Illustration: Marco Wagner
Sozialengagement mit dem Leben bezahlt
Oscar A. Romero, der ermordete Kritiker der Todesschwadronen in El Salvador, wird endlich vom Vatikan geehrt
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
19.08.2011

Antonio Regalado, von Beruf Zahnarzt, war es, der am 24. März 1980, einem Montagabend, seine Pistole zog. Er zielte ruhig und gab einen einzigen Schuss ab. 25 Meter entfernt traf das Geschoss mitten ins Herz eines Mannes. Das Opfer stürzte zu Boden. Vor den Augen von mehr als hundert Gottesdienstbesuchern in der Kapelle des „Krankenhauses zur Göttlichen Vorsehung“, eines Krebsspitals, verblutete der Mann sehr schnell. Er trug ein Priestergewand, zelebrierte gerade die Messe.

Heiligsprechung an Pfingsten

Mehr als dreißig Jahre später hat die Kirchenspitze endlich den von vielen erwarteten Schritt getan und spricht Romero an Pfingsten 2015 selig. Er wird damit offiziell zu einem Vorbild in der katholischen Kirche, was er seit Jahrzehnten bereits faktisch war. Update [20. Mai 2015]

Vor der Kapelle wartete das Fluchtfahrzeug: ein roter VW mit Fahrer. Der brachte den Schützen sofort weg. Am Steuer: der Chauffeur des berüchtigten Hauptmanns Alvaro Saravia. Von ihm stammte der Befehl, den Pistolenschützen zur Kapelle zu fahren. Aber hinter ihnen allen stand der eigentliche Anstifter: Major Roberto D’Aubuisson, Abkömmling der steinreichen Baumwoll- und Kaffee-Oligarchie des Landes. Kurz nach dem Attentat meldete sich bei ihm Hauptmann Saravia: „Wir ­haben den Plan ausgeführt und Romero ge­tötet.“ D’Aubuisson tat erstaunt: „Mensch, das hättet ihr jetzt nicht tun sollen.“ Saravia antwortete: „Wir haben es so gemacht, wie Sie es befohlen haben.“

"Wir haben es so getan, wie Sie es befohlen haben."

So stellt sich das tödliche Attentat auf Oscar Romero, Erzbischof von San Salvador, nach den Erkenntnissen des Unter­suchungsrichters 1987 dar, siebeneinhalb Jahre nach der Tat. Dies deckt sich weitgehend mit den Ergebnissen einer Untersuchungskommission 1989. Die Ermittlungen waren extrem schwierig gewesen: Von den mehr als hundert Zeugen des Attentats wagte kaum einer, eine Aussage zu machen. Einige Zeugen wiederum verlangten dafür bis zu eine Million Euro. Das Pentagon kannte die Täter schon lange: Ihm lag ein Fernschreiben von US-Diplomaten vor, dem­zufolge der Major mit zwölf Offizieren darum gewürfelt hatte, wer von ihnen ­Oscar Romero umbringen solle (so zu lesen in der „Los Angeles Times“).

Der Grund für den Auftragsmord: Der Erzbischof hatte sich gegen die Oligarchen des Landes gestellt

Der Auftragsmord an Erzbischof Ro­mero hatte einen klaren Grund: Der Kirchenmann hatte durch sein Reden und Handeln die Oligarchen des Landes gegen sich aufgebracht. Er war einer der härtesten Kritiker der Militärregierung unter ­General Carlos Humberto Romero (bis ­Oktober 1979) und auch der folgenden Junta aus Militärs und Christdemokraten, die bald zerbrach. Das Jahr 1979 gilt als Beginn des offenen, zwölfjährigen ­Bürgerkriegs, der mindestens 70 000 Menschenleben forderte, sehr viele von ihnen Opfer der Todesschwadronen. Roberto D’Aubuisson gehörte nach den Erkennt­nissen der Justiz und auch amerikanischer Diplomaten zu den Anführern dieser Todesschwadronen. Er wurde Jahre später, nach dem Attentat, Chef der nationalistischen ARENA-Partei, 1984 Präsident der verfassungsgebenden Versammlung und (allerdings erfolgloser) Präsidentschaftskandidat.

