Altersunterschied zwischen Geschwistern
"Ich hätte auch gern studiert"
Daniela ist die Älteste, Max ist der Jüngste. Zwischen den Geschwistern liegen neunzehn Jahre. Zwei komplett unterschiedliche Kindheiten – und doch fühlen sich beide geborgen in der Familie
Daniela und Max
Ihre Eltern waren sehr jung, sie sind abends auch mal ausgegangen und hörten die Songs der Kelly Family. Seine Eltern waren eher alt. Das hat Max aber erst in der Schule richtig realisiert
Marian Lenhard
Gerald von Foris
11.04.2024
7Min

Daniela, Max, was glaubt ihr: Wie alt ist eine Frau in Deutschland heutzutage bei ihrer ers­ten Geburt?

Max Taubmann: Ich würde sagen, der Durchschnitt liegt bei 28 Jahren.

Daniela Kuzmanowitsch: Ich glaube, die ­meis­ten sind älter. Ich selbst habe meine ­Kinder mit 32 bekommen und denke, damit bin ich genau im Schnitt.

Marian Lenhard

Max Taubmann

Max Taubmann ist 2003 geboren. Aufgewachsen auf dem elterlichen Hof, lebt er heute in Bamberg und studiert Kommunikationswissenschaften und BWL. In seiner Freizeit fährt er gerne Snowboard und spielt Fußball. Er ist der Jüngste in der Familie.
Marian Lenhard

Daniela Kuzmanowitsch

Daniela Kuzmanowitsch, geboren 1983, ist das älteste von vier Geschwistern. Sie ist auf einem Bauernhof in einem Dorf bei Coburg aufgewachsen. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern südlich von Coburg. Daniela Kuzmanowitsch arbeitet als Bilanzbuchhalterin, trifft sich gerne mit Freunden und verreist gerne.

Richtig, 2022 lag das Durchschnittsalter bei fast 32 Jahren. Als eure Eltern euch ­bekommen haben, waren sie weit vom ­heutigen und damaligen Durchschnitt entfernt. Einmal waren sie älter – und einmal wesentlich jünger.

Daniela: Das stimmt. Meine Mutter war 18 und mein Vater 21 Jahre alt, als ich zur Welt kam.

War dir als Kind bewusst, dass deine Eltern sehr jung waren?

Daniela: Erst als ich die Eltern meiner Freundinnen kennengelernt habe, ist mir aufgefallen, dass meine viel jünger waren. Rückblickend würde ich sagen, ich hätte es auch daran merken können, wie aktiv sie waren. Damals sind sie abends noch oft weggegangen. Meine Oma hat mit im Haus gelebt, daher war das kein Problem.

Gab es zu Hause Dinge, die anders liefen als bei deinen Freundinnen?

Daniela: Wir hörten oft Lieder der Kelly ­Family, damit war meine Mutter – vielleicht im Gegensatz zu anderen Eltern – ziemlich am Puls der Zeit. Der Alltag hat sich aber kaum unterschieden. Ich glaube, meine Mutter hat sich sehr an den Müttern meiner Freundinnen orientiert – eben, weil sie selbst noch so jung war.

Max, als du geboren wurdest, waren eure Eltern 38 und 40 Jahre alt. Wann hast du ­realisiert, dass du eher alte Eltern hast?

Max: Ich kam als Letztes von vier Kindern zur Welt. Meine Geschwister waren alle um einiges älter. Irgendwie versteht man dadurch schon als kleines Kind, dass die eigenen Eltern nicht mehr die Jüngsten sind. So richtig realisiert habe ich es dann aber erst in der Schule: Ich war total überrascht, wie jung die Eltern der anderen Kinder waren.

Hast du deshalb mal blöde Kommentare ­abbekommen?

Max: Ich kann mich an keine erinnern. Und selbst wenn, wäre mir das egal gewesen. Das hohe Alter meiner Eltern fand ich gar nicht schlimm. Ich glaube auch, dass es inzwischen normal ist, nicht besonders jung Mutter und Vater zu werden.

2021 waren nur 2,4 Prozent der 15- bis 24-Jährigen Eltern, zehn Jahre zuvor waren es noch 3,7 Prozent. Was glaubt ihr, woran das liegt?

