Francesca Schellhaas/photocase
Carmen Berger-Zell über Trauer
"Häufig gewinnt nach drei Jahren das Leben einen wieder zurück"
Die Notfallseelsorgerin Carmen Berger-Zell weiß, was man möglichst nicht zu trauernden Menschen sagen sollte. Für Trauernde, die Wut auf Gott verspüren, hat sie eine klare Botschaft
Tim Wegner
17.09.2013
3Min

chrismon: Jemand hat einen nahen Menschen verloren – was sollte ich möglichst nicht sagen?

Carmen Berger-Zell: Keine Glaubenssätze wie "Das Kind ist jetzt im Himmel". Solche Sätze trösten Trauernde nicht, sondern schmerzen sie. Wenn der Tod eingetroffen ist, ist es wichtiger, erst einmal einfach da zu sein.

Was heißt denn "einfach da sein"?

Das heißt: weniger reden, mehr zuhören. Gerade komme ich von einem Seelsorge­ge­spräch mit einem Mann, der um seinen Freund trauert. Es ist viel Wut in ihm. Ich gebe ihm das Gefühl, dass er seine Wut äußern darf, dass die Wut sein darf. Trauernde wollen erzählen können, was ihnen durch den Kopf geht, was sie empfinden. Sie wollen keine Ratschläge. Und Floskeln auch nicht.

Tila und Jürgen haben die Erfahrung gemacht, dass am Anfang viele Menschen da waren und dann nicht mehr. Ist das eine typische Erfahrung?

Ja, das schildern viele Trauernde, dass im Laufe ihrer Trauerzeit plötzlich niemand da ist, dass es sogar Menschen gibt, die die Straßenseite wechseln. Manche fühlen sich wie Aussätzige. Das tut so weh! Trauernde brauchen andere Menschen, die Gemeinschaft, die sie weiterhin trägt – auch mit dem Verlust. Dass andere da sind, das ist der Trost. Dass sie immer wieder erzählen können von ihren Toten. Dass die Erinnerung sein darf, auch neben der Lebensfreude, die sich im Laufe der Trauerzeit vielleicht wieder Raum nimmt. Oder dass zum Beispiel bei Feiern ein Stuhl leer bleiben darf. So etwas hilft.

Warum hilft das?

Es geht in der Trauer darum, dass die Toten in unser Leben integriert werden. Wenn Menschen es schaffen, dass sie einen Platz für ihre Toten finden, dann können sie mit dem Verlust leben. Die Gemeinschaft mit den Toten ist elementar in der Trauer – nicht das Loslassen.

Wird unterschätzt, wie lange Trauer dauern kann?

Ja, oft. Es gibt ja die Tradition des Trauerjahres, das Wissen, dass man alles einmal ohne den Toten erlebt haben muss und dann wird es besser. Aber viele Trauernde sagen, dass es im zweiten Jahr eigentlich noch schlimmer ist. Vielleicht auch, weil sie selbst an sich die Erwartung haben, jetzt müsste es eigentlich gut sein, und sie merken, das ist es nicht. Ich beobachte, dass häufig nach drei Jahren das Leben einen wieder zurückgewinnt. Die Trauer bleibt ein Leben lang, aber sie wird kleiner. Am Anfang ist sie wie ein großer Felsbrocken, der vor einem liegt, man kann nicht über ihn hinweggucken. Nach und nach wird der Fels kleiner, und ­irgendwann trägt man einen Kiesel in der Tasche, mit dem lebt man dann weiter.

Was antworten Sie, wenn Menschen fragen: "Wollte Gott mich strafen?"

Ich frage, wie sie darauf kommen. Wofür Gott sie bestrafen würde. Dazu gibt es ja ­eine Geschichte.

Sie würden nicht sagen, "Gott ist ein liebender Gott, kein strafender"?

Da wäre ich vorsichtig. Weiß ich, was Gott denkt? In der Bibel gibt es genug Stellen, die bezeugen, dass Gott auch unverständlich ist. Warum kann Gott es zulassen, dass ein Baby stirbt? Und wo ist Gott, wenn Menschen gewaltsam ums Leben kommen? Das ist die Hiobserfahrung. Dieses Nichtwissen und diese Ohnmacht mit den Trauernden auszuhalten, finde ich wichtiger, als schnell mit Antworten zu kommen.

Aber wenn Sie als Theologin gefragt werden: Wo war da Gott? Was sagen Sie?

Ich sage: Ich weiß es nicht. Ich sage nicht: Gott ist auch im tiefsten Leid. Das ist eine Erkenntnis, die Menschen selbst für sich ­herausfinden und nicht selten erst später. Dass Menschen den Eindruck haben, Gott ist in tiefster Not eben nicht da, das sind ja auch die Erfahrungen in den Klagepsalmen. Gott, warum hast du mich verlassen? Wenn sogar Jesus am Kreuz so fragt, darf auch ich Gott dies fragen. Ich muss Gott nicht nur ­anhimmeln – Gott hält auch meine Wut aus.