Und Romero? Nichts hatte darauf hingedeutet, dass er, als er 1974 seine erste Bischofsstelle antrat, den Militärs gefährlich werden könnte. Er war ein kleiner, eher schmächtiger Mann, ganz traditionell unterwegs in seiner Soutane. Aufsehen zu ­erregen war nicht seine Sache. Geboren in einfachsten Verhältnissen, war er als Schüler wegen seines Fleißes ins kirchliche Seminar nach San Salvador geschickt worden, Berufsziel: Priester.

"Ich hatte den Auftrag, mit euch allen aufzuräumen",  beichtete Romero später den Studenten

Der Vatikan ließ ihn in Rom Theologie studieren, er sollte dem Trend zu den ­linken Basisgemeinden und ihrer Befreiungstheologie entgegentreten. In einem Gespräch mit kritischen Priestern gab ­Romero später unumwunden zu: „Ich ­hatte die Aufgabe, mit euch allen aufzu­räumen.“ Nach einer innerkirchlichen ­Karriere wurde er 1977, zum Entsetzen ­vieler sozial engagierter Katholiken, zum Erzbischof von San Salvador ernannt. Doch dann die Wende: Die Ermordung eines Freundes, des engagier­ten Jesuitenpaters Rutilio Grande, weckte ihn politisch auf. Auch das war im Jahr 1977. Pater Rutilio war auf dem Weg zum Gottesdienst in einen Hinterhalt geraten. Er wurde wenig später von Kugeln durchlöchert tot auf­gefunden. Es war für den Bischof ein tief einschneidendes Erlebnis. Fortan nannte Oscar Romero in seinen Gottesdiensten die Namen der Opfer und ließ seine Predigten über einen kirchlichen Sender landesweit übertragen.

Für die Bevölkerung El Salvadors ist ­Oscar Romero ein Heiliger, auch wenn die römische Kurie ihm diesen Titel bislang verweigert. Seit Jahren berät die zustän­dige Vatikanbehörde darüber. Doch während der frühere Papst Johannes Paul II. im Schnellverfahren zur „Ehre der Altäre“ erhoben wurde, also verehrt werden darf, sind Leben und Martyrium des Oscar ­Romero nicht nach dem Geschmack des Vatikans, schon gar nicht nach dem von Papst Benedikt. Dieser hatte als früherer Präfekt der vatikanischen Glaubensbehörde einen Jahrzehnte dauernden Kampf gegen die angeblich kommunistische Befreiungstheologie Lateinamerikas geführt. Auch der seinerzeitige Präfekt der römi­schen Bischofskongregation Sebastiano Baggio und der „Opus-Dei“-nahe Erzbischof Lopez Trujillo stießen in dieses antikommunistische Horn. Eine große Rolle spielte dabei, dass Karol Woityla, der spätere Johannes Paul II., sehr stark geprägt war von Erfahrungen mit dem polnischen Kommunismus der Nachkriegszeit. Doch osteuropäischer Staatskommunismus und lateinamerikanische „Theologie der Be­freiung“ sind vollkommen verschieden.

Die Lage der Armen wurde zur Kernfrage der Kirche

Oscar Romero, der sich vor allem und zunächst für die Menschenrechte einsetzte, war in den Augen der vatikanischen Behörden zu einem kommunistisch infizierten Exponenten der Befreiungstheologie geworden. Indem sie ihn einer harten  Kritik unterzogen, versuchten sie die Veränderungen in der lateinamerikanischen Kirche in Grenzen zu halten. 1979 hatte sich die Lateinamerikanische Bischofskonferenz (III. Vollversammlung in Puebla/Mexiko) nämlich zum ersten Mal in einem offiziellen Abschlussdokument ausdrücklich für die „vorrangige Option für die Armen“ ausgesprochen. Die Lage der Armen war damit nicht mehr nur eines von vielen Themen der Kirche, sondern sie wurde zur Kern­frage der Kirche.

