Paulus trauert, weil ein großer Teil der Juden trotz erheblicher Bemühungen Christus nicht als Messias angenommen hat. Der Apostel meint, Ihnen fehle diese Offenbarung. Dann schreibt er diesen Vers. Der alte Luther – und mit ihm die Revisoren der neuen Lutherbibel – haben dort das Wort Verlust gewählt. Damit verstehen sie Paulus so: Ein Teil Israels ist zeitweilig verloren gegangen, obwohl Gott die Welt mit sich versöhnt. Wenn spätere Überarbeiter an dieser Stelle das Wort Verwerfung einbringen, deuten sie an: Das Volk Israel sei verworfen. Diese Version der späteren Ausleger kann, anders als Luthers Wortlaut, antijüdisch verstanden werden.
Christoph Kähler
Die Revisoren der neuen Lutherbibel folgen Luthers Übersetzung: ihr Verlust. Sie ist wohl philologisch die bessere. Die griechische Vokabel apobole bezeichnet bei jüdisch-griechischen und anderen Schriftstellern den Verlust von Freunden oder Besitz. Gemeint ist, dass man etwas besessen hat, das aber nicht mehr da ist.
Zeitweiliger Verlust passt auch besser zu dem, was Paulus in Römer 9,4 sagt: Israel gehört weiterhin die Kindschaft Gottes, weshalb er sich fragt: Wie kann es sein, dass dieses Volk nicht den neuen Bund annimmt? In Römer 11,26 ist er sicher, eines Tages werde ganz Israel gerettet. Glaubte Paulus, die Juden seien endgültig verworfen? Nein, glaubte er nicht!