Daniela: So jung Eltern zu werden, kann einen sicher überfordern. Man hat noch nicht so viel Lebenserfahrung, auch nicht so viel Geld. Und mehr junge Menschen als früher studieren. Bis man dann mitten im Leben steht, einen Beruf und etwas Geld hat, dauert es einfach länger. Das verschiebt auch die Familienplanung.

War Geld für dich als Kind ein Thema?

Daniela: Auf jeden Fall. Bei uns war sehr ­wenig Geld da, als ich aufgewachsen bin. Damals wurde viel in den Bauernhof investiert, und meine Eltern hatten noch nichts ­angespart. Einmal sind meine Freundinnen in den Ferien auf einen Reiterhof gefahren – ich durfte nicht mit. Und auch in die vier, fünf Tage Jahresurlaub fuhren die Eltern allein, ich blieb bei der Oma.

Lesen Sie hier: Was die Diagnose Downsyndrom mit der Familie macht

Max: Ich bin immer mit in den Urlaub gefahren.

Daniela: Und du hast verschiedene Orte ­kennenlernen dürfen. Du warst auf Rügen oder am Müritzsee.

Max: Das Highlight war die Aida-Kreuzfahrt!

Daniela: Wir sind damals jahrelang in eine Ferienwohnung am Schliersee gefahren, als ich mit fünf Jahren endlich mit in den Urlaub durfte. Auch für andere Sachen war später mehr Geld da: für Technik oder Kleidung. Für mich war das okay. Aber ich würde schon ­behaupten, dass du mehr Dinge und auch hochwertigere Kleidung bekommen hast.

Max: Ich dachte immer, ich hätte viel Kleidung von meinem Bruder bekommen.

In diesem Moment kommt Danielas und Max’ Mutter ins Zimmer. "Max", sagt sie empört, "du hast alles neu bekommen. Du wurdest total verwöhnt!"

Max: Okay, dann war das wohl so. (lacht)

Für den Fototermin trafen sich die Geschwister auf dem elterlichen Hof im Coburger Land

Hast du das nicht so wahrgenommen, Max?

Max: Vielleicht war es mir einfach nicht so bewusst. Ich weiß, dass ich es durchaus ausgelebt habe, der Jüngste zu sein. Ich konnte viel mit meinen Geschwistern machen, ohne mich kümmern zu müssen. Und ich habe viel von ihnen gelernt, das Snowboardfahren zum Beispiel.

Daniela: Max hatte natürlich eine ganz ­andere Situation: Nach ihm gab es kein Geschwis­ter­kind mehr, das auf die Unterstützung der ­Eltern angewiesen war. Ich habe mir damals viel Druck gemacht, meinen Eltern möglichst schnell nicht mehr auf der Tasche zu liegen.

Hatte das Auswirkungen für dein weiteres Leben?

Daniela: Ich bin auf die Realschule gegangen, um bald eine Ausbildung zu machen und mein eigenes Geld zu verdienen – nicht, weil ich die Noten fürs Gymnasium nicht gehabt hätte. Eigentlich hätte ich auch gern studiert. Am Ende hat sich alles gefügt, ich habe mich weiter­gebildet und bin jetzt Bilanzbuchhalterin. Aber als Max gesagt hat, er möchte aufs Gymnasium und studieren, habe ich ihn unterstützt, weil ich diese Chance eben nicht hatte.

Max: Ja, das ist wirklich schön, dass ich jetzt Kommunikationswissenschaften studieren kann. Ich glaube, diese Unterstützung war wichtig. Bei Freunden bekomme ich mit, wie oft sich zu Hause gestritten wird. Wir haben uns in unserer Familie immer Halt gegeben, wir waren immer eine Art geschlossenes Konstrukt. Das schätze ich sehr.

Birgt es Konfliktpotenzial, wenn der Alters­unterschied zwischen Eltern und Kind sehr groß ist? Gerade dann unterscheiden sich doch oft die Lebensweisen und Einstellungen.

Max: Seltsamerweise gab es mit meinen ­Eltern kaum Konflikte deshalb, eher noch mit Daniela.

