Soll sich die Kirche vermarkten?
Der Werber und der Theologe über schöne Bilder, religiöse Keuschheit und Empörung
Portrait Anne Buhrfeind, chrismon stellvertretende ChefredakteurinLena Uphoff
Hedwig Gafga, Autorin
19.07.2011

chrismon: Die Hamburger Petrikirche hat ihre Kirchenwände als Werbefläche vermietet, um mit den Einnahmen das Gebäude zu renovieren. Gewinnen beide – die Kirche und die Firma?

Fulbert Steffensky: Ich wüsste nicht, wie die Kirche von dieser Aktion profitieren sollte.

Marcel Loko: Doch, klar. Auch die Kirche lebt unter wirtschaftlichen Zwängen, und in diesen Zeiten gehört es nun mal dazu, dass man auf diesem Weg sein Geld bekommt.

Steffensky: Ja, sie bekommt Geld. Aber es besteht eine Gefahr der Trivialisierung der Kirche. Sie wird auf irgendeine Weise mit dem Inhalt verbunden, für den geworben wird.

Loko: Na ja, ich würde der Kirche auch nicht raten, alle Gebäude einem Generalvermarkter zu unterstellen. Aber im Einzelfall ist das doch eine gute Sache. Schauen Sie sich die Augustinerkirche in Florenz an, da stecken auch die Spenden von reichen Gläubigen drin.

Steffensky: Historisch betrachtet, kann man nur sagen, dass die Kirche immer schon Unsinn gemacht hat. Es gibt Kirchen, die man doch lieber abbrennen würde, weil sie Reichtum und Protz vertreten und nicht den Geist des Evangeliums!

Loko: Das kann sein, aber hier passt es doch. Die Aktion passt zur Marke. Da verbiegt sich die Kirche nicht. Es geht um eine gute Sache und um eine moderne Form, die den Leuten, die Sie über- zeugen wollen, die Kirche eher näherbringt.

Steffensky: Die Kirche hat selber Inhalte, für die sie wirbt. Im Augenblick gibt es eine schöne Aktion von „Brot für die Welt“: „Keiner isst für sich allein.“ Da wirbt die Kirche, aber sie wirbt nicht nur für sich, sondern für eine Sache, die sie vertritt.

chrismon: Herr Loko, auf Ihrer Homepage schreiben Sie, dass Sie „Menschen berühren“ und „Grenzen überschreiten“ wollen. Ihre Werbung wirbt nicht nur für ein Produkt, sie soll Sinn vermitteln, Lebendigkeit, Hoffnung. Besetzt die Werbung selbst den spirituellen Bereich?

Loko: Sie meinen, ob Firmenmarken heute Leitbilder sind oder die Religion ersetzen? Darüber kann man diskutieren. Die Werbung wäre dann der Verstärker, weil alle Marken zusammen mehr Geld, Werbefläche und Fernsehspots haben als die Kirche. Aber ist das dramatisch? Auch früher stand die Kirche in Konkurrenz zu anderen weltlichen Institutionen.

Steffensky: Werbung, die Menschen berühren will, ist genau das, was mich so aufregt: Ich will nicht von Werbung berührt werden. Loko: Huch. Steffensky: Gerade wenn Werbung mehr will, wenn sie etwa der Ware einen personellen Wert gibt – der Diamant, der Vertrauen vermitteln soll –, finde ich das gefährlich. Gewalthaft und ge- fährlich. Der alte Marktschreier war durchschaubar. Gegen Bilder hingegen kann man sich schlecht wehren. Wir leben in einer Zeit, in der das Argument durch die Bilder ersetzt wird, nicht nur in der Werbung. Man sieht es in der Politik, zum Beispiel auf amerikanischen Parteitagen. Da gefällt mir die jüdische Tradition des Bilderverbots besser.

Loko: Bilder wirken nun mal schneller als Worte. Aber die Men- schen durchschauen doch die heutige Werbung als Marktschrei und lassen sich nicht manipulieren, gerade in einer Gesellschaft, die seit Jahrzehnten an Werbung gewöhnt ist. Die Menschen tref- fen selber ihre Entscheidung.

