Behelfsbrücke über die Ahr in Neuenahr
Brücken der Erinnerung sind verschwunden, neue Flussquerungen entstanden. Die zerstörte Kurgartenbrücke ist (einstweilen) durch eine Brücke in den Kurpark ersetzt worden.
Thomas Rheindorf
Ortstermin mit Damen
Ostern. Vom Eise befreit sind Strom und Bäche, die Sonne strahlt vom blauen Himmel durch Zweige voller Kirschblüten, kurzum: Es ist die wahre Wonne. Ich trinke Selters mit Jana. Die Stimmung ist wie Sekt. Sie erzählt eine Geschichte. Eine mit schöner Pointe.
22.04.2022

Jana arbeitet jetzt im Bethel-Hotel. Im Herbst stand sie draußen vor der Tür, Herrin über einen Waschsalon, gute Seele eines zugigen Kaffeezelts, Pendlerin zwischen kalten Bürocontainern, in denen sie abwechselnd das Werden des Hotels vorantrieb und die Verwaltung ihrer Kirchengemeinde begleitete. Inzwischen ist das Hotel am Bahnhof fertig, mit großem Bahnhof eröffnet und der Schuppen brummt. Jana ist jetzt drin und Hausdame. Das Wort klingt so altmodisch wie Chefhostess. Letzteres füllte die unvergessene Heide Keller als Beatrice von Ledebur im Traumschiff mit 38 Jahre lang mit Leben. Hausdame nach Jana-Art ist so ähnlich: nonchalant, aufmerksam gegenüber Gästen und Personal, an allen Ecken gleichzeitig und dabei chronisch gut gelaunt.

Da ist nichts mehr

Jana nippt am Wasser: „Manche haben den Knall echt immer noch nicht gehört!“ Sie blinzelt hinüber. Da wir uns schon ein paar Tage kennen, weiß ich, sie will eine Geschichte loswerden. „Und wen meinst du da?“ Das ist der Startschuss: „Stell Dir vor, ich stehe so an der Rezeption, da kommen zwei Damen und fragen mich, wann der nächste Zug nach Mayschoß fährt!“ „Und“, frage ich trocken, „wusstest du‘s auswendig oder musstest Du nachsehen?“ „Witzig“, kontert sie, „ich hab gesagt, die können nur bis Walporzheim fahren, dann ist Schluss. Ja, sagt die eine da, ‚das ist aber komisch, früher ging das doch immer und dann konnte man da schön wandern.“ „Die Frau hat recht, das war wirklich ganz nett. Und der Biergarten war übrigens auch ...“ Sie beachtet meinen Einwurf gar nicht: „Ich so: Da liegt ab Walporzheim gar kein Gleis mehr. Sie so: Oh, wieso das denn? Ich so: Sie wissen schon, dass hier letzten Sommer eine Flutwelle war. Sie: Ja, und desshalb fährt jetzt immer noch kein Zug? Und ich: Worauf soll der denn fahren? Da ist nichts mehr. Die ganze Trasse ist wegespült. Es ist nicht mal mehr was da, wo man ein Gleis drauflegen könnte.“ „Erstaunlich, dass man hierher kommt und so wenig weiß ...“

Eine einzige Baustelle

„Pass auf“, fährt sie unbeirrt fort, „es kommt noch besser: Sagen die zu mir: Können wir denn von hier nach Ahrweiler spazieren? Das war immer so schön an der Ahr entlang. Und dann in der kleinen Altstadt Kaffee trinken. Ich: Sie kommen schon zu Fuß nach Ahrweiler. Nur eben nicht die Ahr entlang. Aber wenn Sie bereit sind ein bisschen zickzack zu gehen, dann geht das schon. Nur, ob Sie da dann Kaffee bekommen ist eine andere Frage, die Ahrweiler Innenstadt ist eine einzige Baustelle. Da gucken die beiden ratlos und ich so: Na ja, die stand auch im Wasser und jetzt beginnt langsam der Wiederaufbau. Darauf die eine: Aber das war doch letzten Sommer. Ist das nicht längst alles wieder aufgebaut? Und ich: Nein, und so schnell wird das auch nicht gehen. Oh, dann gehen wir halt in den Kurpark, sagt die andere. Wie kommen wir von hier zu der Brücke an der Kirche? Und ich: Gar nicht mehr, die ist weg, aber es gibt eine Behelfsbrücke für Fußgänger in den Kurpark. Die können Sie nehmen.“ Ich will gerade erwidern, dass die Ahr ja aus den Medien so gut wie verschwunden ist und Leute vielleicht ihren Erinnerungen hinterher reisen, ohne sich vorher so ganz genau zu informieren.

Wo kann man spenden?

Doch Jana duldet keine Parenthese mehr, jetzt wo die Geschichte ihrem Höhepunkt zustrebt: „Ich mache gerade Feierabend, da kommen die beiden wieder. Das ist ja schrecklich, das haben wir nicht gewusst, sagen sie und sehen ganz fertig aus. Wissen Sie, wir wollen spenden. Hier ist so viel kaputt und noch so viel aufzuräumen. Wissen Sie denn, wie man am besten spenden kann? Bei uns logiert ja die Diakonie-Katastrophenhilfe im Haus. Und ich so ganz locker: Klar, weiß ich, ich kann Sie mit den Richtigen zusammenbringen...“ Jana lacht und zwinkert triumphierend. In der Liturgie gibt es zu Ostern „risus paschalis“, das Osterlachen: Keiner lacht es schöner als Jana!

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Kolumne

Thomas Rheindorf

Als das Hochwasser kam, war Pastor Thomas Rheindorf gerade zur Seelsorge unterwegs. Geschichten aus dem Ahrtal: über Trauer, Tod und Hoffnung.