jhc
Ein zerstörtes Christusbild und eine erschütterte Kunst-Gemeinde
Vor einer Woche hat ein Unbekannter in der Paul-Gerhardt-Kirche in Berlin-Prenzlauer Berg ein Feuer gelegt. Besonders Künstlerinnen und Künstler sind erschüttert. Das hat seinen Grund in einer einzigartigen Kirchen-Kunst-Geschichte.
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
28.01.2022

Der Brandstiftung sind der Altar und sein Bild sowie die Orgel zum Opfer gefallen. Die Kirche ist verwüstet. Die Gemeinde und viele Nachbarn sind verzweifelt angesichts einer Schandtat, die leider nicht allein dasteht. Bisher hatte man vor allem aus Frankreich von Kirchenverwüstungen gehört. Doch es gibt sie zunehmend auch in Deutschland. Viel zu selten gelingt es, die Täter zu fassen, sie zu bestrafen und ihre Motive zu verstehen.

Was in den Medien nicht berichtet wurde, ist, dass es zu diesem Altarbild eine besondere Geschichte gibt. Gemalt hat es der Spätnazarener Gerard Noack 1910. Es zeigt den auferstandenen Christus, strahlend, den Arm zum Segen erhoben, im Morgengrauen. Es ist ein Andachtsbild, das Trost, Liebe und Hoffnung ausstrahlt. Mich erinnert es ein bisschen an das im katholischen Polen überaus beliebte „Gnadenbild vom Barmherzigen Jesus“. Im Unterschied zu diesem aber wurde es von einem akademisch ausgebildeten Meister geschaffen, ist handwerklich von guter Qualität, was sich auch am neugotischen Rahmen sehen ließ. Aber dieses Altarbild löste in der Gemeinde regelmäßig kritische Fragen aus. Ist es nicht viel zu traditionell und süßlich? Wo ist die Erinnerung an das Kreuz? Kann man davor in der Passionszeit Gottesdienste feiern?

Die Fragen veranlassten die damalige Pfarrerin Uta Fey, eine Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern sowie engagierten Gemeindegliedern zu bitten, sich dazu etwas einfallen lassen. Was folgte, ist eine wunderbare Kirchen-Geschichte. Sabine Herrmann, Klaus Killisch und Markus Rheinfurth organisierten eine Reihe von zehn Altarverhüllungen. Jedes Jahr in der Passionszeit gestalteten unterschiedliche Künstlerinnen und Künstler Interventionen, die sich an diesem Altarbild abarbeiteten, ihm etwas entgegensetzten, mit ihm spielten. Und die Gemeinde setzte sich jeweils intensiv mit dem auseinander, was Sabine Herrmann, Michael Morgner, Felix Droese, Katharina Grosse, Thomas Florschuetz, Hannah Doughery, Günther Uecker, Lothar Böhme, Ursula Sax und Klaus Killisch schufen. Es war für mich ein großes Glück, dazustoßen und mitwirken zu dürfen. Ich lernte großartige Künstler kennen, eine tolle Gemeinde, die von außen so bescheiden wirkende Quartierskirche wuchs mir ans Herz, auch das Altarbild wurde mir kostbar. Es war zum Staunen, was dieses Bild, obwohl oder gerade weil es nicht eben ein Inbegriff avancierter Kunst war, auslöste.

Nach zehn Jahren war Schluss. Ein schönes Buch haben wir noch gemacht, das die einzigartige Geschichte dieser Altarverhüllungen dokumentiert. Jetzt ist es zu dem Ort geworden, an dem das restlos zerstörte Bild aufbewahrt und aufgehoben ist. So hatten wir es nicht geplant, so haben wir es nicht gewollt.

