Angenommen, Ihre Bayern erzielen in der Nachspielzeit das Tor zum Sieg in der Champions League. Können Sie sich dann noch vorbehaltlos freuen und jubeln?
Michael Ott: Im konkreten Moment blendet man andere Dinge aus und denkt nur an den Sieg. Aber früher hat es mich tagelang getragen, wenn wir einen Titel gewonnen haben. Heute ist meine Freude nicht mehr auf Tage so ungetrübt - sogar wenn wir die Champions League gewinnen.
Michael Ott
Nils Husmann
Und wenn Deutschland - wie 2014 in Brasilien - in der Verlängerung des Finales in Katar zum WM-Sieg trifft?
Mein Verhältnis zu den Bayern ist enger als das zur Nationalmannschaft. Das geht wohl den meisten Fans eines bestimmten Clubs so. Und die WM in Katar ist etwas Besonderes, die Probleme sind omnipräsent, und jedes Stadion erinnert einen daran. Wenn wir in Katar Weltmeister werden, kann man das nach der Vorgeschichte - denke ich - schlecht vollständig ausblenden. Man muss eine Haltung finden, sich Gedanken machen, ob man die Spiele überhaupt verfolgt. Das zeigt ja schon das ganze Dilemma, das man als Fan mitmacht.
Und werden Sie die WM in Katar verfolgen?
Tendenziell nein. Ich bin aber, wie viele andere, hin und her gerissen und kann sehr gut die Fans verstehen, die sagen: Dieses Turnier ist der größte Auswuchs der Kommerzialisierung im Fußball, da ist eine rote Linie überschritten. So gesehen ist ein Boykott verständlich. Wieder andere sagen: Das Kind ist längst in den Brunnen gefallen, nun muss man das Beste daraus machen und den maximalen Fokus darauf legen, was im Gastgeberland Katar passiert - mit Blick auf die Menschen- und Arbeitsrechte, die Rolle der Frau und den Umgang mit homosexuellen und queeren Menschen. Und man muss die Rolle des Weltfußballverbandes, also der Fifa, in den kommenden Wochen immer wieder beleuchten wie unter einem Brennglas. Beide Positionen - Boykott oder kritische Begleitung - haben ihre Berechtigung.
Wie optimistisch sind Sie, dass die WM in Katar dazu beiträgt, dass sich etwas ändert?
Ich bin skeptisch. Das Regime in Katar und auch die Fifa tun dieser Tage leider alles dafür, dass die WM eine reine Imageshow wird. Die Fifa zum Beispiel hat die nationalen Mitgliedsverbände gerade erst dazu aufgerufen, sich von nun an nur noch auf den Fußball zu konzentrieren und kritische Statements zu unterlassen.
"Für mich war das wie eine Gewissensfrage"
Sie sind Initiator des Katar-Antrags, der per Mitgliederbeschluss dafür sorgen sollte, dass die Fußball AG des FC Bayern München ihre Zusammenarbeit mit Sponsoren aus Katar beendet. Wann war Ihnen klar: Das muss ich machen, dafür bringe ich mich ein?
Ich habe das Thema lange Zeit passiv verfolgt. Viele Fans im Stadion kritisieren schon länger, dass sich die Bayern von Katar sponsern lassen, auch im Stadion. Einige von ihnen haben Anfang 2020 eine Podiumsdiskussion in München organisiert und sogar Wanderarbeiter aus Katar eingeladen und eingeflogen. Alle sind gekommen und haben berichtet, auch Menschenrechtsorganisationen - nur der FC Bayern hat nicht teilgenommen. Das geht nicht. Für mich war das wie eine Gewissensfrage: Ich kann nur Mitglied beim FC Bayern sein, wenn ich alles, was in meiner Macht steht, dafür tue, um dieses grundfalsche Sponsoring zu beenden. Auch wenn es unangenehm ist, sich mit Verantwortungsträgern zu streiten, in denen man immer Idole gesehen hat. Weil ich Jurist bin, lag dann einfach der Gedanke nahe, es über einen Antrag auf der Mitgliederversammlung zu versuchen. Denn den kann man nicht so leicht ignorieren wie Plakate im Stadion.
