Ich nehme Abschied von New York. Nach sechs Jahren Auslandsdienst verlasse ich diesen besonderen Ort, deren multikulturelle Lebenswelt mir ans Herz gewachsen ist. Ich erlebte, wie diese immer wieder bedroht ist und engagierte mich für Friedens- und Versöhnungsarbeit. Vor einem Jahr nahm ich an einem Solidaritätsmarsch teil, nachdem es Angriffe auf Schwarze und ultraorthodoxe Juden gegeben hatte. Wir liefen zu Tausenden über die Brooklyn Bridge. Ich knüpfte in den Jahren viele Freundschaften mit jüdischen Glaubensgeschwistern.
Miriam Groß
Ich arbeitete als ehrenamtliche Seelsorgerin für die hiesige Polizeistation. 2015 hat das New York Police Department (NYPD) Maßnahmen eingeführt, um die Polizei mehr in die Viertel einzubinden und so das gegenseitige Vertrauen zu stärken.
Vieles ist mir vertraut geworden in den Jahren hier. Was mir immer fremd blieb: Die Normalität, mit der die Gesellschaft mit Waffen umgeht, und – als Folge davon – die drohende Eskalation. Auch deshalb verlasse ich New York mit sehr gemischten Gefühlen. Als Trumps Anhänger das Kapitol in Washington stürmten, das Symbol der US-amerikanischen Demokratie, erfasste uns eine Schockstarre. Die politischen Entwicklungen in den Vereinigten Staaten von Amerika sind ein Lackmustest nicht nur für dieses große Land, das sich als "Leader of the Free World" sieht, sondern für die gesamte westliche Demokratie.