Stefan Krastel, 43: Wir machen eine rote Null jeden Monat
Foto: Yvonne Seidel
Bloß nicht ins Heim
Bloß nicht ins Heim. Stefan Krastel wollte seine Mutter lieber selber pflegen. Deshalb gab er seine Arbeit auf. Jetzt lebt er von Hartz IV

Zwei Monate nach dem Tod meines Vaters hatte meine Mutter einen schweren Schlaganfall. Die Ärzte glaubten, sie werde nicht mehr aufwachen aus dem Koma. Aber nach ein paar Tagen öffnete sie die Augen. Ich war so froh! Gleichzeitig hatte ich Angst, denn nun war sie schwerstpflegebedürftig. Mein Bruder sagte gleich, dass er sich nicht um sie kümmern könne. Das war hart. Dabei hatte er ein viel engeres Verhältnis zu ihr.
Ich habe meine Mutter als Kind immer als sehr neutral erlebt. Mit meinen Wehwehchen ging ich eher zu meinem Vater. Später war er jahrelang krank, meine Mutter führte das Friseurgeschäft und pflegte ihn. Als er starb, trauerte sie sehr, aber es fiel auch eine Riesenlast von ihr ab. Plötzlich interessierte sie sich wieder für andere Themen und für das Leben überhaupt. Wir sind zum Beispiel nach Südtirol zu ihrem Lieblingsort gereist, da habe ich sie von ihrer sehr emotionalen und warmherzigen Seite kennengelernt. Wir sind uns viel nähergekommen. Kurz drauf hatte sie dann den schweren Schlaganfall.
In ein Heim wollte ich sie auf keinen Fall geben, denn dort würde sie nicht mehr lange leben, das war mir klar. Zur Reha war sie in einem gewesen. Die Pfleger dort waren wirklich sehr bemüht, aber es gab einfach zu wenig Personal. Und meine Mutter konnte ja nicht mal sagen, dass sie Durst hat. Also zog ich zu ihr. Ich dachte damals, ich würde so eine Art Sterbebegleitung leisten. Jetzt kümmere ich mich schon zwölf Jahre.
Unser Friseursalon lag direkt nebenan. So sprang ich x-mal am Tag zwischen den Kunden und meiner Mutter hin und her. Ich schlief zu wenig, denn am Anfang konnte sie Tag und Nacht nicht unterscheiden, und sie weinte fast nur. Ich stellte eine junge Frau ein, die bei ihr blieb, wenn ich arbeitete. Dann baute ich mit meiner Freundin ein Haus mit behindertengerechter Einliegerwohnung, denn in der Mietwohnung gab es zu viele Stufen. Wir heirateten, bekamen einen Sohn. Aber die Ehe ging in die Brüche.

Außerdem habe ich gelernt, mit wenig auszukommen.

Nach sieben Jahren waren alle Ersparnisse von mir und meiner Mutter aufgebraucht. Nun brachte ich es noch weniger übers Herz, sie ins Heim zu geben, denn sie hatte ja schon so viele Jahre zu Hause verbracht. Eine Pflegekraft konnten wir uns aber auch nicht mehr leisten. Ich entschied mich, unseren bis dahin gut gehenden Salon an eine Mitarbeiterin zu verkaufen, damit ich Mutter weiterhin zu Hause pflegen konnte. Von dem Erlös lebten wir einige Zeit, dann musste ich Hartz IV beantragen.
Jetzt kommen wir finanziell gerade so rum. Etwas mehr Unterstützung vom Staat würde uns sehr helfen. Wenn meine Mutter im Heim wäre, würden Pflegekasse und Sozialamt ja auch viel mehr zahlen. Ich finde, niemand sollte seine Liebsten aus finanzieller Not ins Heim geben müssen. Und niemand soll verarmen, weil er seine Angehörigen selbst pflegt. Dafür kämpft der Verein „wir pflegen“, in dem ich jetzt mitarbeite.
Mit dem, was wir an Rente, Hartz IV und Pflegegeld für Pflegestufe III haben, machen wir sozusagen eine rote Null jeden Monat. Manchmal füllt mein Bruder den Kühlschrank, oder Freunde ­stellen eine Kiste Getränke vor die Tür. Wir sind arm, aber sexy, sage ich manchmal. Und dann lachen wir, Mutter und ich, denn ihren Humor hat sie trotz des Schlaganfalls behalten.
Ich habe mein eigenes Leben aufgegeben, um meine Mutter zu pflegen. Das können viele Menschen nicht nachvollziehen. Aber ich bekomme auch etwas dafür: meinen inneren Frieden. Wenn sie einmal stirbt, werde ich nicht das Gefühl haben, etwas nicht getan zu haben, was ich hätte tun sollen, damit es ihr besser geht. Außerdem mache ich Musik, und manchmal organisiere ich ­Konzerte, so wie früher. Das tut mir gut.
Meine Mutter ist jetzt 73. Was ich beruflich mache, wenn sie einmal stirbt, weiß ich noch nicht. Aber ich fühle mich vom lieben Gott getragen. Und ich habe viel gelernt, was mir später nützlich sein könnte, vielleicht auch für eine Arbeit in der Pflegebranche. Außerdem habe ich gelernt, mit wenig auszukommen. Es muss nur für mich und den Unterhalt für meinen Sohn reichen.
 

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