Cristian Yanez, 24:
Bevor ich ins Flugzeug nach Frankfurt-Hahn stieg, umarmte mich meine kleine Schwester und bettelte: Bruder, nimm mich mit. Nach dem Start drückte ich meinen Kopf in den Sitz und weinte wie ein Kind. Es war das erste Mal, dass ich so weit weg sein würde von meiner Familie. Knapp drei Stunden dauerte der Flug, am Ende hatte ich mich wieder beruhigt. Ich sagte mir:
In Deutschland findest du einen Job, dort liegt deine Zukunft.
Geboren bin ich in Ecuador. Als ich elf war, nahmen mich meine Eltern mit nach Málaga in Spanien. Das war 2002. Anfangs ging es uns gut: Mein Vater arbeitete als Lastwagenfahrer, später machten meine Eltern ein Restaurant auf. Doch in der Wirtschaftskrise blieben die Gäste weg. Am Ende mussten meine Eltern schließen und blieben auf den Kosten für den Umbau sitzen. Dann verlor mein Vater auch noch für ein halbes Jahr den Führerschein – unterwegs war ein Teil der Ladung von seinem Laster gerutscht, die Verkehrsbehörde gab ihm die Schuld daran. Nun konnte er auch in seinem zweiten Beruf nicht mehr arbeiten.
Die Wirtschaftskrise erwischte die Eltern, der Sohn wollte helfen
Am 10. Februar 2011 stand ich vor dem Frankfurter Hauptbahnhof, in den Taschen zweihundert Euro und ein Wörterbuch. Können Sie helfen? Vielen Dank! Ich suche Arbeit. Solche Sätze las ich ab. Die ersten vier Nächte schlief ich in einer Jugendherberge, tagsüber suchte ich Leute, die mich verstanden. Zum Essen ging ich oft in Einrichtungen für Obdachlose. Einmal war ich in der spanischsprachigen Allerheiligen-Kirche. Dort hörte sich ein Priester meine Geschichte an, gab mir hundert Euro und bot mir an, ein Ticket für den Rückflug zu kaufen. Ich bedankte mich, wollte aber so schnell nicht aufgeben.
Schlafen in der Fotokabine
Nach zwei durchwachten Nächten lernte ich im spanischen Konsulat zwei Ecuadorianer kennen, sie kamen wie ich aus Spanien und suchten Arbeit. Die beiden führten mich zu einer Frau aus der Dominikanischen Republik, um die fünfzig Jahre alt. Die Frau sah mich lange an. Wieso bist du nicht bei deinen Eltern? Dann gab sie mir in ihrer kleinen Wohnung einen Schlafplatz im Wohnzimmer neben den anderen beiden Gestrandeten. Mach dir keine Sorgen, Kind, sagte sie, du musst erst mal nichts bezahlen. Aber steh bitte früh auf, hier in der Wohnung findest du keine Arbeit.
Schließlich fand ich über Bekannte einen 450-Euro-Job: In einem Hotel machte ich Betten, schrubbte die Fenster, solche Sachen. Dann arbeitete ich zusätzlich in der Küche eines Luxusrestaurants, diesmal in Vollzeit. Dort lernte ich zwangsläufig mehr Deutsch – seit ich mir einmal die Finger verbrannt habe, weiß ich auch, was „Vorsicht! Heiß!“ bedeutet.
Dann kam auch mein Vater her. Weil ich mich schon auskannte, fanden wir beide schnell Stellen als Leiharbeiter in einer Fabrik, die Autoteile herstellt. Dem Priester gab ich das Geld zurück, er war überrascht und freute sich. Dann holten wir die anderen nach, heute wohnen wir alle in einer Wohnung bei Offenbach. Nach der Arbeit bin ich jeden Tag im Deutschkurs. Nächstes Jahr will ich den C1-Deutschtest schaffen – das ist der zweithöchste Test – und dann eine richtige Ausbildung machen. Am liebsten als Flugzeugmechaniker.
Protokoll: Jonas Nonnenmann