Begrüßungsgeld: Die Zange
Sophie Kirchner
"Wenn ich die kaufe, habe ich was fürs Leben"
Christian Elsner, 48, war fasziniert von der Zange: Die Qualität! Das Handling!
Julia Steinigeweg
Julia Steinigeweg
20.09.2019

Ich verurteile heute noch die ­Leute, die damals in der DDR nach den Regeln gespielt haben. Ich bin da nachtragend. Zwei Mal war ich bei Klassentreffen, und es hat mich angekotzt, dass ich immer noch der Außenseiter war. Meine Freunde haben sich zum Beispiel durch die GST, die Gesellschaft für Sport und Technik, ihren Führerschein finanziert. Ich hatte meinen Mopedführerschein auf eigene Rechnung gemacht, weil ich nicht in Uniform über den Platz rennen wollte. Daraufhin meinten die anderen: "Bist du doof?" Das wird mir heute immer noch vorgehalten: "Christian, warum hast du damals nicht mitgemacht? Warum hast du nicht die Vorteile des Ostens genossen?"

Und so zog sich das weiter. Meine Familie war nicht im Freien Deutschen Gewerkschaftsbund. Wenn alle an die Ostsee fuhren, waren wir eben zelten. Ich habe später auch keine Wohnung bekommen, weil weder ich noch die anderen in meiner Familie gedient hatten. Ich bin dann bei meiner Oma eingezogen, mit Plumpsklo auf dem Hinterhof und nur einem Wasserhahn im Haus.

Julia Steinigeweg

Sophie Kirchner

Sophie Kirchner, ­geboren in Ostberlin, war fünf Jahre alt, ­als die Mauer fiel. Die ­Erwachsenen um sie herum, sagt sie, seien damals so glücklich, so euphorisch gewesen – ­das habe ihr Angst gemacht. Seit 2014 ist das Begrüßungsgeld ihr Thema, sie fotografiert Ostdeutsche und deren Käufe – und fragt danach, was sie ­erlebt haben.

Damals hatte ich Kontakt zu Aussiedlern, Oppositionellen und der Friedensbewegung, ich bin überall mitgerannt. Wurde mehrfach zur Stasi vorgeladen. Weil ich von meiner Oma aus Lübeck einen Bundeswehrparka geschenkt bekommen und den morgens zum Fahnenappell ­anhatte. Oder weil ein Lese­zeichen der Kirche in meinem Buch steckte, Schwerter zu ­Pflug­scharen . . .

Solche Zangen gab es im Osten nicht

Dass 1989 keine Schüsse an den Grenz­über­gängen ge­fallen sind, grenzt an ein Wunder. Durch die Montagsdemonstrationen in ­Leipzig kannte ich die Staatsgewalt. Die konnte auch anders!

Das Begrüßungsgeld war ja eine freundliche Geste, aber wie sich einige Ossis ver­halten haben und das ausnutzten, das war wie Ausverkauf. Erst mal wusste ich gar nicht, was ich mit dem Geld sollte. Und dann bin ich nach ­Spandau und habe mir die Zange geholt, die ich da in einem Werkzeugladen gesehen hatte. Solche Zangen gab es im Osten nicht. Diese Technologie mit dem Schnellverschluss und den ­metrischen Schraubenmaßen, die ­einen Werkzeugkasten er­setzt. Und auch die Qualität und Leichtigkeit, das ergonomische Handling, war was völlig anderes, als was wir im Osten hatten. Ich wusste damals schon: Wenn ich die kaufe, habe ich was fürs Leben! Ich war fasziniert von dem Ding, es war ab dann mein Baby.

Es hat sich nach der Wende zehn Jahre lang alles nur noch ums Geld gedreht

Diese Wende-Euphorie ging ja nur ein bis zwei Jahre, und dann kam das böse Erwachen. Viele sind in den Westen gegangen, darunter auch Handwerker. Viele Freunde und Be­kannte. Das Netzwerk ging verloren, und der Ersatz für Zusammenhalt und Miteinander wurde plötzlich Geld. Es hat sich nach der Wende zehn Jahre lang alles nur noch ums Geld gedreht. Der Kapitalismus hatte uns voll eingeholt, mit aller Härte.
 

Was würden Sie sich heute kaufen, wenn ­Ihnen der Staat 100 Euro schenken würde?

Ein Okuliermesser. Ich habe einen großen Obstgarten und möchte in Zukunft Obst­bäume veredeln, neue Sorten entdecken und alte erhalten. Wieder ein Werkzeug. So schließt sich der Kreis.

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