Der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime, Aiman Mazyek, in der evangelischen Laurentiuskirche im bayerischen Altdorf
Der Auftritt des Vorsitzenden des Zentralrates der Muslime, Aiman Mazyek (Foto), in der evangelischen Laurentiuskirche im bayerischen Altdorf ist am Montagabend (31.10.2016) ohne Stoerungen verlaufen. Dass der Altdorfer Dekan Joerg Breu Mazyek eingeladen hatte, am Reformationstag in der Kirche zu sprechen, hatte zuvor fuer viel Wirbel gesorgt. Rechtspopulisten hatten eine Versammlung unter dem Titel "Keine Islamschweinerei in Altdorf" angemeldet. Rund 400 Menschen demonstrierten vor der Kirche gegen Islamfeindlichkeit und staerkten dem prominenten Redner den Ruecken. Mazyek sprach in der vollbesetzten Kirche ueber die Demokratie, die stets aufs Neue erkaempft und verteidigt werden muesse gegen Rassismus, religioesen Extremismus und politischen Fundamentalismus. Nach seiner Rede applaudierten ihm die Zuhoerer stehend. (Siehe epd-Bericht vom 01.11.2016)
Peter Roggenthin/epd-bild
"Wir sind bereit, bis zum Bundesverfassungsgericht zu gehen"
Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime beklagt sich über das Gerichtsurteil zum islamischen Religionsunterricht und die Unbeweglichkeit der Politiker
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
16.03.2018

chrismon: Herr Mazyek, wie beurteilen Sie die Situation des islamischen Unterrichts an den staatlichen Schulen in Deutschland?

Aiman Mazyek: Leider wird bislang nur ein Bruchteil der muslimischen Schüler an staatlichen Schulen, zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen, Hessen oder Niedersachsen, unterrichtet. Die vollmundige Aussage der Politik, wir hätten schon islamischen Religionsunterricht, trifft also nur teilweise zu. Der Unterricht wie auch die Lehrerausbildung an den Universitäten müssen also erst noch stark ausgebaut werden, sonst bleibt es eine Nischenveranstaltung. Es gibt in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel islamischen Religionsunterricht an etwa 200 Schulen und 200 Lehrerinnen und Lehrer. Damit werden etwa 20 000 Schüler erreicht – aus einer Gesamtzahl von 360 000 muslimischen Schülern. Das bedeutet also: Nach fast zehn Jahren erreicht das Angebot erst fünf Prozent. Im Sekundarbereich II gibt es weniger als zehn Schulen. Und das alles im größten Bundesland mit über einer Million Muslimen.

Das Oberverwaltungsgericht Münster hat am 9. November 2017 letztinstanzlich entschieden: Der Zentralrat der Muslime ist keine Religionsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes – deshalb hat er auch keinen Anspruch auf die allgemeine Einführung des islamischen Religionsunterrichts an staatlichen Schulen in Nordrhein-Westfalen. Hat das Gericht recht?

Zentralrat der Muslime

Aiman Mazyek

Aiman Mazyek, geboren 1969 in Aachen, ist Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD) mit Sitz in Köln.

Mazyek: Nein. Wir haben deshalb gegen das Urteil eine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Wenn sie nicht greift, sind wir bereit, bis zum Bundesverfassungsgericht zu gehen. Das sind wir den Schülerinnen und Schülern, aber auch den Lehrerinnen und Lehrern schuldig. Was die Verfasstheit der islamischen Religionsgemeinschaften angeht, zum Beispiel ihre Größe und die Verlässlichkeit ihres Bestands, die Durchlässigkeit von oben nach unten und umgekehrt, haben wir längst die Voraussetzungen erfüllt, als Religionsgemeinschaft anerkannt zu werden. Das Problem ist: Die Kennzeichen der Kirchen lassen sich nicht einfach eins zu eins auf die Muslime übertragen. Statt dass das Gericht aber unser Religionsverfassungsrecht im Sinne der Rechtsfortbildung versteht und sozusagen auch das Wesen der muslimischen Gemeinden und die dahinter stehenden Religionsgemeinschaften "erfasst", hat es päpstlicher als der Papst schroff die aus unserem Glaubensbekenntnis erwachsene Pluralität und Vielfalt moniert. Es hat zudem noch nicht einmal die von der nordrhein-westfälischen Landesregierung in Auftrag gegebenen und in Bezug auf den Status des ZMD als Religionsgemeinschaft für uns überaus positiven Gutachten in die Bewertung einfließen lassen. Das ist kein verfassungskonformer Umgang mit den muslimischen Religionsgemeinschaften, die über 30 Jahre lang aktiv sind und deren Mitgliedsorganisationen zum Teil älter als ein halbes Jahrhundert sind. Aber es entspricht wohl in etwa dem Stand des derzeitigen Diskurses über "den" Islam in Deutschland, der auf der Stelle tritt.

