Fulbert Steffensky, Theologe, in seiner Wohnung in Luzern fotografiert.
Sophie Stieger
Gott macht sich klein
Fulbert Steffensky, Theologe am Vierwaldstättersee in Luzern fotografiert.Sophie Stieger
26.11.2015
Heilig Abend Christnacht
Paulus, Knecht Christi Jesu, zum Apostel berufen, ausgesondert, das Evangelium zu predigen, … nämlich das Evangelium von seinem Sohn Jesus Christus, ­unserm Herrn, der durch die Kraft des heiligen Geistes eingesetzt ist als Sohn Gottes in Macht aufgrund der Auferstehung von den Toten. Durch ihn haben wir Gnade und Apostelamt empfangen, . . .
Römer 1, 1–7

Wenn ein Vater mit seinem Kind spielt oder wenn er es tröstet, bleibt er nicht in seiner vollen Größe vor dem Kind stehen. Er geht in die Knie, macht sich klein, begibt sich in die Lage des Kindes, ist Auge in Auge mit ihm und nimmt seinen Horizont an. Er vergisst seine Sprache und spricht die Worte, die das Kind schon versteht.

Warum? Hat das Kind nicht mehr davon, wenn der Vater groß und in sicherer Überlegenheit vor ihm steht? Es scheint, dass das Kind, wenn es glücklich spielt oder wenn es im Unglück weint, mehr auf die Nähe des Vaters angewiesen ist.

Gott geht in die Knie, er lebt das Leben aus unserer Perspektive, spricht die Sprache unseres Stammelns. Jesus, der kleine König, hat nicht einmal eine Stelle, an der er mit Anstand geboren werden kann. ­Irgendeine zugige Höhle ist gut genug für ihn. Seine Huldiger sind ein paar zerlumpte Hirten. Der kleine König wird versteckt und heimlich außer Landes gebracht, die Macht trachtet ihm nach dem Leben. Er ist nicht einmal einzigartig in seinem Leiden. Er ist nicht der erste Flüchtling, und er wird nicht der letzte sein. Was ihm zustößt, ist Menschen vor ihm zugestoßen und wird Menschen nach ihm zustoßen.

Der kleine König hat seine Insignien und Zeichen, an denen man ihn erkennt. So wird es den Hirten gesagt: „Und das sei ­euch ein Zeichen: Ihr werdet ein Kind finden, in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend.“ Lächerliche Würdezeichen: Kinderwindeln und ein Futtertrog! Wenn sich einer eine blasphemische Verhöhnung von Glanz und Herrlichkeit Gottes ausdenken wollte, könnte er es nicht besser und ironischer tun, als Gott es in der Weihnachtsgeschichte selber getan hat.

###autor###Wir können Gott diese Selbstironie nur schwer verzeihen. Dem kleinen König ­haben die Menschen gesagt: Wenn du der Sohn Gottes bist, gib uns Zeichen deiner Macht; steig herab von der Qual deines Kreuzes; verwandle die Steine in Brot, dass du zu essen hast, und stürze dich vom Felsen, es passiert dir nichts! Welch ein Irrtum! Diesem Sohn Gottes stieß fast alles zu, was einem Menschen zustoßen kann. Es ist ein fremder und zärtlicher Gedanke, dass unser Leben und dass die Welt nicht gerettet werden durch die Macht des Mächtigen, sondern durch die Teilnahme Gottes an unseren Ohnmachten und an unseren Leiden. Dies ist keine Verherrlichung der Ohnmacht. Es bedeutet nicht, dass das ­Leiden in sich eine erlösende Kraft hat. Die Liebe, die sich gleich macht mit dem Geliebten, ist die erlösende Kraft. Gott duldet keine Apartheid, auch nicht zwischen sich und seinen verlorenen und gequälten Geschöpfen – das sagt uns der kleine König in seinen Windeln, in seinem Trog, auf seinen Fluchten und mit seinen Tränen. Gott geht in Jesus Christus in die Knie, wie wir in die Knie gehen, wenn uns das Leben schlägt.

Der kleine verlorene König wird umkommen, weil er sich von denen nicht ­trennen lässt, die umkommen. Gott hat sich verhüllt in seiner Geschichte. Er hat gelernt, was Hunger und Durst, Einsamkeit und Folter sind. Damit hat er die Wichtigkeit unseres Lebens enthüllt. Alle Schönheit und alles Elend der Welt sind zum Abglanz der Schönheit und der Wunden Gottes geworden. Gott blutet in unseren Wunden, er wird geschlagen in der Folter der Menschen, und er entbehrt des Brotes wie die Kinder in Syrien. Ob Menschen Brot haben oder nicht; ob sie geschlagen werden oder ob sie in Ruhe leben können; ob sie Arbeit haben oder nicht, das ist eine spirituelle Angelegenheit geworden, seit Gott mit unseren Wunden bedeckt ist.

Der kleine König hat gesiegt, erzählt uns die Bibel; er ist auferstanden. Schwer zu glauben! Aber wie könnten wir leben ohne die Schönheit dieser Geschichte?

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