Wohl noch nie wurde mehr über die Menschenrechte in Katar diskutiert als jetzt. Auch Sie haben dazu beigetragen. Befürworter der Sponsoring-Verträge und der WM in Katar sagen, durch die Zusammenarbeit mit Katar könnten Akteure wie der DFB oder der FC Bayern in einen kritischen Dialog eintreten, Verbesserungen anmahnen. Was erwidern Sie?
Die WM hat unbestritten bereits für Aufmerksamkeit gesorgt. Aber nicht, weil es die Fifa so beabsichtigt hätte, sondern weil die Fans und NGOs, also Nichtregierungsorganisationen, dafür gesorgt haben. Bei den Bayern muss man differenzieren zwischen dem Thema Sponsoring und den Trainingslagern der Profis in Katar.
Inwiefern?
Es war umstritten, dass die Profis Trainingslager in Katar abhalten. Mittlerweile gibt es auch gute Aktionen. Die Frauenmannschaft der Bayern war zum Beispiel auch dort und hat in Katar auf Frauenrechte aufmerksam gemacht. Leider ziehen ihre männlichen Kollegen von der Profimannschaft aber immer noch viel mehr Aufmerksamkeit auf sich, also war die Wirkung begrenzt. Es wäre zu hoffen, dass man in Zukunft auch mit Hilfe der Männermannschaft den Dialog mit Gastarbeitern, Regierung und NGOs sucht.
Und beim Sponsoring?
Das Sponsoring ist keine Form des Dialogs, sondern die einseitige Verbreitung einer Marketingbotschaft von Katar. Das hilft Katar lediglich dabei, von den Problemen abzulenken und ist somit kontraproduktiv, wenn man Veränderungen in dem Land erzielen will. Im Übrigen lässt sich ein ernsthafter Dialog nicht glaubwürdig führen, wenn man gleichzeitig die Hand aufhält, um Millionen von Katar zu kassieren.
"Sind wir nur Kunden, die Eintritt zahlen?"
Welche Reaktionen haben Sie erhalten, sowohl von anderen Bayern als auch von Fans anderer Clubs?
Für manche gelte ich wohl als Nestbeschmutzer. Einige Bayern-Mitglieder offenbaren ein seltsames, unterwürfiges Verständnis einer Mitgliedschaft - die eigene Vereinsführung ist unfehlbar wie der Papst, die darf man keinesfalls kritisieren. Aber die Unterstützung überwiegt bei weitem, und sie kommt selbst von Fans anderer Vereine. Privat habe ich ebenfalls die Unterstützung für mein Engagement, und die ist mir die wichtigste.
Sie machen weiter? Ihr Antrag kam ja nach einer juristischen Auseinandersetzung und einem Gerichtsentscheid nicht zur Abstimmung.
Ja, auf jeden Fall. Wir werden sehen, ob der Vertrag mit Katar im kommenden Jahr verlängert wird. Andere schwierige Partnerschaften mit Sponsoren wären denkbar, auch dagegen würde ich mich wenden.
Welche Zukunft hat der Profifußball?
Aktuell tobt der große Machtkampf, der allem zugrunde liegt, auch der WM in Katar. Sind wir nur Kunden, die Eintritt zahlen, Geld ausgeben und nett klatschen sollen? Stellenweise ist es schon so, man muss nur nach Leipzig und nach anderen Orten schauen. Viele Fußballinteressierte sagen, das sei eben die Realität und nicht mehr aufzuhalten. Ich finde das nicht, sehe mich als mündiges Mitglied meines Vereins. Noch ist nicht alles verloren, und es lohnt sich, für den Fußball, wie wir ihn lieben, zu kämpfen.