chrismon: Glauben Sie, dass Ihre Kinder später zur Wahl gehen werden?
Claudia Langer: Meine Kinder wachsen mit dem Gefühl auf, dass man sich als Bürger einsetzen muss. Ob sie die Parteipolitik attraktiv genug finden, um zur Wahl zu gehen, weiß ich nicht.
Machen Sie zu Hause Werbung für Parteien?
Langer: Ja, auch. Aber ich habe Zweifel, ob es - Anwesende ausgenommen - unter den Nachwuchspolitikern die Charakterköpfe gibt, die Probleme tatkräftig, lösungsorientiert und nicht opportunistisch angehen.
Philipp Rösler: Wenn meine Kinder mit 18 meinen, es wäre nicht das richtige Personal in den Parteien, können sie selber aktiv werden. So war es bei mir auch. Mein Vater war in einer anderen Partei als ich, findet es aber gut, dass ich mich engagiere.
In welcher Partei war Ihr Vater?
Rösler: Mein Vater, ein Berufssoldat, war Sozialdemokrat. Er hatte einen Aufkleber "Willy wählen" auf seinem roten Auto. Als Einziger der Offiziere. Die SPD hatte nicht nur tagespolitische Ziele, sondern die Vision: "Mehr Demokratie wagen." Es war eine andere Zeit mit anderen Herausforderungen.
Verlieren die Deutschen die Lust an der Demokratie?
In den letzten Jahren engagieren sich weniger Menschen in Parteien. Verlieren die Deutschen die Lust an der Demokratie?
Langer: Nein. Zurzeit gibt es wieder eine Politisierung. Aber die Leute sind enttäuscht von der Politik und engagieren sich außerhalb der Parteien. Ich habe zum Beispiel die Internet-Community Utopia.de gegründet, weil ich glaube, dass ich damit mehr erreichen kann als mit dem Gang durch die Parteien. Vor allen Dingen: schneller. Es macht mich glücklich, dass die Leute sich engagieren wollen. Eigentlich brauchen wir natürlich die besten Leute in der Politik. Aber wer hat schon die nötige Leidensfähigkeit? Ich nicht. Wie lange es dauert, dort etwas voranzubringen! Ich als Unternehmerin würde die Wände hochgehen.
Rösler: Wenn es um ein konkretes Thema geht, haben Bürgerinitiativen oder Internet-Communities viel Zulauf. Aber sie decken doch nicht das ganze Spektrum von Politik ab! Es ist klar, dass Demokratie mehr Zeit braucht als die Organisation einer Bürgerinitiative. Wir hatten in der letzten Legislaturperiode einen Unternehmer eingeladen, in unserer Partei zu kandidieren. Er kam in den Landtag, stellte aber fest: "Was ich in meinem Betrieb entscheide, wird am nächsten Tag umgesetzt. Will ich hier etwas durchsetzen, muss ich in der Fraktion beraten, im Arbeitskreis mit dem Koalitionspartner, dann vielleicht im Koalitionsausschuss und erst dann im Parlament."
Langer: Ich betreibe das Netzwerk erst seit 18 Monaten. Wenn ich heute Umweltminister Sigmar Gabriel treffe, sagt er: "Na, Frau Utopia.de, wie läuft es?" Meine Antwort: Seit es uns gibt, haben sich mehr als zwei Millionen Menschen bei uns über nachhaltigen Konsum informiert. Wir haben es in kurzer Zeit geschafft, auf Augenhöhe mit Entscheidern in Politik und Wirtschaft zu sprechen und die Interessen unserer Community zu vertreten. Ich kann nur sagen: Es geht viel schneller, sich außerparlamentarisch zu organisieren, als in der Politik an Stellen zu kommen, wo Entscheidungen fallen. Und es muss jetzt schnell gehen, der Klimawandel lässt uns nicht mehr viel Zeit. Wir sind jetzt etwa 46 000 Utopisten, eine Gruppe sehr engagierter Leute.
