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Hoffnungsvolles Kairo
Ausgelassen und euphorisch - so war die Stimmung in Kairo kurz vor dem Sturz des Präsidenten Mursi
18.07.2013

In den letzten Tagen der Mursi-Regierung war ich auf dem Tahrir-Platz, die Fernsehbilder hatten mich dorthin getrieben. Den gut einstündigen Weg von unserem Pfarrhaus ging ich zu Fuß. Die Stimmung auf den Straßen war ausgelassen und euphorisch. Die Menschen schwenkten Fahnen, hupten, tanzten. Von Gewalt und Hass keine Spur. Eine große friedliche Menge, die selbst darüber staunte, was sie erreichen kann.

Ich habe mich als Europäer sehr wohlgefühlt unter den Demonstrierenden. Einer von ihnen fragte mich, woher ich komme und was ich arbeite. Als ich sagte: Pfarrer aus Deutschland, lächelte er, zeigte zum Himmel und nickte anerkennend.

Am Tag des Referendums gegen Mursi haben wir im Pfarrhaus einen Gottesdienst gefeiert. Viele Gemeindemitglieder waren schon im Sommerurlaub, aber wir waren doch zehn Leute. Zwei Frauen kamen direkt vom Tahrir-Platz, eine mit aufgemalter Ägyptenflagge auf der Wange. Ein Ägypter hatte sie auf seiner Vespa mitgenommen. Wir sprachen das Ökumenische Friedensgebet, das dieses Jahr aus Ägypten kommt. Wir zündeten Kerzen an, nahmen uns Zeit für Stille.

Und dann redeten wir: Eine ältere Dame, die seit 50 Jahren hier lebt, hegte noch Zweifel am Erfolg des Protestes, freute sich aber über das politische Engagement der jungen Menschen. Ein Mitarbeiter einer deutschen Stiftung warf die Frage auf, wie demokratisch die Demonstrationen seien. Sollte ein ge­wählter Präsident der Straße weichen?

Wir leben gerne in diesem Land. Wir fühlen uns als Gemeinde nicht verfolgt oder benachteiligt, sondern erleben viel Offenheit und Gastfreundschaft. Vielleicht haben es ausländische Christen leichter als einheimische. Wir hoffen und beten, dass eine neue politische Führung allen Glaubensgemeinschaften Freiheit gewährt und die wichtigen Probleme in Angriff nimmt: Nicht der islamische Staat treibt die Menschen auf die Straße, sondern die de­solate Wirtschaft und die grausame Armut.

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