Der Reformationstruck in der Halle des Zürcher Hauptbahnhofs
Am 6. und 7. Januar machte der Reformationstruck in der Halle des Zürcher Hauptbahnhofs Station
Marianne Weymann / ref.ch
Lammfell und Schutzengel
05.04.2017

Es war kalt, bissig kalt im Bahnhof Zürich. Die Reisenden vergruben die Hände in den Taschen und eilten mit heruntergezogenen Mützen kreuz und quer durch die weite Halle. Mittendrin stand der riesige blaue Truck mit dem Aufdruck „Reformationssommer“ – das mutete an diesem eisigen Januarwochenende schon etwas witzig an. Er stand unter dem Schutzengel der Reisenden. Die knallbunte Skulptur der Künstlerin Niki de Saint Phalle schwebt hier seit Jahren unter der Decke. Ich saß mit Lammfell an den Füßen an einem Tisch in der Halle und nahm an einem Podiumsgespräch teil. Es ging um die Zukunft der Reformierten aus Sicht der „Jungen“. Mit meinen 45 Jahren fühlte ich mich geehrt, dabei zu sein.

Was mich an diesem Wochenende aber besonders faszinierte: In der Bahnhofshalle gab es nicht nur Musik, ­Theater und Podiumsdiskussionen. Man hatte auch eine Minibuchdrucke­rei aufgestellt, und wir konnten dort zuschauen, wie Texte nach alter Art gedruckt wurden. Ich habe dabei ein Stück Zürcher Reformationsgeschichte neu entdeckt: Der Pfarrer Huldrych Zwingli, einer „unserer“ Reformatoren, hat die Bibel aus dem griechischen und hebräischen Urtext zusammen mit jüdischen Gelehrten und mit Sprachwissenschaftlern übersetzt. Und er hat die übersetzten Texte Laien vorgelesen und sich so Feedback geholt. Das war echtes Teamwork. Und für mich liegen darin die Wurzeln der Demokratie nach Schweizer Art: Demokratie ist, wenn alle beteiligt sind. Das ist für mich der Geist der Reformation – und darin liegt für mich auch die Zukunft der Reformierten. Ich hätte gern auch noch gesehen, wie der Truck wieder aus dem Bahnhof Zürich rausfährt. Und ein Gefühl für dessen lange Reise durch Europa bekommen. Aber es war einfach zu kalt.

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