Rösler: Bei einer Bevölkerung von 82 Millionen Einwohnern muss es Regeln dafür geben, wie man ein Volk demokratisch regiert. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben ein sehr kluges Regelwerk aufgestellt. Aber man erreicht die Menschen heute schwerer. Ursprünglich ging man davon aus, dass ein Abgeordneter in seinem Wahlkreis die Probleme der Menschen kennenlernt, im Parlament mit anderen darüber diskutiert und dann entscheidet. So einfach ist es nicht mehr. Interessenverbände sind oft im Vorteil. Man muss sich als Politiker immer ermahnen, vor allem die Bürger zu hören. Die Frage ist: Wo finde ich die?
Wo erleben Sie spannende Diskussionen?
Rösler: Erst dachte ich: zu Hause, bei Familie und Freunden, was aber nur zum Teil stimmt, weil alle aus einem ähnlichen Milieu kommen. Auf Veranstaltungen wird viel gefragt. Aber auch da kommen natürlich nur ganz bestimmte Menschen. Es ist schwierig, Volkes Stimme unverfälscht zu hören, zumal sie sich ja aus ganz unterschiedlichen Meinungen zusammensetzt.
Im Parlament kann man heute so streiten wie zu Zeiten von Wehner und Strauß
Wie wichtig ist das Parlament noch?
Rösler: Im Parlament kann man heute noch genauso gut streiten wie zu Zeiten von Herbert Wehner und Franz Josef Strauß. Wir hatten allerdings in Niedersachsen schon sehr engagierte Debatten, über die gar nicht berichtet wurde.
Langer: Ich nehme Parlamentsdebatten leider nicht mehr wahr, obwohl ich ein durch und durch politischer Mensch bin.
Wo streiten Sie gern?
Langer: Ich habe mir eine völlig verrückte Arena geschaffen. Bei Utopia.de habe ich ständig mit ein paar Hundert Leuten zu tun und erlebe, wie intensiv die Begegnungen auf unserer Internet-Plattform sind. Wir haben Kontakt zu Nichtregierungsorganisationen, zu Wissenschaftlern, zur Politik. Was mich am meisten begeistert: In unserem Portal sind sowohl der Hartz-IV-Empfänger als auch der Milliardär unterwegs. Das sind spannende Diskussionen mit Menschen, die man sonst nicht so oft trifft.
"Kaufen Sie sich eine bessere Welt! ", heißt Ihr Slogan. Fühlen sich Hartz-IV-Empfänger davon wirklich angesprochen?
Langer: Ja. Weil sie kapieren, dass dieser Slogan eine Provokation ist. Es ist doch so: Schon vor zwanzig Jahren wussten wir viel über Klimawandel. Passiert ist wenig. Den Klimawandel kriegen wir aber nur gedreht, wenn wir die Massen mobilisieren. Wir packen also die Menschen bei ihrer Ehre und sagen ihnen: Du als Konsument kannst mit jedem Kaufakt ein Unternehmen in eine bestimmte Richtung lenken. Ich habe jahrelang in der Werbung gearbeitet und kann sagen: Noch nie waren Unternehmen so interessiert daran, was der Konsument von ihnen will.
Herr Rösler, könnten Sie ein "Utopist" werden?
Rösler: Sie vertreten einen marktwirtschaftlichen Ansatz: der Kunde entscheidet, welches Produkt er haben will. Insofern könnte ich da mitmachen. Aber Sie betrachten nur ein einziges Problemfeld. So löst man beispielsweise nicht die Frage nach dem künftigen System der Renten- und Krankenversicherung.
Langer: Wir setzen uns für Klimaschutz und Nachhaltigkeit ein, was für mich heißt, dass wir nicht auf Kosten künftiger Generationen leben wollen. Das hat auch viel mit sozialen Fragen zu tun.
Rösler: Wird das Rentensystem bei Ihnen diskutiert?
Langer: Noch nicht. Aber Sie können jederzeit bei uns eine Gruppe eröffnen. Ich bin sicher, dass sie auf rege Resonanz stößt.
Dinge kritisch zu hinterfragen. So bin ich in die Politik gekommen.
Politikern wird oft vorgeworfen, dass nicht erkennbar sei, wofür sie stehen. Welches Anliegen ist Ihnen wichtig, Herr Rösler?
