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Letzte Woche war das Ahrtal auf einmal zurück in den deutschen Medien und den Schlagzeilen. Anlass war der Wetterbericht. Dort war zu hören von hereinziehenden Tiefdruckfronten, Gewitterzellen, Starkregen, Tornadogefahr – der Klimawandel bereichert den eigenen meteorologischen Wortschatz um krasse Begriffe. Da bedurfte es keines besonderen journalistischen Riechers, um nochmals auf die Befindlichkeiten in der Krisenregion vom letzten Jahr zu blicken.
Spracharmut der Amtsträger
Dass immer alle irgendwas am Wetter auszusetzen haben, ist eine Binsenweisheit, doch es ist schon so, wie die Granden der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler es der Öffentlichkeit erklären: In einer Videobotschaft mit dem Titel Unwetterwarnung analysierte der Bürgermeister – im Kurzarmhemd vor Balkonkästen mit Geranien ganz Bürgerversteher – für breitere Kreise die psychische Verfasstheit der Talbewohner: „Anders als anderswo macht ein solcher Starkregen mit uns mehr, weil wir wieder an die Ereignisse aus dem Juli letzten Jahres erinnert werden.“ Und der Hirte der Katholiken, Jörg Meyrer, durfte einem FAZ-Reporter in den Block diktieren: „Die Stimmung ist ganz seltsam. Das Tal zittert, ist nervös, zum Teil auch ängstlich ... Das ist schlimm für die Menschen. Für manche ist es kein Problem. Andere haben die Fluterlebnisse noch gar nicht verarbeiten können.“ Die ungelenke Spracharmut der Amts- und Würdenträger entspringt der allgemeinen Unsicherheit – Freunde bildungsbürgerlichen Sprechs sagen Ambiguität – im Umgang mit düsteren Wetterorakeln und den tatsächlichen sinnlichen Wahrnehmungen des Regens.
Einsetzendes Kopfkino
Im Eingang eines Supermarktes treffe ich auf eine Bekannte, die man ein sonniges Gemüt nennen könnte. Über den Parkplatz vor dem Geschäft spielt der Regen mit den Pfützen. „Mensch“, sagt sie, „da denkt man die ganze Zeit, es müsste doch mal regnen für die Pflanzen und den Garten, und kaum geht das los, schon ist wieder das ganze Kopfkino vom letzten Jahr da!“ Sie fixiert eine der brodelnden Wasserlachen und erzählt von den Bildern im Kopf: Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.
Zwei Tage später besucht der Installateur meines Vertrauens unser Haus. Er ist jung, dynamisch und belastbar – tatsächlich und ganz ohne den floskelhaften Beigeschmack dieser Wortreihe. Und er hatte es wieder im Firmenlager stehen nach dem Regen, 20 Zentimeter nur, aber zwei Tage Arbeit, die er seine Kunden vertrösten musste. Scheiße – im Wortsinn, denn das Ungemach wurde aus der Kanalisation hochgespült, die an vielen Stellen noch so verstopft ist, wie die Arterien in einem Raucherbein. Die Handwerkerfamilie hatte mal eine liebevoll gestaltete Ausstellung mit Wunderbarem und Wundersamem aus der Welt der Sanitärobjekte. Auch nur an den Wiederaufbau dieser Herzensangelegenheit zu denken, liegt noch weit im Reich der Utopie.
Als ich an einer andern Baustelle vorbeikomme, werkelt dort Sergej, der Polier, ein tätowiertes Muskelpaket. Er streckt das Kinn grimmig gen Himmel: „Die ersten Wochen hast du gar nichts gemerkt letztes Jahr. Aber jetzt, wo du zur Ruhe kommst, da spürst du, wie du anders geworden bist – irgendwie anders, verstehst du?“ O ja, das verstehe ich!
Gewiss bleibt es ungewiss
Das Hochwasser war eine Katastrophe. Doch es scheint, es wäre das Ereignis der Auftakt zu etwas Neuem gewesen. In politischen Zusammenhang ist in diesen Tagen viel zu lesen von Epochenwandel oder Zeitenwende. Kann sein, dass der Juli 2021 hier einmal als das Datum angesehen werden wird, an dem der Klimawandel von der Theorie in eine lebensbegleitende Wirklichkeit umschlug. Während ich meinen Kindern früher noch inbrünstig vorsang „Januar, Februar, März, April, die Jahresuhr steht niemals still ...“ und damit cum grano salis die ewige Wiederkehr des Gleichen voraussetzte, kann ich mich nun nicht mehr damit beruhigen, dass sich alles schon wieder beruhigen wird. Es wird langsam zur Gewissheit, dass es ungewiss bleibt.