Steffensky: Ich nehme Ihnen nicht ab, dass Sie an Ihre eigene The- orie glauben. Die Verführung liegt in der gefährlichen Schönheit der Werbung. Sie ist ästhetisch, witzig, und sie prägt das Mas- senbewusstsein. Bei der Einschulung eines Enkels hörte ich kürz- lich ein Gespräch zwischen zwei sechsjährigen Mädchen. Eine sagte: „Du hast da einen Pullover von . . . “ , sie nannte eine Marke, und die andere sagte: „Ich trage nur Markensachen.“ Was ist das für eine Verstümmelung von Kindern?

Loko: Das ist schlimm im Einzelfall. Aber es ist nicht der Untergang des Abendlandes. Das sind Randerscheinungen.

Steffensky: Aber meinen Sie nicht, dass es die Verdummung des Abendlandes ist?

chrismon: Es klingt, als wären Werbung und christliche Mission absolute Gegensätze. Aber wenn Sie, Herr Steffensky, über Mission schreiben, sprechen Sie auch von „Werbung“.

Steffensky: Das Werben um eine Frau oder um einen Mann gehört zum Bild der Liebe. Wenn man jemanden liebt, geht man auf die Straße und sagt: Ist sie nicht die Schönste? Auch jede große Idee wirbt für sich. In diesem Sinn betreibt Kirche Mission, indem sie zeigt, wer sie ist. Alles, was nur im Geheimen bleibt, ist vom Untergang bedroht. Kirche muss in die Öffentlichkeit drängen. chrismon: Herr Loko, wie weit darf sich die Werbung der Bilder und Geschichten aus den Religionen bedienen?

Loko: So weit, wie es nicht häretisch wird. Wir hatten mal eine Doppelseite überschrieben mit: „Die 10 Gebote!“ Gemeint waren die zehn Gebote eines Autohändlers. Jedes Angebot war garniert mit verballhornten Geboten. Die Unterzeile war: Monatsraten wie zu Moses Zeiten.

Steffensky: Sie sind ja clever.

Loko: Hat das einen Aufstand gegeben! Sogar die Bischöfin hat sich empört. Ich habe das nicht verstanden: Natürlich möchte ich nicht die religiösen Gefühle von Menschen verletzen für ein banales Produkt. Aber das war hier doch gar nicht der Fall! Etwas anderes wäre es, wenn ich eine Sexszene in die Kirche verlege . . .

Steffensky: Die ist viel ungefährlicher! Das Problem ist nicht die Häresie, sondern die Trivialisierung. Da ist es gut, wenn die Kirche protestiert und gewaltlos deutlich macht, dass man sich das nicht gefallen lässt.

Loko: Aber die Leute finden diesen Protest altmodisch und lachen dann über die Kirche. Sie sollte doch stolz sein, dass ihre Aussagen Eingang in die Werbung finden. Das zeigt ihre Aktualität und ihre kulturelle Kraft.

Steffensky: Es gibt ein anderes Gelächter. Dass die Leute sagen: Diese Idioten lassen sich alles gefallen und glauben überhaupt nicht mehr an ihre eigene Sache. Wenn religiöse Symbole und My- then massenhaft trivialisiert werden, ist das eine wirkliche Gefahr, schlimmer als Häresie.

Loko: Unsere Auftraggeber haben auch manchmal Angst, ihre Botschaft würde trivial. Oft liegt das an ihrer Binnensicht: Der Ingenieur einer Autofirma möchte in der Werbung bestimmte Details genannt wissen, weil darin seine Energie und sein Wissen stecken. Aber wir Werber müssen bedenken, was es da draußen für ein Bedürfnis gibt. So dürfte es auch in der Kirche sein . . .

Steffensky: Mag sein. Es hängt mit meiner Binnensicht zusammen, dass ich dagegen protestiere, wenn das Kreuz verhöhnt wird. Und es ist zugleich ein Stück Mission. Es taucht jemand auf, der etwas ernst nimmt. Es macht nachdenklich. Wenn jeder mit mir und dem, was mir heilig ist, alles machen könnte, könnte mir keiner glauben, dass ich es für wichtig halte. Empörung ist etwas sehr Wichtiges.
 

Loko: Aber die Kirche ist keine ganz naive Person. Sie ist eine Jahrtausende alte Institution. Sie sollte sich überlegen, wie diese Empörung in der Öffentlichkeit wirkt. Steffensky: Die Kirche ist einfach keine Werbeagentur! Sie argumentieren mit der Wirkung, aber es gibt auch die Frage der inneren Glaubwürdigkeit.

chrismon: Stellen Sie sich vor: Alle hören Ihnen zu. Was ist Ihre Botschaft?

