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Magdalena Jooss
Entspannt abgestiegen
Er arbeitet genau so viel wie als Selbstständiger – aber er kann nachts durchschlafen
undefinedNicole Malonnek
01.03.2017

Auf welche Details es als Selbstständiger ankommt, das verstand ich bei einem meiner ersten Geschäftsessen. Ich war 30 und hatte gerade eine Marketingagentur gegründet. Da erwähnte mein Kunde beiläufig, dass er sehr auf gepflegtes Schuhwerk achte. Ich sah an mir hinunter und ich fühlte mich ertappt. Von dem Tag an erschien ich zu beruflichen Terminen konsequent in ­korrekt sitzenden Anzügen und polierten schwarzen Schuhen.

Mein ­Studentenauto, mit dem ich privat noch einige Jahre zufrieden gewesen wäre, tauschte ich gegen ein schickes Cabrio ein. Sonst hätte es geheißen: „Der kann sich wohl nichts Besseres leisten.“ Als Firmenchef muss man einen gewissen Erfolg zeigen – ohne aber zu protzen. Ein roter Sportwagen wäre zu viel gewesen. Ich ging zu Segelturns, Golfturnieren und Partys, obwohl ich im Grunde meines Herzens zufriedener bin, wenn ich die Kollegen bei einem Italiener und guter Pizza treffe. 

Ich arbeitete immer, auch an den Wochenenden und spät-abends, oft nachts. Urlaube ohne Konferenzunterbrechungen, Laptop und Handy? Undenkbar! Bald konnte ich zehn Mitarbeiter einstellen. Die IHK schlug mich als ehrenamtlichen Handelsrichter vor. Eine große Ehre! Auch bei den Wirtschaftsjunioren, einem internationalen Verein von jungen Unternehmern und Führungskräften, engagierte ich mich ehrenamtlich, erklärte zum Beispiel in Schulen, wie man sich auf Bewerbungsgespräche vorbereitet.

Meine Eltern starben, ich fühlte mich wie betäubt

Die Ämter und meine berufliche Selbstbestimmtheit machten mich glücklich und füllten mich aus. Aber es gab auch Nächte, in denen ich schlaflos im Bett lag, weil ein Auftrag kurzfristig geplatzt war oder ein Kunde nicht pünktlich überwiesen hatte. Dann zitterte ich, ob mir die Bank noch mal einen Notkredit geben würde, damit ich meine Angestellten bezahlen konnte. In ganz schlechten Phasen musste ich die Arbeitszeiten meiner Mitarbeiter auf halbe Tage herunterfahren. 

Mein Beruf forderte meine ganze Kraft und als mein Vater krank wurde, hatte ich kaum Zeit, ihn am anderen Ende Deutschlands zu besuchen. Er starb, und während ich noch mit meiner Trauer beschäftigt war, wurde meine Mutter angefahren und starb ebenfalls – nur ein Jahr später. Ich fühlte mich wie betäubt. Auf einmal hatte ich keine Ideen mehr, und meiner Firma ging es ohne meine kreativen Impulse prompt schlechter. 

Nach einem Jahr kam meine Kraft allmählich zurück, und ich zog wieder erste lukrative Aufträge an Land. Da bot mir ein Freund einen Job als fest angestellter Vertriebler in einer der heißesten Softwarefirmen überhaupt an. Unter seiner Regie als Chef. Vier Wochen dachte ich über das Angebot nach. Mich schreckte die Vorstellung ab, nach 18 Jahren wieder das zu tun, was andere für richtig halten.

Ja, ich habe ein Stück öffentliches Ansehen aufgegeben

Ich fragte mich, wie mein „Abstieg“ vom Chef zum Angestellten bei meinen Geschäftspartnern ankommen würde. Käme ich damit klar, dass alle denken, dass ich pleitegegangen sein muss? Und: Bin ich bereit, mein Amt als Handelsrichter aufzugeben? Auf keinen Fall wollte ich vor jedem ehrenamtlichen Termin in der Chefetage um Erlaubnis bitten.

Am Ende überwogen meine Neugier auf das Softwareprodukt, das ich vertreiben würde, und die Aussicht, nicht mehr für alles verantwortlich zu sein. Als klar war, dass meine Angestellten gut versorgt sind, sagte ich zu. Und zog zu vier Kollegen in ein Büro, das halb so groß ist wie mein altes. Glücklicherweise gibt es bei uns keine Stechuhr, aber Homeoffice. Mein Chef reißt uns mit seiner Begeisterung für seine Vision allesamt mit, und noch nie wurde ich so viel gelobt für meine Leistung.

Zwar arbeite ich genauso viel wie früher, aber zu geregelten Zeiten. Vor wichtigen Vertragsunterzeichnungen kann ich durchschlafen und muss mich nicht noch darum kümmern, ob die Bürokaffeemaschine funktioniert und genug Toilettenpapier da ist. Nur als ich meinen ersten Urlaubsantrag ausfüllte, atmete ich noch einmal tief durch, denn jahrelang konnte ich über meine Zeit selbst bestimmen. Auch als mir zugetragen wurde, dass über meinen Jobwechsel tatsächlich getuschelt wird, war das kein schönes Gefühl. Ja, ich habe ein Stück öffentliches Ansehen aufgegeben. Aber meine Freundin sagte neulich: „Du bist viel ­entspannter als früher.“ Das ist mir heute wichtiger.

Protokoll: Silia Wiebe

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