"Die Beschlüsse unseres Gelehrtenrats sind für alle verbindlich"

Im Urteil hieß es, Sie hätten keine ausreichende Lehrautorität gegenüber den Mitgliedsverbänden.

Mazyek: Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben einen Gelehrtenrat, der als religiöse Autorität mit seinen Entscheidungen eine Verbindlichkeit für unsere Gemeinschaften herstellt. Das kommt auch in unserer Satzung und den Landessatzungen klar zum Ausdruck, denn die Beschlüsse sind für alle verbindlich. Das bedeutet aber nicht, dass wir die angesprochene, aus dem Glaubensverständnis resultierende Vielfalt an gleichwertigen Lehrmeinungen von Gelehrten zu einzelnen Fragen der Glaubenspraxis negieren würden. Diese wichtige Differenzierung hat das Gericht leider nicht erfasst. Jahrelang appelliert man an die Muslime, an ihre Vielfalt im Glauben, und dann akzeptiert man gerichtlich nur Konformität und Eintönigkeit, obgleich das Religionsverfassungsrecht das gar nicht erzwingt.

Wie beurteilen Sie die Möglichkeiten und das Profil des Islamstudiums an den staatlichen Universitäten in Deutschland?

Mazyek: Vor zehn Jahren haben wir eine Anfrage des Deutschen Wissenschaftsrats bekommen, ob wir islamische Lehrstühle an den Universitäten unterstützen würden. Dazu waren wir sofort bereit. Inzwischen haben wir schon einiges erreicht, aber noch nicht genug. Die fünf, sechs Zentren derzeit reichen nicht. Wir möchten zum Beispiel zusätzlich die Imamausbildung an den deutschen Universitäten installieren. Das geht aber nur zusammen mit den islamischen Religionsgemeinschaften.

An der Humboldt-Universität Berlin entsteht zurzeit ein Institut für Islamische Theologie. Der Zentralrat soll über einen Beirat vertreten sein. Funktioniert die Mitarbeit der Verbände über einen Beirat?

Mazyek: Der entsprechende Vertrag ist noch nicht abgeschlossen, steht aber vor der baldigen Unterschriftsreife. Die Beiratslösung ist ein mögliches, aber gleichsam hinkendes Modell und kann nur eine Übergangslösung sein, weil es ein Sonderrecht ist. Eigentlich sollte es so sein, dass die Religionsgemeinschaften direkt an der Etablierung der islamischen Theologie beteiligt werden, so wie es bei der katholischen und evangelischen Kirche ist. 

"Bisher haben wir von Klagen abgesehen"

Warum werden nicht mehr muslimische Organisationen als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannt?

Mazyek: Es gibt verschiedenste Gründe. Man könnte ganz weit zurückgreifen. Es liegen seit Jahren Anträge des Islamrats und des Verbandes der islamischen Kulturzentren (VIKZ) bei den Ländern vor. Wir vom ZMD sind bisher so gefahren, dass wir von Klagen absehen und wie in Hamburg, Nordrhein-Westfalen oder Niedersachsen unter anderem auf Staatsverträge und gemeinsame Vereinbarungen setzen. Das ist aber inzwischen in der muslimischen Gemeinschaft sehr umstritten, weil die Ergebnisse mehr als bescheiden sind und ursprüngliche Vereinbarungen – zum Beispiel ein Staatsvertrag in Niedersachsen und der Anerkennungsprozess über Gutachten in Nordrhein-Westfalen – von der Politik nicht umgesetzt oder mindestens auf Eis gelegt sind.

