Der Reformator Martin Luther war ein großer Schreiber. Er schrieb (wie Ludwig Börne dies Jean Paul nachrühmte) „mit dem Blut seines Herzens und dem Saft seiner Nerven“. Er war sprachgewaltig, wirkungskräftig. Sein Schreiben war Schatzgräberei. Bei der Übersetzung der Bibel ins Deutsche hat er viele Redewendungen geschaffen, die bis heute weit verbreitet sind: „Jemanden auf Händen tragen“ gehört beispielsweise dazu. Aber auch Begriffe wie „Denkzettel“, „Feuereifer“ oder „Rüstzeug“. Gottfried Herder hat ihn deshalb so gerühmt: Luther habe „die deutsche Sprache, einen schlafenden Riesen, aufgeweckt und losgebunden“.
Die Reformation muss immer weitergehen
Die Reformationsfeiern haben daran erinnert, was der große Publizist Luther, der er auch war – mit anderen philosophischen und theologischen Denkern und auch Denkerinnen –, alles so angestoßen und bewirkt hat. Aber klar ist natürlich auch, dass wir ihn immer vor dem Hintergrund seiner Zeit sehen müssen. Mit allen Stärken, mit seiner Bedeutung, aber auch mit seinen Schwächen. Und klar ist, dass die Reformation immer weitergehen muss.
Theologie und Journalismus trennt manches und eint vieles: Beide sind auf der Suche nach Wahrheit, beide sollen sich für Grundrechte einsetzen. Beide reden gern über Aufklärung: Was aber ist Aufklärung? Alte Lexika weisen darauf hin, dass der Begriff mit Klarheit und mit Klären zu tun hat. Aufklärung meint demnach, eine Sache hell, klar und verständlich zu machen; manchmal meint das Wort auch klarstellen, klarlegen. Aber kämpfen wir ausreichend gegen Vorurteile, gegen Autoritätsdenken? Stellen wir die Dinge wirklich klar? Verstecken wir uns nicht zu oft hinter Formeln?
Vieles wird doch immer noch glatt weggebügelt: Das Elend der Flüchtlinge, die Not der Armen, die Klimakatastrophe, die Weltungerechtigkeiten und die Sorge um die bedrohte Schöpfung. Wir reden im Alltag manchmal darüber, Theologen predigen manchmal darüber, wir schreiben manchmal darüber, und dann sind wir schon wieder beim nächsten Thema: Kennen wir doch alles – alles erledigt, schon gesagt.
Hans Leyendecker
Die Bibel, die Luther übersetzt hat, die „Schrift“, ist das Buch des Lebens und auch das Buch der Gerechtigkeit. Sie bezeugt mit vielen Texten, dass Gott Partei für die Armen, die Schwachen ergreift. Auch guter Journalismus muss immer die Schwachen im Blick behalten. Dieser Journalismus soll informieren, er soll klug machen. Er darf nicht hetzen und darf auch als vierte Macht einspringen, wenn die drei Gewalten versagen oder nicht ausreichen. Weil Unrecht nicht Recht werden, weil Korruption nicht siegen darf, weil Waffengeschäfte Dreckgeschäfte sind, muss sich guter Journalismus auch um diese Themen kümmern. Unsere Welt ist zu retten, sie muss verbessert werden. Weltverbesserer ist übrigens ein Ehrentitel. Das gilt für beide Berufe. Miesmacher haben wir genug.
Journalisten und Theologen müssen sich mühen, möglichst viele Lebenswelten zu erreichen
Wir leben in einer fragmentierten, segmentierten Gesellschaft. Das spüren Journalisten, das spüren die Kirchen. Zeitungen verlieren Leser. Kirchen verlieren Kirchgänger. Luther sprach vom „Platzregen“ Gottes; der regnet woanders in der Welt, aber nicht in Deutschland. Journalisten und Theologen müssen sich dennoch mühen, möglichst viele Lebenswelten zu erreichen.
In der Welt der Medien geschieht das immer häufiger dadurch, dass Journalisten auf der ganzen Welt zusammenarbeiten. Bei den „Panama Papers“, die gezeigt haben, wie der große Steuerbetrug funktioniert, wie Kleptokraten ihre Länder ausplündern, arbeiteten Journalisten aus fast achtzig Ländern gemeinsam. Jeder bearbeitete vor allem den Skandal, der für sein Land wichtig war, aber viele recherchierten auch bei anderen Affären in anderen Ländern mit. Ein Zündholz allein macht nur wenig Licht, aber Tausende Zündhölzer brennen schon viel heller.
Der bibelkundige Journalist Heribert Prantl hat angesichts der neuen Kooperationen, die es gibt, davon gesprochen, dass die „Ökumene sozusagen bei den Journalisten“ angekommen sei. Das ist ein schönes Bild: journalistische Einheit in Vielfalt. Und wie ist es mit der Ökumene der Kirchen? Die Laienbewegungen, so scheint es, sind in den vergangenen Jahren ein gutes Stück vorangekommen. Der engagierte christliche Glaube hat eben mehr Verbindendes, als die jeweilige konfessionelle Heimat Trennendes hat. Die Gemeinsamkeit der Aufgaben wird nicht durch Unterschiede und Differenzen bestimmt.
Man muss jedem seinen Glauben glauben und dabei gemeinsam vorgehen
Und alle haben jetzt das Glück, dass mit Franziskus ein Papst da ist, der Hoffnung macht. Ein Papst, der weiß, dass auch seine Kirche mehr Freiheit braucht, weil sie sich sonst ins Abseits stellt. Seine Enzyklika „Über die Sorge für das gemeinsame Haus“ wendet sich an alle Menschen, alle Kirchen. Wir sollten jetzt aufs Tempo drücken, weil mit ihm manches möglich scheint, was vielleicht nach ihm nicht so einfach zu erreichen sein wird. Schwierige Themen wie Kirchenverständnis, Abendmahlsverständnis, Amtsverständnis sind auch mit diesem Bischof in Rom nicht verschwunden, aber es gibt doch ein hohes Maß an Gemeinsamkeiten.
Seit der Weltmissionskonferenz in Edinburgh im Jahr 1910 sind wir schon ein Stück weitergekommen. Bei der wechselseitigen Anerkennung der Taufe und auch sonst. Ökumene ist nichts Extravagantes, sondern muss Alltag werden. Dabei muss das eigene Profil der jeweiligen Kirchen nach innen und außen wahrnehmbar bleiben. Man darf nicht den kleinsten gemeinsamen Nenner suchen, denn der würde am Ende alle ärmer machen. Man muss bei der Ökumene jedem seinen Glauben glauben und dabei gemeinsam vorangehen.
Bei Johannes 17,21 findet sich die Auflösung dieser Frage: „...dass sie alle eins seien... auf dass die Welt glaube...“ Es kann gelingen. „Ich setzte den Fuß in die Luft und sie trug“, hat die Schriftstellerin Hilde Domin einmal geschrieben.