Die Protagonistin steht an einer geöffneten Wohungstür
Protagonistin für CHRISMON 2017-12-15
Doerthe Hagenguth
Mit zwölf war sie Prostituierte
Ihr erster Zuhälter war die eigene Mutter. Jetzt hat Michaela* ein neues Leben angefangen
Privat
23.02.2018

Michaela, 32:

Mein Leben damals in Tschechien war nur Straße, Drogen, viele ­fremde Männer, schlechte Freunde – seit meiner Kindheit. Ich kannte nichts anderes. Deswegen war es ­so ­schwierig, aufzuhören. Alle Mädchen und Jungen bei uns im Ort lebten so wie ich. Man denkt, das muss so sein, das ist normal.

Von den Männern, die aus Bayern oder Sachsen zu uns nach Cheb kamen, habe ich ein wenig Deutsch gelernt – „Komm, Präservativ, ficken, Geld . . .“. Außer Schmerzen hatte ich keine anderen Gefühle. Ein paar Jahre später waren die Schmerzen weg, aber innerlich fühlt man sich sehr dreckig, das ist mir geblieben. Wenn ich heute von Deutschland, wo ich jetzt wohne, hinter die Grenze nach Cheb fahre und sehe da Mädchen oder Jungs, die auf ­Klienten warten, wie ich damals, werde ich sehr traurig.

Mein erster Zuhälter war meine Mutter. Sie saß ruhig in der Küche und hat gewartet, dass ich ihr was heimbringe. Sie hatte nie Angst, dass ich umgebracht werde auf der Straße. Ich war als Kind stolz, dass ich ihr Geld gebe. Ich war für sie die Number One, weil ich mit zwölf Jahren schon eine Prostituierte war. Ich war glücklich, wenn sie zufrieden war, aber zu welchem Preis? Im Endeffekt habe ich mir meine Mutter gekauft.

Irgendwann fängt man mit harten Drogen an, vor allem Meth, damit die Seele sich beruhigt, damit ich den Tag auf der Straße vergesse, all diese Autos, all diese ­Augen der Freier. Aber das ist niemals passiert.

"Man wird zu einem Stein"

Am schlimmsten ist, dass man alles Vertrauen verliert. Wenn jemand nett ist, denkst du, er tut bloß heilig, aber er ist auch nur so ein Schwein. Man wird zu einem Stein. Mit dem Körper verkaufst du auch deine Seele, man merkt das nur nicht so schnell. Eigentlich konnte ich nicht mehr.

Ich kannte Cathrin schon fast zehn Jahre. Sie ist die Chefin von Karo, das ist ein Verein in Sachsen, der sich um Kinder und Frauen wie mich kümmert. Die fahren auch bei uns in Cheb durch die Straßen. Jedes Mal, wenn sie mich gesehen hat, hat sie mir gewinkt. Sie hat das ­Fenster runtergekurbelt oder ist ausgestiegen, und dann hat sie immer gesagt, ich solle aufhören, sie könne mir helfen. Aber ich war zu jung und dumm. Ich hab sie ­immer ausgelacht und bin weggegangen.

Bis vor fünf Jahren. Ich war im siebten Monat ­schwanger. Vielleicht ist in mir doch noch ein bisschen was Gutes geblieben – ich wollte mein Kind behalten. Da ist abends wieder einmal dieses Auto von Karo vorbeigekommen. Und diesmal habe ich gewinkt. Ich war so verzweifelt. Ich bin mitgefahren.

Cathrin hat mich gefragt, was willst du von ­deinem ­Leben? Weißt du, von wem das Kind ist? Bist du gesund . . . ? Ich hab ihr gesagt, dass ich obdachlos bin, dass ich keine ärztliche Untersuchung hatte, dass ich gar nichts habe, ich hatte nicht einmal einen Ausweis. Ich durfte dann rund drei Jahre in einem Schutzhaus in ­Sachsen leben. Die haben uns gerettet, mich und mein Kind.

"Cathrin bot mir Hilfe an, umsonst. Wer macht denn was umsonst? Kein Mensch"

Aber zuerst verstand ich überhaupt nicht, was die im Schutzhaus eigentlich von mir wollten. Ich war oft ­wütend auf sie, es gab haufenweise Verbote – ich ­durfte ­nicht zurück nach Tschechien reisen, Drogen waren ­natürlich verboten, dann all die Regeln, regelmäßige Mahlzeiten, Hausdienste . . . , und ich musste in meinem Innersten nach Gründen für mein damaliges Leben ­suchen! Ich hab mich gewehrt. Irgendwann aber sagte ich mir: Ich mach mit. Denn ich bekomme dafür etwas, das ich mir sehr wünsche: mein Kind. Ich glaube, das alles war ein Schock für mich, weil, hej!, Cathrin und ihre Leute bieten mir Hilfe an, umsonst, sie wollen nichts dafür. Wer macht denn was umsonst? Kein Mensch.

Es war die beste Entscheidung, mich auf Cathrin einzulassen. Unser Leben jetzt ist, als wenn ich vorher bei null war und jetzt bei 80 von 100 bin. Wir haben eine kleine Wohnung, ich schaue nach vorn. Ich bin viel mit meiner Kleinen beschäftigt, sie ist schon sehr anstrengend, wild und unkonzentriert, ich denke, das hat was mit meiner Schwangerschaft zu tun – die Drogen, der Stress, ich war so kaputt. Ich will mir bald eine Arbeit suchen, egal was, Hauptsache, ich verdiene unseren Lebensunterhalt. Ich will nur Frieden, und dass wir gesund bleiben. Mehr, ­glaube ich, will ich nicht.

Protokoll: Beate Blaha

* Name von der Redaktion geändert