Rösler: Ich sehe mich als Vertreter der Aufklärung. Ich nehme nichts als gesetzt hin, sondern hinterfrage die Dinge. Das ist die Hauptaufgabe von Parlamentariern: Dinge kritisch zu hinterfragen. So bin ich in die Politik gekommen.
Was hat Sie konkret bewogen, in die Politik zu gehen?
Rösler: Ich hatte einen Lehrer, der sehr beliebt war. Er war bei den Republikanern aktiv und wurde ins Hannoveraner Stadtparlament gewählt. Aus meiner Sicht war er ein Rechtsradikaler. Ich engagierte mich in der Schülerversammlung, damit dieser Lehrer die Schule verlässt. Mich hat erschüttert, mit welcher Beliebigkeit die Menschen an diese Person herangegangen sind. Sie trennten zwischen dem netten Menschen und seiner politischen Haltung.
Langer: Mich würde interessieren, wie Sie sich Philipp Rösler für eine bestmögliche Zukunft unserer Kinder einsetzt.
Wofür kann ich Sie denn haftbar machen?
Rösler: Ich möchte eine Gesellschaft, in der es möglichst viele Freiheiten für den Einzelnen gibt. Momentan erleben wir einen starken Staat. Die Alternative dazu ist eine starke Gesellschaft, in der jeder die Möglichkeit hat, sein Leben möglichst frei und verantwortungsvoll zu gestalten und sein Einkommen zu verdienen, also die Chance auf einen Arbeitsplatz zu haben.
Langer: Das klingt sehr allgemein. Wofür kann ich Sie denn haftbar machen? Was ist Ihr Standpunkt zum Thema Nachhaltigkeit?
Rösler: Meine Vision von Gesellschaft umfasst ein paar mehr Themen als nur die Umweltpolitik. Aber zur Nachhaltigkeit: Es waren die Jungen Liberalen, die in den achtziger Jahren den Begriff "ökologische Marktwirtschaft" aufbrachten. Im Ergebnis diskutieren wir heute im Klimaschutz über Emissionshandel, also über marktwirtschaftliche Instrumente, nicht nur über Verbote.
Langer: Damit haben Sie mir aber immer noch nicht klar gesagt, wie Sie persönlich zu Umweltschutz und zur Klimakrise stehen.
Rösler: Entschuldigen Sie mal, Sie haben nach Nachhaltigkeit gefragt. Und ich sage, das ist nicht mein Hauptthema.
Langer: Ich weiß gar nicht, warum Nachhaltigkeit so ein Reizwort ist. Als Mutter von drei Kindern möchte ich doch wissen, wer bei der nächsten Wahl mein Anliegen vertritt. Ich bin Unternehmerin. Mich interessiert schon, was unterm Strich rauskommt. Rösler: Ich stehe für eine freie Gesellschaft. Für Ihre Kinder heißt das, dass am Ende nicht ich als Politiker entscheide, was gut ist und was nicht, sondern dass Ihre Kinder selber entscheiden können, wie sie ihr Leben ausgestalten wollen. Verstärkt durch die wirtschaftlich schwierige Situation greift der Staat derzeit immer mehr in das Alltagsleben der Menschen ein. Das entspricht gerade nicht meinem Gesellschaftsbild.
Langer: Gegenrede: Ich glaube, dass meine Kinder nicht mehr so viel entscheiden können, wenn Sie und ich das nicht tun, weil sie möglicherweise schon in einem Klima leben, was deutlich wärmer ist; und weil sie finanziell hochgradig belastet sind durch Entscheidungen, die auf ihrem Rücken getroffen werden. Herr Rösler, ist es so schwer, beim Umweltschutz umzusteuern, weil das Einzelne in ihrer Freiheit einschränken kann?
Rösler: Ist das nicht zu platt? Aus den Zeiten ist die Umweltpolitik herausgewachsen.
Langer: Ja, finde ich auch.
Rösler: Häuslebauer zum Beispiel wollen Niedrigenergiehäuser, weil es gut für die Umwelt ist - und weil es Kosten spart.
Um spezielle Fragen wie das Energiesparen geht es auch bei Utopia. Spricht das nicht nur Fachleute und Experten an?