Die Kommentarfunktion ist nur noch für registrierte Nutzer verfügbar. Um einen Leserkommentar schreiben zu können, schließen Sie bitte ein Abo ab, schreiben Sie uns eine Mail an leserpost@chrismon.de oder diskutieren Sie auf Instagram, Facebook und LinkedIn mit.
Permalink

Blicken wir doch einmal über den Zaun ! Der französische Innenminister G.Darmanin hat, wie einer Meldung des Figaro vom 13.01.22 zu entnehmen ist, 4 Mio Euro für technische Sicherheitsmaßnahmen in katholischen Kirchen bereitgestellt. Anlaß ist eine Serie von Kirchenschändungen im Departement Seine-Saint-Denis, der allein in der Nacht vom 09.10.01.22 zwei Gotteshäuser zum Opfer gefallen sind. Diese, für einen laizistischen Staat nicht alltägliche Maßnahme begründet er unter anderem damit, daß es sich bei dieser Art von Vandalismus nicht nur um
<< actes religieux>> sondern auch um << actes terroristes>> handelt. Wenn man bedenkt, daß Seine-Saint-Denis das Departement mit der höchsten Kriminalitätsrate in Frankreich ist und man sich die Zusammensetzung der dortigen Bevölkerung ansieht, ist das nur konsequent ...
Natürlich reichen vier Millionen nicht, aber es ist gut investiertes Geld - und ein beherzigenswerter Anfang, gerade auch für Berlin.
Den dortigen Stadtvätern möchte man mit Cicero zurufen:
"Obsessa facibus et telis impiae coniurationis vobis supplex manus tendit patria communis, vobis se, vobis vitam omnium civium, vobis arcem et Capitolium, vobis aras Penatium, vobis illum ignem Vestae
sempiternum, vobis omnium deorum templa atque delubra, vobis muros atque urbis tecta commenda" (In Catilinam IV)

Antwort auf von querdenker (nicht registriert)

Permalink

Aha, den Stadtvätern soll also zugerufen werden:

"Das von Brandfackeln und Waffen einer ruchlosen Verschwörung umlagerte gemeinsame Vaterland streckt flehend nach euch die Hände aus: euch empfiehlt es sich, euch das Leben aller Bürger, euch die Burg und das Kapitol, euch die Altäre der Penaten, euch jenes ewige Feuer der Vesta, euch die Tempel und Heiligtümer aller Götter, euch die Mauern und Wohnungen der Stadt."

In Catilinam IV 4. Catilinarische Rede, Übersetzung nach Christian Nathanael von Osiander, bearbeitet von Egon Gottwein, gehalten 5. Dez. 63 v.Chr. vor dem Senat (im Tempel des Iupiter Stator).

Wer sich wundert, warum ausgerechnet wegen Vandalismus in einer Kirche eine ruchlose Verschwörung bejammert werden soll, darf nicht überlesen, dass "man sich die Zusammensetzung der dortigen Bevölkerung ansieht". Und was wird es dort wohl zu sehen geben: Ausländer! Moslems!

Der querdenkende Leserkommentar verhält sich zum Inhalt des Artikels wie die Penaten-Babycreme zu den Altären der Penaten.

Fritz Kurz

Permalink

Die materiellen und immateriellen Kulturgüter der deutschen evangelischen Kirche stellen einen der wenigen - wenn nicht den einzigen- noch verbleibenden Aktivposten dieser Kirche dar. Sie sind für eine nicht unerhebliche Anzahl von Kirchenmitgliedern auch einer der wenigen Gründe,überhaupt noch Kirchensteuer zu zu zahlen - für viele auch der einzige verbleibende Grund ! Angesichts der zunehmenden Zerstörungen, zumindest des materiellen kirchlichen Kulturerbes, sind daher Investitionen in organisatorische und technische Sicherheitsmaßnahmen überlebenswichtig. Finanzielle Ressourcen dürften - im Gegensatz zur französischen Kirche - genug da sein. Insbesondere, wenn man zahlreiche überflüssige Aktivitäten drastisch zurückschraubte ...

Antwort auf von querdenker (nicht registriert)

Permalink

Das wäre mir neu, dass die Kirchen darunter leiden, dass Heerscharen von Gläubigen sich versammeln wollen, aber daran scheitern, dass Bösewichte aller Art ihnen die Gotteshäuser abgefackelt haben. Im Gegenteil, die beeindruckend leeren Kirchengebäude sollen verscherbelt und somit zu Geld gemacht werden. Die Schäfchen laufen davon. Manche mit guten, andere mit ziemlich schlechten Gründen. Also Mauerbau um die Kirchen, damit Kirchenflucht erschwert wird?

Fritz Kurz

Kolumne

Johann Hinrich Claussen

Auch das Überflüssige ist lebens­notwendig: Der Autor und Theologe Johann Hinrich Claussen reist durch die Weiten von Kunst und Kultur