Kunstwerk -  Stern, Marlene Dumas
Kunstwerk - Stern, Marlene Dumas
Courtesy the artist and Frith Street Gallery/Tate, London 2019
Ekstase und ewige Ruhe
Die gebürtige Südafrikanerin Marlene Dumas zeichnet 
die tote Ulrike Meinhof in frostigen Tönen.
Lukas Meyer-BlankenburgPrivat
19.02.2019

Aus diesem Leben ist die Farbe gewichen. Viel kälter geht es kaum. Doch die malerische Eiszeit ist Programm. Denn Marlene Dumas will ihre Betrachter frösteln lassen. Wo Nähe sonst Wärme erzeugt, schafft die Künstlerin mit ihrer Hilfe 
Minusgrade auf der Leinwand. Kunst wird für Dumas erst dann schön, wenn sie schrecklich ist.

Die Motive in den Werken der Künstlerin, mittlerweile eine der bedeutendsten Malerinnen der Gegenwart, lassen sich zusammenfassen als Erörterungsversuche der wesentlichen Seins-Zustände im menschlichen Leben: Sex, Schlaf und Tod. Welche unheimlichen Verbindungen diese Zustände mitunter eingehen, darauf verweist auch ihr Porträt hier: Der weibliche Kopf im Profil, Augen geschlossen, Lippen leicht geöffnet – das sind normalerweise die Zutaten, aus denen Erotikfilme ihre Bildrezepte erstellen. Doch hier hält Dumas keine Frau auf dem Höhe­punkt der Gefühle fest. Hier liegt die tote Ulrike Meinhof. Der dunkle Streifen über der Kehle ist Hinweis auf das Tuch, mit dem 
sich die RAF-Terroristin in ihrer Stamm­heimer Zelle 1976 strangulierte.

Lukas Meyer-BlankenburgPrivat

Lukas Meyer-Blankenburg

Lukas Meyer-Blankenburg ist freier Journalist mit Hang zur Kunst

Die Bildquelle 
hat Dumas gleich zum Titel ihres Porträts gemacht: "Stern" von 2004 zeigt Meinhof nach einem Pressefoto, das im Magazin "Stern" veröffentlicht wurde. Schon Künstlerkollege Gerhard Richter hatte sich daraus für seinen berühmten Zyklus "18. Oktober 1977" bedient.

Nicht nur im Motiv, sondern auch im Bild-­Titel ist die Parallele zwischen Ekstase und ewiger Ruhe frappant. Nach den Sternen ­greifen kann der selig Liebende. Nach dem (Magazin) Stern greift, wer dem Tod ins Antlitz blicken möchte. Und von erloschenen Sternen sind die Nachrufe in den Zeitungen voll. Dumas zieht die Betrachter ganz tief rein in die befremdlichen Untiefen dunkler Er­fahrungswelten. Wer einmal drin steckt, kommt vor lauter Beziehungen ins Taumeln. Die gebürtige Südafrikanerin malt ihre Bilder gern bewusst mit verschmutzten Pinseln. Von Dreck auf Leinwand und Leben zeugt auch ­ihre betonte Zurückhaltung bei den ­Farben. Dumas Bilder sind schwarz-weiß.

Einige legen ihr das als biografische ­Tönung aus. Denn die Malerin, heute in den Nieder­landen lebend, wuchs auf im süd­afrikanischen Alltag aus Apartheid und ­Rassismus, unter einer klaren gesellschaftlichen Trennung von Schwarz und Weiß. Dass die Trennlinie sowohl in den Gefühls- als auch in den Bildwelten aber selten scharf zu ziehen ist, macht Dumas mit "Stern" einmal mehr deutlich. Vielleicht bezeichnend, dass die Franzosen, gemeinhin als Meister der Ver­führungskunst und Erotik gepriesen, für den Orgasmus die Beschreibung la petite mort pflegen, der kleine Tod. Und bezeichnend auch, dass die Arbeit von Marlene Dumas derzeit im Stuttgarter Kunstmuseum hängt. Denn dort dreht sich noch bis Ende Februar alles um das ­Thema: "Ekstase".

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