Luftbruecke - demonstrierende Frauen
privat
"...und niemand kann dich retten"
Viele Frauen in Afghanistan protestieren gegen die Unterdrückung durch die Taliban und geraten in Lebensgefahr. Wo bleibt die Unterstützung im Westen für diesen so mutigen Freiheitskampf?
Tahora HusainiPrivat
08.02.2022

Als ich vor einigen Tagen, wie so oft, nicht einschlafen konnte, sah ich mir noch einige Beiträge auf Social Media an, zum Beispiel auf dieser Facebook-Seite, von der ich das Foto oben heruntergeladen habe. Dabei ist mir ein Video besonders in Erinnerung geblieben. Es zeigt eine der protestierenden Frauen der „Brot, Arbeit, Freiheit“-Bewegung in Afghanistan, die voller Verzweiflung und Angst in ihrer Wohnung einen Video-Hilferuf aufnimmt.

Im Hintergrund hört man es lautstark an ihrer Tür klopfen. Eine Horde Taliban-Männer waren gekommen, um sie zu verhaften. „Es ist Mitternacht und ich bin alleine hier mit meinen drei kleinen Schwestern. Kommt bitte morgen.“ Dann unterbricht das Video plötzlich. Seither hat niemand mehr etwas von der jungen Frau gesehen oder gehört.

„Seid mutig und bleibt unter allen Umständen zusammen in der Gruppe!“

Ich erinnere mich noch gut daran, als ich 2012 zum ersten Mal an den Protesten in Kabul teilgenommen habe. Wir demonstrierten für ein Gesetz zur Verbannung von Gewalt gegen Frauen. Eine der Organisatorinnen warnte davor, dass einige Studenten der Sharia-Universität uns angreifen könnten. „Seid mutig und bleibt unter allen Umständen zusammen in der Gruppe!“ Die junge selbstbewusste Frau motivierte uns mit ihren starken Worten.

Niemand kann dich retten

Ich hatte große Angst an diesem Tag. Zum Glück passierte nichts. Nur einige junge Männer am Straßenrand, die uns verärgert ansahen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich den Mut hätte, an den aktuellen Protesten ebenfalls teilzunehmen, wäre ich jetzt noch in Kabul. Es erfordert unglaublich viel Tapferkeit, sich den Taliban entgegenzustellen. Einer Gruppe bärtiger Männer, die bewaffnet, dreckig und stinkend, nachts an deiner Wohnungstür klopfen, um dich für deinen Wunsch auf Freiheit zu verhaften – und niemand kann dich retten.

Mehrere der protestierenden Frauen werden seit Wochen vermisst. Die Social-Media-Kanäle sind voll mit Hashtags und Petitionen zur Befreiung dieser Frauen. Zum Teil werden sie aber auch als Heuchlerinnen bezeichnet, die einen Vorwand suchen, um in einem der westlichen Länder Asyl zu bekommen. Frauen, die ausgepeitscht wurden, aber dennoch erneut auf die Straße gingen, um ihre Rechte einzufordern. Jegliche Verurteilung als Heuchelei zeugt von völliger Ignoranz darüber, welches Ausmaß die Unterdrückung von Frauen in Afghanistan hat.

Jetzt buhlen die Taliban um die Gunst westlicher Regierungen

Als kürzlich die Vertreter des islamistischen Regimes mit einem Privatjet nach Oslo eingeflogen worden, um mit westlichen Diplomaten auf Augenhöhe zu verhandeln, sorgte dies bei vielen Afghaninnen und Afghanen für große Enttäuschung. In den letzten zwanzig Jahren wurden unzählige Menschen durch Anschläge der Taliban getötet, als Antwort auf die Besatzung Afghanistans durch die NATO. Jetzt buhlen sie um die Gunst selbiger westlicher Regierungen.

Viele sahen dieses Treffen als einen weiteren Schritt zur internationalen Anerkennung der Taliban-Regierung und damit als Legitimation der fortlaufenden Unterdrückung von Frauen sowie dem Verlust aller Errungenschaften der letzten zwanzig Jahre, von Gleichberechtigung und Gerechtigkeit.

Zu dem Treffen waren auch einige der protestierenden Frauen eingeladen, um ihre Bedenken und Ängste deutlich machen zu können. Eine von ihnen forderte die sofortige Befreiung ihrer Kameradinnen. „Ruft eure Leute an und ordnet ihre Freilassung an!“ Die Taliban-Vertreter stritten jegliche Verhaftungen vehement ab. Die Courage dieser Frauen dürfte sich für die neuen Machtinhaber wie ein Schlag ins Gesicht anfühlen. Es sind nicht mehr die Frauen von vor 20 Jahren, die sich ängstlich verstecken. Ihr Kampf bringt Hoffnung und Ansporn und erinnert uns zugleich an all die Opfer und Verluste der letzten Jahre.

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Kolumne

Tahora Husaini

Die afghanische Frauenrechtlerin Tahora Husaini hat über ein Jahr lang in ihrer Kolumne über ihr Leben in Deutschland, das Schicksal ihrer Landsleute in der alten Heimat und das einstige Leben in Kabul geschrieben. Die letzte Folge der Kolumne erschien im Mai 2023