Langer: Über die letzten eineinhalb Jahre haben wir zweieinhalb Millionen Menschen erreicht. Darunter viele Meinungsmacher. Veränderung geht nun mal oft von Eliten aus. Dass es heute bei Aldi Biowaren gibt, ist einer Öko-Elite zu verdanken. Die Leute geben uns ein Mandat. Sie sagen: Mein Leben ist schon sehr komplex. Bitte sagt mir, welches die drei besten Textilsiegel für fair gehandelte und umweltgerecht produzierte Kinderkleidung sind! Das sind Detailfragen, die große Wirkung zeigen.
Schlimm, dass ich erklären muss, was Freiheit ist
Herr Rösler, Sie empfinden dieses Politikverständnis als zu eng. Ihnen geht es um eine Gesellschaft, die dem Einzelnen möglichst viel Freiheit gewährt. Woran denken Sie dabei?
Rösler: Schlimm, dass ich erklären muss, was Freiheit ist. Langer: Oh!
Rösler: Menschen sollen ihr Leben selber in die Hand nehmen können. Es soll ihnen nicht von anderen oder vom Staat vorgeschrieben werden. Kinder sollen als Erwachsene nicht nach den Vorstellungen ihrer Eltern leben müssen, sondern ihr Leben nach eigenen Vorstellungen gestalten können. Natürlich werden meine Kinder dafür Instrumente an die Hand bekommen, vor allem eine gute Ausbildung, damit sie sich eine Meinung bilden können.
Langer: Ich will meine Kinder ja auch zu selbstbewussten Menschen erziehen. Aber klar ist auch, dass ich ihnen meine Einstellung vorlebe. Ich komme aus einer Öko-Familie mit kratzigen Lambswool-Pullovern. Mit 18 fand ich das gnadenlos spießig. Heute bin ich glücklich, weil ich starke Wurzeln habe. Insofern: Wie ist Freiheit zu verstehen? Das Wichtigste ist für mich, meinen Kindern ein buntes Leben zu zeigen und klar zu sagen, wofür ihre Eltern stehen. Die sollen sich dann ruhig in der Pubertät aufbäumen. Ich war froh, dass meine Eltern mir so klar gezeigt haben, woran Sie glauben.
Rösler: Meine Kinder sollen selber eines Tages frei entscheiden können, wie sie leben wollen. Ich glaube gar nicht, dass wir da weit auseinander liegen.
Langer: So gesehen nicht, nein.
Ist das Parlament noch der Ort, an dem sich die Bürger darauf verständigen, in welcher Gesellschaft sie leben wollen?
Langer: Es muss viele Orte dafür geben. Heute befassen sich auch viele Unternehmen mit solchen Fragen. Vor zehn Jahren war darüber noch kaum mit dem Vorstandvorsitzenden eines Energieunternehmens zu diskutieren. Es gibt weniger Betonköpfe.
Wie stark bestimmen die Unternehmen, wie die Gesellschaft künftig aussehen soll?
Langer: Unternehmer überlegen nicht, wie wir leben sollen; sie antworten auf das, was die Bürger durch den Konsum an Signalen schicken. Man kann mit der neuen Manager-Generation anders reden. Das finde ich gut, weil die verdammt viel Macht haben. Rösler: Das hängt ganz davon ab, wie sehr die Menschen es zulassen, dass Unternehmen sie beeinflussen. Ich möchte jedenfalls eine solche Fremdbestimmung nicht. Eine starke Gesellschaft besteht nicht nur aus starken Unternehmen, sondern aus engagierten Menschen in Vereinen, Verbänden und Stiftungen. Deswegen ist es auch mein Ziel, mit 45 Jahren in die Stiftungsarbeit zu gehen, am liebsten in unsere Friedrich-Naumann-Stiftung.
Dürfen wir glauben, dass Sie mit 45 mit der Politik aufhören?
Rösler: Ja.
Was machen Sie in zehn Jahren, Frau Langer?
Langer: Utopia.de. Aber ich lege sicher noch mal einen Neustart hin. Kann sein, dass ich mich mit dem Thema "Leben im Alter" befasse und eine altersgerechte Wohnsiedlung plane. In zehn Jahren wird das langsam ein Thema für mich.