Tobias Hilfenhaus auf den Stufen seines mobilen Tattoostudios
Tobias Hilfenhaus vor seinem mobilen Tattoostudios: wunschlos glücklich
Katrin Binner
Organspende-Tattoo
Krebs? Er doch nicht!
Krebsdiagnose, Behandlung, Reha - danach änderte er sein Leben. Er wurde Tätowierer, eröffnete ein mobiles Studio, fährt auf Festivals. Das Geschäft läuft. Organspende-Tattoos aber sticht er kostenlos
Aktualisiert am 19.08.2024
4Min

Tobias Hilfenhaus, 41:

Ich wusste nicht, dass es ein "Organspendetattoo" gibt. Aber dann fragte mich eine Kundin, ob ich ihr das stechen würde. Ich ging auf die Seite des Vereins "Junge Helden", die klären junge Leute über die Organspende auf und haben auch das Tattoo entwickelt. Ich fand das so toll, dass ich sagte, ihr könnt mich gern in eure Deutschlandkarte aufnehmen – da stehen alle Studios drauf, die das Zeichen kostenlos stechen. Ich war der Erste in Hessen und wurde überrannt. Die Nachfrage ist echt riesig.

Meine älteste Dame war 75. Es war ihr erstes Tattoo. Sie hatte das von ihrer Nichte erfahren und brachte auch gleich ihre beiden Schwestern mit. Wir haben das Organspendetattoo mit den zwei Hälften, die ein Ganzes er­geben, auf den Unterarm gemacht, dazu noch eine Herzschlaglinie wie beim EKG.
Das Tattoo ersetzt keinen Organspendeausweis, das Z­eichen soll zum Gespräch anregen. "Oh, du hast ein neues Tattoo, was hat das denn für eine Bedeutung?" Denn letztlich werden immer die Angehörigen gefragt nach ­einer Zustimmung, deswegen sollten die Bescheid wissen.

In der Reha denkt er über sein Leben nach

Ich selbst habe keins, weil ich an erblich bedingtem Darmkrebs erkrankt war, die Ärzte wissen nicht, ob ich infrage käme. Ich dachte immer, mir wird so was nicht passieren, mein Körper ist doch super. Aber 2019 hatte ich unerträgliche Bauchschmerzen und bekam dann die Diagnose Darmkrebs. Drei Jahre vorher war meine Mutter an Darmkrebs gestorben.

Es war knapp. Nach der ersten Operation hatte sich mein Bauchraum entzündet. Meine Frau erzählte, sonntag­morgens hätte der Arzt angerufen, dass sie mich jetzt in den OP fahren und nicht wissen, ob ich es lebend wieder rausschaffe.

Bis dahin war ich Erzieher, und zwar gern. Sonst ­würde man sich diesen Stress und diese Lautstärke nicht antun. Aber dann, in der Reha, dachte ich darüber nach, was ich noch will im Leben, was ich mich aber nie getraut ­hatte, umzusetzen. Ich hab schon immer gern gemalt, bei Bekannten zum Beispiel ganze Kinderzimmerwände ­gestaltet. Und auf einmal war mir klar, dass ich tätowieren will. Ich machte in einem Studio ein Praktikum, lernte viel durch Zusehen, dann baute ich mir einen Campingwagen zum mobilen Studio um, damit fahre ich jetzt auf Festivals.

Mein neuer Beruf macht mich glücklich. Ich kann ­meine künstlerische Seite mehr ausleben, ich zaubere den Menschen ein Bild auf die Haut – alleine schon, wie die Leute strahlend aus dem Wagen gehen! Bei ihren Wunsch­motiven ist alles dabei, Blumen, viele Gedenktattoos für Verwandte und Freunde, aber auch der Pfotenabdruck vom Hund. Die Leute vertrauen mir. Das ehrt mich. Ich habe auch meinen eigenen Stil, ich arbeite sehr filigran, mit ganz dünnen Linien, fineline, das machen nicht so viele.

Und ich bin ein guter Zuhörer. Man ist ja lang mit den Leuten zusammen, ich hab Tattoos, die dauern vier ­Stunden. Ich erfahre oft von Schicksalen. Eine Frau wollte vier Vögel auf einem Ast haben, die Vögel standen für vier nahe Angehörige, die gestorben sind, manche durch Gewalt.

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Wir waren letztes Jahr auf 13 verschiedenen Festivals – zum Beispiel bei Rock im Park oder bei Woodstock. Meine Frau hatte nach meiner Erkrankung ihren Pflegebetrieb verkauft. Jetzt organisiert sie die Verträge und die Unterkünfte für die Festivals. Wir haben eine ganze Crew dabei, die machen vor dem Wagen die Terminkoordination, beraten die Leute und halten mir praktisch den Rücken frei, so dass ich von zehn Uhr morgens bis nachts um halb zwei tätowieren kann, drei Tage am Stück, manchmal vier.

Man muss oft schon anderthalb Tage tätowieren, um die ganzen Ausgaben zu bezahlen – etwa die Standmiete oder die Unterkunft für die Crew, aber am Ende verdient man schon Geld damit. Nur mit dem Organspendetattoo nicht, das ist einfach eine Herzensangelegenheit für mich. Dienstags ist immer mein Organspendevormittag, vom DRK kamen sie da zum Beispiel zu sechst, und weil das alles Ehrenamtliche sind, haben wir sie natürlich auch bewirtet. Derzeit bin ich krebsfrei, und genau so soll es auch bleiben. Ich gehe jedes Jahr zur Magen-Darm-Spiegelung und halbjährlich zum Onkologen für Ultraschall und Röntgen.

Neulich fragte mich meine Frau: Was wünschst du dir eigentlich zum Geburtstag? Ich sagte: Ich bin wunschlos glücklich.

Protokoll: Christine Holch

Das Organspendetattoo, das viele Studios ­kostenfrei stechen. Weitere Infos und Deutschlandkarte unter OPT.INK auf:  www.junge-­helden.org

Eine erste Version dieses Textes erschien am 4. März 2024.

Infobox

Mehr Infos über das Organspendetattoo gibt der Verein Junge Helden ; und hier eine Karte der Tattoo-Studios, die das Zeichen kostenlos stechen.

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