Die unverbesserliche Nichte
Kati Szilagyi
Die unverbesserliche Nichte
Stefanie Schardien, Pfarrerin in Fürth und "Wort zum Sonntag"-Sprecherin, beantwortet für chrismon jeden Monat kniffelige Lebensfragen.
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22.09.2021

Sabine W. aus Heilbronn fragt:

"Meine Nichte studiert in Wien. Will sie die Eltern und Geschwister in Stuttgart besuchen, nimmt sie immer einen Flieger. Ja, das sei klima­schädlich, sagt sie, aber nun mal viel billiger als mit der Bahn und zudem viel schneller. Geld allein würde sie also nicht zum Zugfahren verführen können. Als rad- und zugfahrende und sich Flüge verkneifende Tante komme ich mir da blöd vor. Was tun?"

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Stefanie Schardien

Stefanie Schardien wurde 1976 in Dortmund geboren und wuchs in der Herzlichkeit des Ruhrgebiets auf. Studium und Beruf führten sie an mehrere Orte: nach Heidelberg, Toronto und Bochum, zum Vikariat nach Hattingen/Ruhr, mit einer Juniorprofessur für Systematische Theologie an die Universität Hildesheim und als Kindergottesdienstpfarrerin nach Nürnberg Als Pfarrerin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern arbeitet sie seit 2016 im Team der Kirchengemeinde St. Michael in der Fürther Altstadt. Für Stefanie Schardien verbinden sich an diesem Ort die besten Eigenschaften von "Citykirche und Dorfgemeinde": "Die Gemeinde hat einen fröhlichen weiten Geist, der viel Kreativität ermöglicht; und gleichzeitig kennt man sich und kümmert sich umeinander." Den Sinn ihrer Arbeit sieht sie darin, gemeinsam den religiösen Fragen nachzugehen und die Antwortversuche des Glaubens zu übersetzen. Und dabei immer wieder auch von der christlichen Freiheit zu erzählen. "Denn die kann es mit all der Angst aufnehmen, die im Moment geschürt wird." Schardien ist überzeugt, dass viele Menschen großes Interesse an Themen haben, mit denen sich Theologie und Kirche beschäftigen. Darum verlässt sie auch gern einmal die Kirchenmauern: Seit langem ist sie für das Radio tätig, aktuell mit Evangelischen Morgenfeiern auf BR 1, und engagiert sich als Präsidiumsmitglied beim Deutschen Evangelischen Kirchentag.

Stefanie Schardien antwortet:

Wäre Klimaschutz bequem, ­hätten wir die entsprechenden Ziele wohl längst schon erreicht. Aber dann erweist sich Nach­haltigkeit schon im Kleinen als ach so teuer oder unpraktisch. Dass Ihre Nichte, die zur Fridays-­for-Future-Generation gehören müsste, in der Güter­abwägung den Klimaschutz so weit hintanstellt, darf schon ­etwas verwundern. Nun hat das Recht auf Unvernunft keine Alters­begrenzung. Auch nicht nach unten.

Wahrscheinlich weiß ihre Nichte selbst, dass ihr Zeitargument angreifbar ist: Mit oft recht freier studentischer Zeitgestaltung muss sie nicht jede knappe Stunde daheim zählen – und von Mama hört sie ja per Handy ohnehin schon täglich alle Neuigkeiten. Die Reisezeit könnte sie sicher gut zum Arbeiten nutzen. Rechnet sie außerdem ernsthaft zur Flugzeit auch An- und Abreise zum Flughafen, die Warterei bis zum Boarding und so weiter ein, schmilzt der Abstand zur Bahnfahrtzeit beträchtlich.

Doch sind wir realistisch: Vermutlich sagt ihre Nichte "Aber trotzdem" und fliegt weiter. Was bleibt Ihnen übrig? Bleiben Sie Vorbild! Und verschwenden Sie Ihre Energien nicht in hochgezogene Augenbrauen. Lassen Sie lieber einfach im Nebensatz immer ­wieder fröhlich fallen, dass Sie eben gern das Klima schützen, weil Ihre Nichte es durchaus noch ein paar Jahrzehnte länger brauchen wird.

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Da der Tante sehr wichtig ist, dass auch ihre Nichte sich umweltfreundlich verhält, könnte sie ihr anbieten für eine Probefahrt mit der Bahn die Differenz zwischen Bahn- und Flugticket zu zahlen.
Ansonsten wundere ich mich, wie oft in der Rubrik "Andererseits" Texte mit dem Subtext "ich mache es richtig/ ich bin die Gute" auftauchen. Da steckt eine gehörige Portion Selbstgefälligkeit drin.
Mit freundlichen Grüßen
Annegret Tilk-Kann
Burgdorf