"Kein Netz!" – "Das ist ja furchtbar!" – "Entsetzlich!" Die Menschen, die mit mir maskiert im Wartezimmer saßen, nutzten die Chance, ihre Isolation zu ertragen: Den Blick von Handy oder Tablet nehmen und ihren Ärger miteinander teilen. In einer vollen Arztpraxis ist es verdammt schwer, dem lateinischen Wortsinn des "Patienten" zu entsprechen, nämlich "Geduldige" und "Ertragende" zu sein.
Arnd Brummer
Als ich diesen Hinweis gab, erntete ich seitens der Sitznachbarinnen und -nachbarn Kopfnicken, vermutlich mit heruntergezogenen Mundwinkeln. Eine jüngere Frau mit Halsverband steckte ihr Handy ein und sagte: "Genau. Ich schlage vor, dass wir mal darüber reden, was uns derzeit nervt. Und ich bitte darum, nicht mit den allgemeinen Corona-Problemen anzufangen. Die höre ich ja in jeder Fernsehtalkrunde! Ich heiße Susi."
Ihr Gegenüber, ein rundlicher Rentner namens Otto, nahm den Ball auf. "Winter und Lockdown sind eine grässliche Kombi! Draußen ist es dunkel und kalt. Und drinnen kannst du nirgendwo gemeinsam Abwechslung genießen. Weder im Kino noch in der Pizzeria oder bei einem Konzert. Also schaltest du die Glotze ein . . ." – ". . . und oft gleich wieder aus!", fiel ihm der ein paar Jahrzehnte jüngere Martin ins Wort. "Aber nach dreißig Seiten Krimi, fünf Kreuzworträtseln oder Sudokus mache ich den Fernseher doch wieder an."
Ich finde zuschauerlose Arenen ohne Geschrei sogar angenehmer
"Und was guckst du dann?", wollte Susi wissen. "Auf keinen Fall die von dir erwähnten Talkshows mit Gesundheitspolitikern und Virologen. Vielleicht mal ’ne Doku oder einen labbrigen Krimi", erklärte Martin und wandte sich an mich. Vermutlich, weil ich seine Einlassung mit beifälligem Nicken begleitet hatte: "Und was schaust du an?"
Ich ließ die anderen wissen, dass ich ein TV-Sportsüchtiger sei. Ob Darts, Snooker, Handball oder Tennis – ich entspanne mich am liebsten bei Liveübertragungen aus Sporthallen und Stadien. Daran hat sich unter Lockdown-Bedingungen nichts geändert. Ich finde zuschauerlose Arenen ohne Geschrei sogar angenehmer.
"Was hältst du vom Wintersport, der gegenwärtig überall gezeigt wird?" Ottos Frage traf einen wichtigen Punkt. Ich fühle mich Sportarten verbunden, in denen Spiel, Kampf und Wettbewerb mit unterschiedlichen Talenten ausgetragen werden. Das wird sichtbar auf Tennis- oder Fußballplätzen, beim Eishockey oder beim alpinen Slalom. Technische Qualität, athletische Kraft oder taktisches Geschick machen Spiele und Kämpfe spannend. Die Vielfalt der erforderlichen Gaben verhindert, dass man vorher schon weiß, wie es ausgeht. Deshalb schätze ich Biathlon. Die beste Läuferin macht beim Schießen Fehler und gibt einer grandiosen Schützin die Chance, ihr Langlauf-Defizit auszugleichen. Und mich langweilen Übertragungen von Rodelrennen. Ich möchte nicht dabei zusehen, wie dreißig Leute flach auf ihren Schlitten liegend einzeln ins Ziel brausen.
"Der Nächste bitte!", ruft die Helferin ins Wartezimmer und nennt meinen Namen. "Dankeschön!", ruft Susi mir zu, "wir werden den Biathlon gegen Praxis-Langeweile und theoretischen Stumpfsinn fortsetzen. Tschüss!"