Tut es Ihnen eigentlich weh, dass andere islamische Religionsgemeinschaften, zum Beispiel die Ahmadiyya in Hessen, schon lange als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannt sind?

Mazyek: Wir haben es damals in einer Pressemitteilung sehr begrüßt, dass andere Religionsgemeinschaften diesen Status erhalten. Denn dies beweist ja die Flexibilität unseres Rechts und stärkt das Religionsverfassungsrecht.

Was könnte besser werden in der Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen?

Mazyek: Unsere Gesellschaft ist weiter fragil, was das öffentliche Reizthema "Gewalt und Terror" im Kontext des Islams angeht. Durch den Einzug der Alternative für Deutschland (AfD) in fast allen Parlamenten umso mehr. Das belastet das Fortkommen bei den Bildungs- und Strukturfragen. Was weltweit passiert, wird in diesen Diskurs eins zu eins hineingetragen. Dieser mittlerweile seit Jahrzehnten anhaltende Misstrauensdiskurs über "den" Islam lähmt die weitere Institutionalisierung und erschwert damit, dass sich die Strukturen für deutsche Muslime festigen. Dieser Diskurs verlangt von uns immer wieder, unsere ablehnende Haltung zum Extremismus zu erklären, obgleich sie zigfach mit Wort und Tat bewiesen ist. Damit verlieren wir viel Zeit und Kraft.

Auf den islamischen Religionsunterricht wartet inzwischen die fünfte Generation. Es sind längst deutsche Kinder. Gar nicht zu reden von der Königsdisziplin, der Ausbildung von Imamen oder Seelsorgerinnen. Auf der muslimischen Seite wird der Fehler gemacht, dass sich nicht wenige weiter auf eine Ethnisierung des Islams in Deutschland einlassen und auf ihre ehemaligen Herkunftsländer setzen. Das ist ja keine Sünde, es hat sicherlich auch seinen Platz in einer plural ausgerichteten Religionsgemeinschaft. Es bringt uns aber mittelfristig in Deutschland nicht weiter. Die fehlende Zukunftsfähigkeit in Teilen der islamischen Religionsgemeinschaft und der fehlende Gestaltungswille in Teilen der Politik verschlimmern diesen Trend noch.

Wo findet heute die Ausbildung der in Deutschland tätigen Imame statt?

Mazyek: Wenn es nach dem Zentralrat ginge, hätten wir das schon lange in einigen der Islamischen Zentren installiert. Wir haben in einigen Bundesländern auch schon Zwischenschritte und Alternativvorschläge unterbreitet. Aber es hapert an der Umsetzung. Wir stellen uns das Konzept der Imamausbildung vergleichbar der Ausbildung von Pfarrern bei den Kirchen vor. Sie soll gemeinsam von der Religionsgemeinschaft und der Universität durchgeführt werden. Wie in den Priesterseminaren der katholischen Kirche müssen das Curriculum und die praktische Ausbildung in der Gemeinde von der Religionsgemeinschaft verantwortet werden, so wie es das Grundgesetz wegen der Neutralität des Staates auch vorsieht. Die Imame sollen ja später in den Gemeinden arbeiten.

Universität und Moschee sind hierbei Partner beziehungsweise sie sollen es sein. Dies würde dann für das nötige Vertrauen sorgen, damit die Gemeinden eines Tages diese Imame und Seelsorger übernehmen. Künstliche Unterscheidungen zwischen "konservativ" oder "liberal" führen zu nichts und tragen zur weiteren Politisierung der Debatte bei. Es gibt einen Islam, aber keinen liberalen, konservativen oder extremistischen. Auch die Fundamentalisten verstehen das nicht.

