Dorothea Heintze Baumscheibe
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Immer die gleichen?
Der Anspruch auf eine gut gelebte Gemeinschaft in einem Bauprojekt ist oft sehr hoch. Zu hoch?
Tim Wegner
02.03.2021

Oben auf dem Bild sieht man eine der Baumscheiben auf dem Gehweg vor unserem Haus. Die ist deshalb frisch bepflanzt und aufgeräumt, weil sich letzten Sonntag ein paar Leute zusammengetan und gegärtnert haben. Es war gute Stimmung unten auf der Straße. Als Kind war ich oft bei den Pferden im Reitstall, und wenn wir zusammen gemistet oder gestriegelt haben, war es am schönsten. Dieses Gefühl, gemeinschaftlich etwas anzupacken, gemeinsam Spaß an einer Sache zu haben... Auf der Straße am Sonntag war es mal wieder da, dieses Gemeinschaftsgefühl.

Ich habe mehrere Baugemeinschaften für die neue chrismon-Artikelserie befragt. Was läuft gut bei Euch? Was schlecht? Meistens kamen abwägende Antworten, wie die von Trung Do und Thao Bui für meine erste Folge: „Wir sind da nicht anders als andere ­Gruppen: Einige machen viel, andere ­weniger; einige meckern, andere äußern sich nie.“

Ich kann das verstehen. Öffentliches Bashing hilft nichts, andererseits lernt man nur aus Fehlern und es müssen ja nicht immer die gleichen sein.

Ein Kommunikationstool hilft - und Leute, die moderieren

Wie ist es also bei uns, in meiner Baugemeinschaft? Wir sind groß. Über 120 Leute in fast 60 Wohnungen. Wir haben verschiedene AGs  und nutzen schon seit Jahren, auch in den Jahren der Planungsphase vor dem Einzug, ein professionelles, digitales Kommunikationstool (Basecamp heißt das). Dafür zahlen wir und das lohnt. Über die Plattform kann man Dateien, Fotos oder Texte hochladen und miteinander chatten. Früher verkündeten unsere Projektplaner dort die Termine der nächsten Sitzung, oder die nächsten Zahlungstermine. Heute kündigen wir dort Aktionen an: „Hallo in die Runde? Ich will am Sonntag um 14 Uhr die Baumscheiben vor dem Haus bepflanzen. Wer macht mit?“ So in etwa.

Auch unseren Gemeinschaftsraum kann man über den Kalender in Basecamp buchen. Eine AG kümmert sich. Wer den Raum benutzt, soll hinterher einen Zettel ausfüllen: Wie sauber war es, was hat er oder sie geputzt? Was ist kaputt gegangen? usw.

Ich finde, vieles könnte besser funktionieren. Der Gemeinschaftsraum sieht immer mal, mh…, nicht so klasse aus, um es diplomatisch auszudrücken. Dann gibt es ein wildes Hin und Her im Basecamp und es fallen auch scharfe Worte. Zum Glück haben wir ein paar Menschen mit Moderationsgeschick in der Gruppe, die greifen ein, kochen die Emotionen runter. Der Streit schafft Reibung, auch Nähe, aber uns fehlt jetzt in Corona-Zeiten der Spaß, das Feiern. Auf der anderen Seite haben wir die Möglichkeit, uns, mit Abstand und Maske, auf unserem Dach oder bei den Baumscheiben auf der Straße treffen können. Das ist klasse. Baugemeinschaft eben.

Ich kann schlecht nachvollziehen, warum Leute sich eine solch spezielle Form des Zusammenlebens suchen, sich dann aber nicht einbringen. Klar, der Quadratmeterpreis war halt günstiger hier, weil die Aktiven ehrenamtlich so viel gearbeitet haben und auch jetzt viel tun. In den letzten Jahren hab ich oft probiert, diese Passiv-Menschen anzusprechen, sie einzubeziehen. Klappt nicht. Mich ständig zu ärgern, bringt aber auch nichts.

Als ich mich neulich mal wieder bitter über die „faulen Socken“ bei uns beschwerte, erwiderte mir einer unserer jüngeren Familienväter (der ist auch schon über vierzig, aber ich bin halt über sechzig): „Dorothea, sieh das doch mal so. Wir sind so groß, dass Du einfach nicht jeden einbeziehen musst. Es finden sich immer genügend Leute, die mitmachen. Und das ist doch gut.“  Stimmt. Am Ende ist fast immer jemand da. Wie damals im Reitstall. Am Sonntag bei den Baumscheiben war ich übrigens nicht aktiv dabei. Ich hab mir einen Kaffee geschnappt und zugeschaut. Sehr entspannend.

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Kolumne

Dorothea Heintze

Wohnen wollen wir alle. Bitte bezahlbar. Mit Familie, allein oder in größerer Gemeinschaft. Doch wo gibt es gute Beispiele, herausragende Architekturen, eine zukunftsorientierte Planung? Was muss sich baupolitisch ändern? Wohnlage-Autorin Dorothea Heintze lebt in einer Baugemeinschaft in Hamburg und weiß: Das eigene Wohnglück zu finden, ist gar nicht so einfach. Alle zwei Wochen.