Loko: Wie viel Zeit geben Sie uns . . . ? (Gelächter)

Steffensky: Die christliche Botschaft hat zwei Säulen: Das eine ist die Gerechtigkeit. Es gibt keine Gotteserkenntnis ohne Gerech- tigkeit. Das Zweite ist die Gnade. Das bedeutet: Du kannst Fragment sein. Du musst nicht, wie dir die Werbung manchmal vor- schwindelt, ein ganzer Mann sein, ein jugendlicher, schöner, ungebrochener Mensch. Im Bild der Werbung, im Zwang zur Schönheit, zum Jungsein, wird oft das verraten, was wir Gnade nennen.

Loko: Wobei es auch Gegentrends gibt. Die Werbung der Kosmetikfirma „Dove“ ist zwar auch nichts anderes als der Versuch, einen gesellschaftlichen Trend ökonomisch nutzbar zu machen. Aber die Spots zeigen bewusst etwas fülligere Mädchen. Da wird genau auf den Punkt abgehoben, dass du nicht perfekt sein musst. Diese Werbung ist erfolgreich, weil die Menschen genervt sind von dem Idealbild.

Steffensky: Der beste Liebhaber, der beste Koch . . .

Loko: Genau. Auch Fernsehmoderatoren wirken so perfekt. Neu- erdings gibt es aber auch eine mediale Gegenöffentlichkeit, zum Beispiel bei der Internetplattform You Tube. In deren kleinen Videofilmen sind die Helden normale Menschen. Das gibt mir die Hoffnung, dass die Zeit der Werbebilder alter Schule vorbei ist.

chrismon: Herr Loko, alle hören zu. Wie lautet Ihre Botschaft?

Loko: Ich bin ja selbst nicht in der Kirche, aber die beiden Bot- schaften, die mir immer wieder positiv auffallen, sind zum einen: Fürchtet euch nicht!

Steffensky: (lächelt)

Loko: Und zum anderen: Jesus liebt dich.

Steffensky: (verzieht das Gesicht)

Loko: Die erste Botschaft bietet Trost gegen das Ungewisse, dem man jeden Tag ausgesetzt ist. Die zweite betrifft die Zuwendung, die man im Alltag vielleicht nicht immer erlebt. Da drückt sich ein Unterschied zwischen uns aus. Bei Ihnen geht es um Gerechtig- keit und Gnade, wichtige Botschaften, aber doch sehr abstrakt.

Steffensky: Stimmt. Ich habe als Theologe geantwortet. Mit Autoaufklebern wie „Jesus liebt dich“ habe ich Probleme. Es gibt eine Art religiöser Keuschheit, die mir verbietet, mit meiner Religion zu dick in die Öffentlichkeit zu gehen.

Loko: Das ist jetzt sehr protestantisch!

chrismon: Die christliche Mission ist kein Ruhmesblatt. Sie war mit Gewalt durchsetzt und hat sich sehr gewandelt. Wird sich auch die Werbung einmal fragen, ob es zum Beispiel richtig war, Autos oder Zigaretten mit Freiheit gleichzusetzen?

Loko: Dass sich Werbung täuschen kann, ist klar. Nehmen Sie die Camel-Werbung. Camel war einmal die zweiterfolgreichste Zigarettenmarke. Irgendwann haben die Werber angefangen, wahnsinnig lustige Werbung zu machen mit Kamelen, die gegen die Kamera laufen und platt auf dem Boden liegen. Alle haben gelacht, aber der Marktanteil fiel um 50 Prozent. Die Leute wollten nicht die Deppen sein.

Steffensky: Die Frage war aber, ob die Werbung falsch und gefährlich sein kann. Und Sie haben geantwortet: Was sich nicht verkauft, das ist falsch.

Loko: Das war jedenfalls eine lustige Anekdote, ein Fall, in dem sich die Werber getäuscht hatten.

Steffensky: Kann man nicht sagen, dass Werbung professionell auf Täuschung angelegt ist, wenigstens auf Überhöhung?

