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Die Kunstgeschichte hat wunderbare Meisterwerke hervorgebracht. Aber nur einige sind zu Ikonen geworden, die (fast) alle kennen. Warum ausgerechnet sie? Das ist ein Geheimnis, dem Katja Lemke, Direktorin des Niedersächsischen Landesmuseums Hannover, in ihrem Buch „Ikonen der Kunst. Und wie sie zu dem wurden, was sie heute sind“ (2021), nachgegangen ist. Gelöst hat sie es zum Glück nicht, aber wie sie die Geschichten von 25 dieser Ikonen erzählt, gewinnt man eine Ahnung.
Erstaunlich ist, wie unbedeutend viele dieser Werke und ihrer Meister zu ihrer Entstehungszeit waren: Tutanchamun war ein schwacher, früh verstorbener Herrscher; Nofretetes Büste ist aus Gips; Leonardo da Vinci galt seinen Zeitgenossen wenig; die Nike von Samothrake stand in einem Provinznest herum, van Gogh hat zeit Lebens nichts verkauft; Munch wurde als Nichtskönner verachtet. Die Liste ließe sich endlos weiterschreiben – eine gute Mahnung, dem eigenen Kunstgeschmack nicht allzu sehr über den Weg zu trauen.
Nicht selten waren es Konflikte oder Unglücksfälle, die ein Bild in den Fokus der Öffentlichkeit rückten. Oder politische Interessen. Oder kommerzielle Interessen. Oder später die Möglichkeiten der technische Reproduktion und medialen Verwertung. Aber es muss noch etwas hinzukommen, was sie nicht erklären lässt: dass viele Menschen darin etwas sehen, was sie selbst unbedingt angeht. Ein Schrei der Verzweiflung (Munch), eine Sehnsucht nach Schönheit (Nofretete, Michelangelos David), eine Verzweiflung (Laokoon), ein Glanz der Ewigkeit (Tutanchamuns Totenmaske), ein Rausch in der Nacht (van Goghs Sternenhimmel), die Unergründlichkeit des Individuums (Mona Lisa).
Das Schöne bei Büchern wie diesem ist, dass man als Leser überlegen kann, was man ihnen hinzufügen möchte. Also, ich hätte Caspar Davids Friedrich „Wanderer über dem Nebelmeer“ genommen und seinen „Mönch am Meer“ gleich dazu. Über Cranachs Lutherbilder hätte ich nachgedacht, warum sie keine Ikonen mehr sind, zu ihrer Zeit aber die ersten massenmedialen Kunst-Ikonen waren. Einen Mark Rothko hätte ich noch ausgewählt, vielleicht einen Francis Bacon, notgedrungen einen Andy Warhol… ein schönes Spiel.
Doch dann erinnere ich mich, wie ich in Museen gewesen bin, wo eine dieser Ikonen leibhaftig zu sehen war, wie die Menschenmassen (und darin ich) sich zu ihnen hinschoben, für einen kurzen Moment verharrten, drängelten, guckten, ein Foto machten und weitereilten. Dabei ist eine richtige Ikone doch ein Anbetungsgegenstand: In der Stille verharrt man vor ihr, nimmt sie ganz in sich auf, versinkt dabei im Gebet. Ach, es ist meist eine Gnade, wenn ein Kunstwerk nicht zur Ikone wird.
P.S. Über die Sklaverei – ihre Geschichte und Gegenwart – habe ich von dem Berliner Historiker Andreas Eckert sehr viel gelernt. Wer mitlernen möchte, höre sich unser Podcast-Gespräch an.