Am 23. März, ein Tag vor seinem Tod, appellierte Romero öffentlich eindringlich an die Soldaten, das Gebot „Du sollst nicht töten“ zu achten, und sei es durch Befehlsverweigerung. Er sagte: „Im Namen Gottes, im Namen dieses leidenden Volkes, dessen Schreie sich jeden Tag zum Himmel er­heben, flehe ich euch an, bitte ich euch, befehle ich euch im Namen Gottes: Macht Schluss mit der Unterdrückung!“ Ostern 1980, wenige Tage vor seinem Tod, ahnte er, welches Ende es mit ihm nehmen ­würde. Er schrieb in sein Tagebuch: „Ich nehme im Glauben meinen Tod an, wie schwer er auch sein möge. Andere werden mit mehr Einsicht und Heiligkeit die Werke der Kirche und der Nation weiterführen.“ Vermutlich waren es wieder Sicherheitskräfte, die bei seiner Beerdigung ein Blutbad auslösten: 40 Menschen starben, 200 wurden verletzt. Viele suchten Schutz in der Kathedrale, wo Romero in aller Eile bestattet wurde.

Nun endlich wird Romero auch offiziell zum Vorbild seiner Kirche

Die vatikanische Kritik an Oscar Ro­mero kam den Machthabern in El Salvador sehr zupass. Die Menschen aber verehren den Mann, der mit ihnen für Gerechtigkeit kämpfte. Oscar Romeros Bild hängt in ­Kirchen und Amtsstuben, steht auf Hausaltären und Schreibtischen. Karl Rahner, der katholische Konzils- und Reformtheologe, sagte: „Wenn Oscar Romero so predigt, dass er am Schluss umgebracht wird, dann dürfte man einen solchen Bischof etwas mehr ehren und loben, als es faktisch getan wird.“ Das sagte er im Jahr 1983. Mehr als dreißig Jahre später hat die Kirchenspitze endlich den von vielen erwarteten Schritt getan und Romero an Pfingsten 2015 seliggesprochen. Er wurde damit offiziell zu einem Vorbild in der katholischen Kirche, was er seit Jahrzehnten bereits faktisch war.“

 

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Dieser Film bewegt. Das Ringen von Erzbischof Romero um das, was jetzt Gebot der Stunde ist, was seine Sendung jetzt von ihm verlangt, wird glaubhaft verkörpert und dargestellt. Mit seinem Zeugnis für Jesus Christus läßt sich Erzbischof Romero weder "links" noch "rechts" einordnen. Ihn politisch vereinnahmen zu wollen, wird scheitern, da er jenseits politischer Schlagworte und Vereinfachungen mit seiner Haltung Zeugnis für die Menschenfreundlichkeit Gottes ablegt, Ihn bekennt und bezeugt und gerade deshalb von seinen Gegnern (wie von allen Unterdrückern) als brandgefährlich auszumachen ist. Da er sich weder als Held empfand noch aufspielte, kein Revoluzzer war und sein wollte oder ähnliches, sondern sich ganz Gott zur Verfügung stellte, damit Er ihn einsetzen, verschwenden und auswerfen konnte (als Netz für Gottes Fischzug): deshalb wich Romero nicht aus. Er war weit genug, um deshalb von Gott das Martyrium annehmen zu können. Im Sinne von: "Wir erwarten, was wir empfangen" (nicht umgekehrt!). Das ist die ignatianische "Indiferencia", die ich in Romeros Haltung und zunehmender Klarheit im Wort erkenne. Ein geistliches Erlebnis! Eine ermutigendes und zur Bescheidenheit mahnendes Glaubenszeugnis.

[Traurig, daß dieser Film nirgendwo als DVD in dt. Sprache zu erwerben ist. Scheint mir so nötig wie Erhebung dieses Mannes zur Ehre der Altäre.]