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Trotz des relativen Friedens in Deutschland begleitet uns ständig das seltsame Gefühl, dass irgendetwas fehlt. Als würden wir mit Herz und Kopf noch woanders festsitzen. Wenn wir uns einsam und bekümmert fühlen, laden wir gelegentlich zu einem afghanischen Abend ein, um den Alltag zu vergessen. Dies erfordert einige Vorbereitungen, die wir gemeinsam mit zwei oder drei Freunden treffen.
Als Erstes gehen wir zu einem afghanischen Metzger. Ich freue mich Landsleute zu sehen, die in verschiedenen Dialekten ihre Bestellungen aufgeben. Für einen kurzen Moment komme ich mir vor wie auf einem Markt in Kabul, kann das warme Sonnenlicht auf meinem Gesicht spüren und höre die vielen Verkäufer laut durcheinander rufen: „Frische Gurken, Tomaten, Zitronen und Granatäpfel aus Kandahar! Komm Schwester, was möchtest du?“
"Welches Fleisch empfiehlst du, Bruder?"
RATSCH! Das riesige Hackmesser des Metzgers kracht lautstark auf das Schneidebrett und ich werde aus meinen Gedanken gerissen. Ich bin an der Reihe. "Wir möchten Kabuli Palau machen. Welches Fleisch empfiehlst du, Bruder?" Geduldig zeigt uns der Metzger die passende Sorte und schließlich verlassen wir zufrieden mit zwei großen Beuteln voller Lammfleisch das Geschäft.
Danach geht es noch zu einer afghanischen Bäckerei. Dort angekommen muss man sich für gewöhnlich in einer langen Warteschlange einreihen. Das ist nicht verwunderlich, denn der Duft der frisch gebackenen Fladenbrote ist unwiderstehlich. Aus dem Inneren der Bäckerei ruft ein Mann mit Herati-Dialekt: „Schwester, ganz hinten in der Reihe, wie viele Brote möchtest du?“
"Schwester, ganz hinten in der Reihe, wie viele Brote möchtest du?"
Sobald die Brote fertig sind, schneiden wir sie gleich vor Ort in transportierbare Stücke. Dabei lässt mein Kumpel tollpatschig das Messer fallen. Ich hebe es auf und schneide das Brot in wenigen Sekunden klein. Die Frau hinter uns fängt an zu lachen und sagt scherzend, dass Männer nichts draufhätten und wir Frauen offensichtlich geschickter und klüger seien.
Solche Begegnungen und kleinen Momente rufen ein heimatliches Gefühl in uns vor. Momente in denen kurz nichts fehlt. Momente in denen man sich zugehörig fühlt. Fröhlich machen wir uns auf den Heimweg. Noch bevor wir zu Hause ankommen, ist schon ein beachtlicher Teil des Brotes verzehrt, weil ständig jemand in den Beutel greift, um etwas von dem noch warmen Brot zu naschen. Jeder Bissen schmeckt wie ein kleines Stückchen Heimat.
Wir essen gemeinsam und mit jedem Bissen erwärmen sich unsere Herzen
Mit der Zubereitung des Kabuli Palau sind wir noch bis zu drei Stunden beschäftigt. Dann wird endlich das afghanische Nationalgericht auf einer großen Decke auf dem Fußboden, zusammen mit dem noch verbliebenen Fladenbrot, serviert. Wir essen gemeinsam und mit jedem Bissen erwärmen sich unsere Herzen. Das Gefühl der Einsamkeit fängt langsam an zu schwinden.
Ich blicke den anderen in die Augen und sehe eine umherirrende Generation, die in ein Leben geprägt von Migration und Vertreibung hineingeboren wurde. Eine Generation, die in ihrer Heimat Unsicherheit, Diskriminierung und Ungerechtigkeit erfahren hat und sich ein weiteres Mal für Migration entschied, in der Hoffnung anderswo ein besseres Leben zu finden. All das hat uns zu resilienten Kämpfern gemacht, die trotz aller Schwierigkeiten fest auf ihren Beinen steht. Darauf bin ich stolz.
Wenn die Gäste des Abends gehen, kommt die Bedrücktheit schnell zurück. Die Gedanken schweifen um ein verwundetes Land, das dringend Hilfe benötigt. Am nächsten Morgen hat uns der Alltag wieder und wir gehen arbeiten, um unsere Familien zu unterstützen. Wir sind gefangen zwischen der bitteren Vergangenheit, einer ungewissen Zukunft und unseren Träumen, für die kaum noch Kraft übrig ist, sie zu verwirklichen.