Rettet die Kunst!
Im Eifer des Gefechts, Pulver verschießen, Bombenstimmung - in unserer Alltagssprache verbirgt sich viel Kriegsrhetorik. Muss das sein?
Tim Wegner
07.06.2022

In einem der vielen Leitartikel, die uns täglich den Krieg in der Ukraine erklären, las ich ­gerade: "Joe Biden hat keine andere Wahl, als seinen Gegenspieler nach allen ­Regeln der militärischen Kunst in die Knie zu zwingen." Stopp! Nennt bitte den Krieg keine "Kunst". Kunst ­definiert der Duden als "schöpferisches Ge­stalten". Krieg ist in meinen Augen die Zerstörung der Schöpfung. Drum sollten wir auch nicht sagen, dass Sol­da­ten "fallen". Sie werden getötet. Darauf hat mein Kollege Burkhard Weitz schon zu Beginn des Krieges hingewiesen.

Tim Wegner

Ursula Ott

Ursula Ott ist Chefredakteurin von chrismon und der digitalen Kommunikation im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik gGmbH. Sie studierte Diplom-Journalistik in München und Paris und besuchte die Deutsche Journalistenschule in München. Sie arbeitete als Gerichtsreporterin bei der "Frankfurter Rundschau", als Redakteurin bei "Emma", als Autorin und Kolumnistin bei der "Woche", bei der "Brigitte" und bei "Sonntag aktuell" sowie als freie Autorin für Radio und Fernsehen. 2020 und 2021 wurde sie unter die 10 besten Chefredakteur*innen des Jahres gewählt. 2019 schrieb sie den Bestseller "Das Haus meiner Eltern hat viele Räume. Vom Loslassen, Ausräumen und Bewahren".

Ach, so ein kleiner sprachlicher Missgriff kann einem im Eifer des Gefechts schon mal passieren, oder? Noch mal stopp! Daran stört mich das Gegenteil: Dass wir mit martialischen Ausdrücken um uns werfen, wenn wir über das ganz normale Alltagsleben sprechen. Das "Gefecht" kommt aus der Militärsprache, genauso wie die "Bombenstimmung" und das "Pulver verschießen". Ich fühle mich dem sehr realen Krieg so hilflos ausgeliefert, dass ich wenigstens das eine tun kann: auf meine Sprache aufpassen.

Hoffentlich würde Olaf Scholz heute auch nicht mehr von der "Bazooka" sprechen, wenn es um Corona-­Hilfen geht. Wird ja genug geschossen gerade. Lassen Sie uns wenigstens sprachlich abrüsten. Die Dinge beim richtigen Namen ­nennen – das will ich auch in meinem Podcast "Sprachstunde". Dass es "Klima­leugner" gar nicht geben kann und was er gegen "Klimaforschungsleugner" hat, erklärt der Meteorologe Sven Plöger. Auch die Begriffe "Widerstand", "Elite" und "Differenz" habe ich mit klugen Gästen besprochen. Weil Sprache ­wichtig ist. Hören Sie genau hin!

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Liebe Frau Ott.
Sie sprechen mir aus der Seele. Ich kann und will -wie Sie- nicht ignorieren oder kleineren, was da tagtäglich passiert. Sprache ist so wirkungsmächtig, dass sie sorgsam und behutsam und genau verwendet werden soll. Bei der AfD kann man gut beobachten, wie bewusst manipulativ Sprache eingesetzt wird, wie systematisch Grenzen überschritten und Tabus gebrochen werden, alles auf der Sprachebene. Danke für die Sorgfalt und Ihre Plädoyers. Keinesfalls sind Worte Schall und Rauch, im Gegenteil.
Herzlichst verbunden Ihr Armin Kröning aus dem Rheinland.

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Es gibt folgende Realitätsrhetorik,
denn Macht verhandelt nicht.

Macht bedeutet Diktat.
Ohnmacht bedeutet Leid.
Unsicherheit verhandelt.
Wer ohnmächtig verhandelt
diktiert sein eigenes Leid.

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- Philipp STOELLGER (Hrsg.), Sprachen der Macht, Reihe Interpretation Interdisziplinär, Band 5, Königshausen & Neumann 2008 (nicht ganz billig)
- Philipp STOELLGER, Vom Sagen des Zeigens und Zeigen des Sagens: die Macht der Sprache zwischen Sagen und Zeigen. In: Macht und Ohnmacht der Sprache, Velbrück Wissenschaft 2012, S. 82-113 (kostenlos herausfischbar aus den Tiefen des Internets)

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Sprachliche Abrüstung? Da sind wir doch alle mit Freuden dabei! Solchermaßen als Friedensfreundinnen ausgewiesen fällt die Zustimmung zur leider unumgänglichen tatsächlichen Aufrüstung (100 000 000 000 Euro) umso leichter.

Spielzeugpanzer im Kinderzimmer? Einfach igitt! Solchermaßen zum Frieden erzogen fällt die auf Jahre hin angelegte Produktion von Panzerhaubitzen und deren Lieferung an die genehme Kriegspartei wie geschmiert.

Der Autor Herr Weitz weist korrekt darauf hin, dass Soldaten nicht fallen, sondern getötet werden.

https://chrismon.evangelisch.de/artikel/2022/52414/leere-kriegsrhetorik-eine-sprachkritik#comments-list

Derselbe Autor äußert große Sorge, ob die Mannschaft auch alle für sie vorgesehenen Opfer auf sich nimmt und somit stramm hinter der Regierung steht, wenn die zu Wirtschafts- und Stellvertreterkrieg ruft.

https://chrismon.evangelisch.de/artikel/2022/52329/diplomatie-waffen-sanktionen-was-stoppt-putin

Ja, so geht zeitgemäßes Friedensengagement. Man kann es dem Zustand des Weltfriedens ansehen.

Thea Schmid