"Die eine Hälfte der Ausbildungskosten könnten die Gemeinden tragen, die andere der Staat"

Auch die Finanzierung dieser Ausbildung müsste bedacht werden. Einer unserer Vorschläge für den Übergang: Wir nutzen die bestehende Lehrerausbildung und schaffen dort ein zusätzliches Modul "Seelsorge in der Gemeinde". In der Ausbildung könnten die jungen Leute dann zu 50 Prozent von einer Gemeinde finanziert werden, zu 50 Prozent durch den Staat, da sie als Lehrer tätig sind. So wäre die Neutralität des Staates nicht angetastet, wir hätten eine tragbare Finanzierung, die die Gemeinden mit ihren anderen finanziellen Belastungen vereinbaren könnten. Und wir hätten einen wichtigen Pflock gesetzt, um deutschsprachige, hier aufgewachsene und der deutschen Kultur und Mentalität affine Imame in den Moscheen zu haben.

Könnten Sie das als Zentralrat allein durchziehen oder müssten Sie andere Verbände wie zum Beispiel die Ditib mit ins Boot nehmen?

Mazyek: Unsere Haltung war immer: Ohne Ditib oder nur mit ihr allein sollte eine Institutionalisierung des Islams nicht gehen. Daran hat sich nichts geändert. Derzeit wird ein großer Teil der Imame, etwa 1000 – wir haben rund 2500 Gemeinden in Deutschland - von Ankara bezahlt und dort ausgebildet. Ein kleiner Teil von ihnen stammt inzwischen aus Deutschland, spricht die deutsche Sprache, was wir sehr begrüßen, und absolviert seine Ausbildung in Ankara. Einige dieser Imame sind auch in anderen als den Ditib-Moscheen tätig, vorrangig in türkischen. Ein Paradigmenwechsel hin zu deutschen Imamen geht nur über die Installierung einer verfassungsgemäßen Imamausbildung in Deutschland, die es derzeit so nicht gibt. Es sind Übergangsregelungen mit Diyanet zu vereinbaren, und die politische Seite sollte sich endlich dem Thema der Finanzierung widmen.

Der andere Teil der Imame, zum Beispiel auch in den Moscheen des Zentralrats der Muslime, setzt sich zusammen aus Akademikern, die hierzulande Islamwissenschaft oder im Ausland studiert haben, oft aber keine klassische Imamausbildung genossen haben. Der Verband der Islamischen KuIturzentren (VIKZ) wiederum bildet hierzulande Imame im Rahmen eigener Lehrgänge aus.

Wo begegnen Ihnen antimuslimische Feindbilder in Deutschland? Fühlen sich Mitglieder Ihres Verbandes bedroht?

Mazyek: Morddrohungen oder Ankündigungen von Anschlägen passieren immer wieder, auch gegen mich persönlich. Es gibt viele justiziable Drohungen gegen Geschäftsstellen des Zentralrats. Über bestimmte Zeiträume standen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter Polizeischutz, wenn sie die Geschäftsstelle betraten oder verließen. Es gibt gelegentlich Anschlagspläne, die dann zufällig öffentlich werden, wie die des inzwischen suspendierten Bundeswehroffiziers. Antimuslimische Hetzkampagnen in sozialen Medien haben in den vergangenen Jahren extrem zugenommen. Die weiter stetig steigende Zahl von Übergriffen auf Muslime und Anschläge auf Moscheen oder auch Flüchtlingsunterkünfte sprechen Bände und machen deutlich, dass antimuslimischer Rassismus eine ernstzunehmende und gesamtgesellschaftliche Bedrohung in unserem Lande darstellt. Dies wird kaum als Bedrohung wahrgenommen, der Focus wird immer noch auf den religiös-muslimisch motivierten Extremismus gelegt. Die Zahlen sprechen aber eine andere Sprache. Laut Verfassungsschutz gibt es derzeit 400 muslimische Gefährder, aber über 10 000 gewaltbereite Rechtsextremisten.

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