiteten etwa zehn Frauen daran - und vernetzten die Dußlinger Männer auf diese Weise symbolisch mit dem Himmel - und miteinander. Daraus entstand in Patchwork-Arbeit ein schmucker Quilt, der das spätgotische Netzgewölbe des Chorraums der Dußlinger Kirche abbildet und nach einem viel beachteten Zwischenaufenthalt im Rathaus-Foyer beim erwähnten Eintopf-Wochenende von Bürgermeister Thomas Hölsch versteigert wurde - nicht für Millionen, aber für einen ansehnlichen Betrag. Bis zum angestrebten ökologischen Umbau des Gemeindehauses fehlen Pfarrer Matthias Adt allerdings immer noch rund 200.000 Euro …

 

Ungewöhnlich: Weihnachtsfeier an Weihnachten

Ortswechsel 500 Kilometer Richtung Osten: "Wie kommen Sie an Geld?" Wer Thomas Piehler diese einfache Frage stellt, bringt ihn ziemlich zuverlässig zum Lachen. "Gute Frage", antwortet der Leipziger Pfarrer dann. Und holt gleich anschließend tief Luft, weil das Schlüsselproblem der heutigen Zeit auch für ihn alles andere als leicht zu lösen ist.

Seine Andreaskirchgemeinde bestach beim chrismon-Gemeindewettbewerb durch betont soziales Engagement. Seit Ende der Neunzigerjahre veranstaltet er "Weihnachten fürs Volk": eine Armenspeisung mit Geschenken für alle und einer herzerwärmenden Weihnachtsfeier für Bedürftige. Das Außergewöhnliche: Sie findet am 24. Dezember statt, was ganz nebenbei nicht jedem freiwilligen Helfer so genehm ist.

"Der Heiligabend ist für viele schwierig, wie eine heilige Kuh", sagt Piehler. Aber gerade darum geht es ihm - ein Angebot für Einsame und Ausgegrenzte genau dann zu bieten, wenn die Mehrheit gemütlich mit der Familie feiert. Ganz nach Matthäus 25, 35: "Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen."

Profi-Video in Eigeninitiative

Am Weihnachtsabend 2011 kamen mehr als 300 Gäste. Für sie alle zu kochen und obendrein 300 individuelle Geschenke zu verpacken, machte eine Menge Arbeit. Doch die hat sich gelohnt, wie ein professionell produziertes Zehn-Minuten-Video vom jüngsten Weihnachtsabend "fürs Volk" zeigt. Wer den Film finanziert hat? Ein Gemeindemitglied ist Fernsehjournalist beim MDR und opferte dafür seine Freizeit, so einfach ist das.

Womit wir wieder beim Geld wären. Denn das ist knapp; selbst Pfarrer Piehlers Stelle wird nur zu drei Vierteln von der Landeskirche getragen. Den Rest stockt der 1994 gegründete Verein Senfkorn e. V. auf, der die Arbeit der Andreaskirchgemeinde und Aktionen wie "Weihnachten fürs Volk" fördert. Der Verein ist so gut ausgestattet, dass er sich sogar festangestellte Mitarbeiter leisten kann, viele davon in familienfreundlicher Teilzeit. Der Verein organisiert Familien- und Seelsorgeseminare, ermöglicht die Arbeit mit Kindern und gestaltet bundesweit ausgeschriebene Fortbildungen für Ehrenamtliche. Teils kann er sich damit sogar refinanzieren.

Piehler und seine Mitarbeiter machen ihren Schäfchen schon aus Prinzip das Spenden leicht. Da ist beispielsweise die Direktansprache örtlicher Unternehmen ("Fundraising würde ich das aber noch nicht nennen", schränkt der Pfarrer ein), viermal jährlich ein "Opfersonntag" für akute Nothilfe regional oder weltweit sowie die generelle Einladung, "den Zehnten zu geben", die ebenfalls gut angenommen wird.

"Wir sind noch nicht im Himmel"

Leipzig als Insel der Glückseligen? Thomas Piehler lacht wieder und beteuert: "Nein, wir sind noch lange nicht im Himmel." Den vielen positiven Erfahrungen – konkretes Spendenwerben für Projekte, das Abgeben von Aufgaben an "schlummernde" Experten in der Gemeinde, der riesige Zuspruch nicht nur an Weihnachten – stehen wie überall auch mancherlei Reibereien entgegen. Beispielsweise dann, wenn sich die Einen überfordert fühlen und die Anderen unterfordert. So kommt es, dass Piehler die Gefahr der selbstgenügsamen Routine als größte Herausforderung benennt. Auch was so gut läuft wie die Arbeit in seiner Gemeinde brauche eben ständige Aufmerksamkeit und Weiterentwicklung.

Dazu gehört die Fähigkeit loszulassen – sein ganz persönliches Erfolgsgeheimnis, wie der 48-Jährige verrät. Die "Pfarrerzentrierung" hat er nämlich als das Hauptproblem in der evangelischen Landschaft ausgemacht. In der Andreaskirchgemeinde sei sie in den vergangenen 20 Jahren konsequent abgebaut worden, wie er nicht ohne Stolz berichtet.

 

Es steht ohnehin Höheres an: das erste "Festival der Hoffnung für Leipzig" , ein einwöchiges Sommercamp im August 2012 auf dem Alten Messegelände, das zu ehrenamtlichem Engagement animieren und die Ideen und Kompetenzen Hunderter Menschen miteinander verknüpfen soll. Aus den Erfahrungen der Teilnehmer sollen dabei die berühmten Synergien erwachsen – ein ehrgeiziges Projekt, bei Erfolg mit Fortsetzung.

Eine eigene ebenso simple wie stimmige Erkenntnis hat Pfarrer Thomas Piehler zum Schluss noch parat: "Wenn man Angebote schafft, die die Leute brauchen, muss man sich um den Zulauf nicht sorgen." Für Leipzig gilt das allemal.

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Zitat: "Pfarrer Piehlers Stelle wird nur zu drei Vierteln von der Landeskirche getragen. Den Rest stockt der 1994 gegründete Verein Senfkorn e. V. auf".

Mein Zitat:
Die evangelische Landeskirche sollte sich in Anbetracht dessen,
in Grund und Boden schämen!

Der Verein Senfkorn e.V. sollte sich nicht als "Lieber Gott" persönlich aufspielen!
In seinem Gleichnis vom Senfkorn (Mt 13,31-32; Mk 4,30-32) bezeichnet Jesus das Senfkorn als das kleinste aller Samenkörner, aus dem doch etwas recht Großes wird.

Es ist zu 100% wahrscheinlich, dass Jesus sich dabei auf den Samen des Schwarzen Senf`s bezieht und nicht auf diesen dubiosen Verein!

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Die früheren Sklaven hatten in die Quilt-Decke geheime Symbole eingearbeitet (z. B. Stern, Uhr, Katze usw) So konnten die Sklaven untereinander kommunizieren, auf Gefahren aufmerksam machen oder Tipps geben.

Eine Quilt-Decke mit eingearbeiteten Kreuz, das zum Fenster rausgehängt wurde zum lüften, war für flüchtende Sklaven ein Hinweis, dass die nächste Kreuzung ohne Gefahr passiert werden kann.