chrismon: Sie haben Ihren Arbeitgeber, die Bundesagentur für Arbeit, öffentlich kritisiert. Warum haben Sie nicht gekündigt?
Inge Hannemann: Ein falsches System lässt sich nur durch Widerstand von innen und außen aufdecken. Den Protest von außen gegen Hartz IV gab es – den von innen nicht.
chrismon: Was kritisieren Sie an Hartz IV?
Hannemann: Vor allem die Sanktionspraxis. Wenn ein Erwerbsloser einer Einladung nicht folgte, musste eine Sanktion folgen. Es gibt aber viele Menschen, denen der Druck durch unsere Arbeitsmarktgesetze die Kraft raubt, sie werden lethargisch. Andere hatten schlicht kein Geld für eine Fahrkarte. Solche Leute habe ich – wenn sie einverstanden waren – zu Hause besucht, statt ihnen gleich die Leis-tung zu streichen. Aber Mitdenken war nicht erwünscht.
chrismon: Sie wurden in eine andere Behörde versetzt. Die Bundesagentur erklärte, Sie seien keine Whistleblowerin, die Missstände aufdecke, weil es keine gebe. War Ihr Protest umsonst?
Hannemann: Nein! Wir haben 90 000 Unterschriften gesammelt, um die Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger abzuschaffen. Der Petitionsausschuss des Bundestages hat sich mit unserem Anliegen befasst. Darüber ist noch nicht entschieden. Aber zum ersten Mal seit zehn Jahren denkt die Politik darüber nach, die Sanktionspraxis zu entschärfen.