Loko: Werbung wurde mal so definiert: „truth well told“, Wahrheit, gut erzählt. „Pimp up the truth“, die Wahrheit hochtunen, wäre die jugendliche Formulierung. Wichtig ist: Es muss erst mal die Wahrheit sein. Wenn wir die Aufgabe bekommen, für ein Pro- dukt zu werben, verwenden wir die meiste Zeit darauf, mit dem Kunden zu diskutieren, was dieses Produkt besser macht als andere, was die Leute daran gut finden. Kein Produkt verkauft sich nur durch Werbung. Das ist der Grund, warum ich dazu stehe, Werber zu sein. Wenn Menschen etwas nicht brauchen, werde ich sie mit der besten Werbung nicht dauerhaft überzeugen können. Im Kern muss etwas Echtes dahinterstecken. Das muss ich hübsch verpacken und erzählen. Und in dem Fall treffen wir uns vielleicht, weil ich finde, dass die Kirche das immer getan hat und tun soll- te: wichtige Inhalte spannend erzählen und verpacken. Die Bibel zum Beispiel ist ja toll erzählt. Und auch die Predigten, die ich manchmal zufällig sonntagmorgens im Radio höre, sind oft rhetorische Meisterleistungen.

chrismon: Wie wirbt die Kirche neue Kunden?

Steffensky: Ich würde Mission nie als Kundenwerbung verstehen. Die Kirche soll nur deutlich sein, sie soll sich in ihrer Praxis, in ih- ren Schriften unverhüllt zeigen. Wenn dann Leute in sie eintre- ten, kann uns niemand die Freude darüber verwehren. Menschen werden kommen oder nicht. Es müssen nicht alle Christen sein.

Loko: Ich finde es richtig zu sagen: Lasst uns nicht in Beliebigkeit versinken, sondern die eigene Stärke herausarbeiten und täglich verkünden. Die Kirche macht das sehr gut, indem sie deutliche Akzente setzt, etwa das Amen am Schluss.

Steffensky: Nur kommt es immer zu spät, das Amen.

Loko: Sich wiederholende Sätze sind wichtig. chrismon: Etwas mehr Eingehen auf die Bedürfnisse der Leute, wäre das angebracht?

Steffensky: Ich glaube nicht. Die Kirche ist eine der großen In- stitutionen, die auf das Glück, auf die Schmerzen, auf den Tod schaut. Etwas müsste sie aber tun: ihre religiösen Sätze überset- zen. Ich habe von Gnade gesprochen. Das bedeutet, dass ich nicht ganz sein muss, sondern dass ich ganz sein werde unter dem Blick der Güte Gottes. In diesem Wort von der Gnade steckt Empörung gegen die Leistungszwänge einer Gesellschaft. Wörter wie Gnade zu übersetzen, das wäre ihre Antwort auf die Gegenwart. Im Augenblick habe ich aber eher die Befürchtung, dass alles zu stark ver- einfacht, zu „niedrigschwellig“ gemacht wird. Dadurch wird der Kirche ihre Fremdheit genommen.

Loko: Fremdheit im Sinne von Mythos, Kraft?

Steffensky: Mythos, Figur, Form. Die Leute wollen gar nicht, dass alles eingeht wie Kartoffelbrei. Aber sie wollen gelegentlich eintreten – zum Beispiel wenn jemand getauft wird oder wenn jemand gestorben ist – und sich die Sprache leihen für den Augen- blick. Ich glaube nicht, dass jeder jederzeit alles verstehen muss. Das wird nicht gelingen. Wir müssen alles so machen, dass wir es zunächst einmal selber glauben.

Loko: Das ist auch für die Werbung der Ausgangspunkt. Der In- genieur muss den Eindruck haben, dass er wirklich das beste Auto anzubieten hat, das es für den Preis gibt. Auch der Politiker muss an seine Aussagen glauben, sonst wird die Werbung nicht funktionieren. Aber wie kommuniziere ich das nach draußen? Das Spannende ist, den schmalen Grat zu finden zwischen unzulässiger Verkürzung und so vielen Worten, dass die Leute aussteigen. Das ist auch die Schwierigkeit in der Mission.

Steffensky: Mission heißt zunächst mal: Da steht jemand für eine Idee ein. Ich will es an einem Beispiel sagen: Unsere Enkelkinder sind wundervoll, aber es ist schwer, sie sonntags in die Kirche zu kriegen. Wie missioniere ich sie? Indem ich sonntags in die Kirche gehe. Sie haben keine Lust, ich bleibe dabei und gebe nicht auf. Erziehen heißt, Kinder in Widerstände verwickeln. Dass Christen durch ihre Haltung erkennbar sind, das ist die Mission. Mehr gibt es nicht.
 

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