Mit Twitter und Herodot medial um die Welt
Welche Medien konsumieren junge Menschen? Arnd Brummer hat sich umgehört - mit überraschendem Ergebnis
Lena Uphoff
23.03.2017

Was wollen Sie denn von mir? Immer das Gleiche! Wie hätten Sie es denn gerne? Komplett anders! Solche Fragen und Antworten rauschen mir durch den Schädel, wenn ich vor dem Fernseher sitze, durch „Brennpunkte“, „extras“, Nachrichten und Talkshows zappe oder durch Zeitungen blättere. In den vergangenen ­Wochen wurde ich völlig durchschulzt und vollgetrumpt. Ich habe etwa 150 Liter Trumpanalytiker inhaliert und bin nicht mehr schulzlos unglücklich. Was ich mir zu diesen Themen notiert habe, kann ich doch alles wegschmeißen! Oder? Das ist unser Problem in der randvollen Medienwelt. Du schreibst hinter deinem Gitter, machst die Tür auf und merkst bitter: Läuft alles schon im News-Himalaya von TV und Twitter.

Ja, klar. Mit Luther und Gutenberg hat alles angefangen – die weltweite Verbreitung der News, die monothematische Multi­mediawelt. Man kann nicht mehr im Studierstübchen sitzen und sich jahrelang Gedanken über eine These machen. Auch Geisteswissenschaftler müssen raus. ­Expertise auf der Medienwiese. „Sie sind Psychologe und haben sich mit dem Phänomen des Njuuhs-Männ-Ätsch-Ments beschäftigt.“ So wird der brillentragende In-Seider anmoderiert, der dann selbstverständlich sein gerade erschienenes Buch zitiert, was dann – so ist es zugesagt – auch Gegenstand der Abmoderation sein wird: „Der Titel Ihres im Depp-Verlag erschienenen neuesten Werkes: ,Es ist schon alles gesagt – nur nicht von mir‘, 19,90 Euro. Noch mal herzlichen Dank!“

Neulich mit ein paar jungen Leuten zusammen gegessen und über „Mediennutzung“ geredet. Und drei von den vieren, die alle­samt studieren, haben unaufgefordert berichtet, dass sie am liebs­ten „Dokus“ auf „Arte“ oder „Phönix“ oder „ZDF info“ schauen, wenn sie überhaupt fernsehen. Freddy schwärmte von einer 90-Minuten-Sendung über Herodot und die „sieben Weltwunder“. Dass „der Mann schon vor 2500 Jahren Tausende Kilometer unterwegs war, zu Fuß, mit klapprigen Segelschiffen und mal auch als Reiter und dann anfing, eine Geschichte der Menschheit zu schreiben, ist einfach nur genial!“

„Von so was“, fügte Jasmin hinzu, „lernt man mehr als von 20 Talks zum selben Thema mit stets den gleichen Leuten.“ Und: Ja, sie hätte sich jetzt eine lesbare Übersetzung von Herodot-Texten in der Unibibliothek beschafft. „Mal sehen, wie weit ich komme. Ich bin so froh, dass es solche Sendungen überhaupt gibt.“ Sonst liefen doch auf allen Kanälen entweder „pseudoaktuelle Magazine“, Quiz- und Kochshows oder Krimis aus Tirol, Köln und dem Schwabenland. Tim, selbst Württemberger: „Die Drehbücher unterscheiden sich nicht. Nur der Dialekt der Mörder und Bullen.“

Im Studierstübchen jahrelang über einer These brüten – das ist vorbei

Dass hinter den aktuellen TV-Sendungen oft tage-, ja wochenlange Recherche liege, beschäftigte meine Tischnachbarn wenig. „Die werden es machen wie wir vor unseren Klausuren“, ver­mutete Tim. „Die arbeiten To-do-Listen ab, googeln durchs Netz nach Namen und Infos.“ Nein, ganz falsch ist das nicht, wie ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann. Nur echte Reporter schnüffeln noch in finsteren Ecken und dunklen Gassen.

Jasmin möchte jetzt direkt auf den Spuren von Herodot reisen und die Freunde überzeugen mitzufahren. Freddy runzelt die Stirn: „Wisst ihr überhaupt, wo der Herodot unterwegs war? In Griechenland, der Türkei, dem Iran, Syrien und Ägypten, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Und da willst du hin? Hast du heute mal Nachrichten gehört? Weißt du, was da los ist? Willst du Flüchtlinge abholen oder selbst eine Kriegstote werden?“ Gar nicht lustig.

Ja, doch! Sie hören und sehen auch aktuelle Sendungen. Und außerdem haben sie an der Uni auch Kommilitoninnen und Kommilitonen aus solchen Gegenden. Tim: „Die wissen ziemlich genau, was geht und was nicht. Die twittern und whats­appen mit ihren Kumpels zu Hause jeden Tag. Von denen erfährt man ’ne Menge.“

Multimedial zwischen jetzt und alten Zeiten, zwischen Twitter und Herodot. Das beruhigt mich, wie auch Jasmin und Freddy: „Solche Trumps gab es schon immer. Die bauten Mauern oder ­Pyramiden.“ Und die Sorte Merkel-Schulz? „Ja, auch. Aber die hockten eher in Athen rum, wo man lernte, mit Worten zu streiten.“

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