Daniela: Max war das Nesthäkchen, ihm wurde viel Freiheit gelassen. Er wusste zum Beispiel lange nicht, was er nach der Schule machen sollte, und ist das relativ ent­spannt angegangen. Ich war dann diejenige, die ihm Vorschläge gemacht und ihn zu Bewerbungen gedrängt hat, weil ich es schon gut finde, wenn man möglichst bald auf eigenen Beinen steht.

Große Schwester mit kleinem Bruder auf dem Schoß

Woher kommen diese unterschiedlichen ­Einstellungen?

Daniela: Es waren auch einfach andere Zeiten. Als ich mit der Schule fertig wurde, war es überhaupt nicht üblich, ein Jahr Auszeit zu nehmen, um zu reisen oder ein Freiwilliges Soziales Jahr zu machen, wie Max das getan hat.

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Vielleicht unterscheidet ihr euch auch, weil sich eure Erziehung unterschieden hat?

Max: Das kann ich nicht beurteilen. Bei mir war alles recht locker, finde ich.

Daniela: Ich hatte auch viele Freiheiten. Aber ich musste auf jeden Fall mehr mithelfen. Zum Beispiel jeden Samstag den Hof kehren und alle paar Wochen das Auto innen putzen. Wenn ich vam Wochenende zu einer Freundin gehen wollte, durfte ich das erst, wenn ich ­einen Kuchen gebacken hatte.

Max: Ich muss auch ab und zu Rasen mähen oder im Stall helfen!

Daniela: Ja, aber nur gelegentlich. Ich kann mich noch erinnern: Als wir den neuen Stall gebaut haben, musste ich jeden Tag mindes­tens eine Viertelstunde mit vor Ort sein, damit ich verstand, wie alles zu laufen hatte. Irgendwann habe ich dann immer gesagt, ich müsse für die Schule lernen.

"Ich war 19, als er zur Welt kam, er hätte also auch mein Kind sein können

Daniela

Max, gab es bei dir gar keine Regeln?

Max: Explizite Regeln gab es nicht. Natürlich war meinen Eltern wichtig, dass ich mich anständig benehme und nichts Dummes mache. Einmal habe ich in einem Haus, von dem ich dachte, dass es verlassen war, ein Fenster eingeworfen. Das gab dann schon richtig Ärger. Aber an sich wurden mir wirklich viele Freiheiten gelassen. Vielleicht kamen ab und zu ein paar Denkanstöße.

Daniela: Ja, von mir! (lacht)

Max: Ja, meistens kamen sie von meiner ­gro­ßen Schwester.

Daniela, hast du deinen kleinen Bruder mit aufgezogen?

Daniela: Ich war 19, als er zur Welt kam, er hätte also auch mein Kind sein können. Daher habe ich schon manchmal auf ihn aufgepasst. Als der Schulwechsel anstand, habe ich die verschiedenen Gymnasien mit ihm angeschaut. Vor allem aber habe ich mich bemüht, schöne Dinge mit ihm zu unternehmen. ­Wegen der Landwirtschaft war es für meine Eltern schwer, gemeinsam rauszukommen. Das war bei Max nicht anders als bei mir.

2019 ist euer Vater überraschend ­verstorben, mit 57 Jahren. Daniela, glaubst du, du konntest damit vielleicht besser umgehen, weil du schon erwachsen warst?

Daniela: Ich glaube nicht, es kam einfach viel zu plötzlich. Ich hatte noch so viele Ideen, was ich gern mit Mutter und Vater machen ­würde. Ich hatte mir auch vorgestellt, dass meine Kinder mal mit meinen Eltern in den Urlaub fahren – eben, weil sie ja sehr junge und noch aktive Großeltern waren. Das ist ja das ­Schöne: Wenn die Eltern bei der Geburt noch recht jung sind, sind sie später auch ­jüngere Großeltern und können die Zeit mit ihren Enkeln genießen. Eigentlich.

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Max, glaubst du, der Tod deines Vaters hat dich schneller erwachsen werden lassen? Du warst damals gerade erst 16 Jahre alt.

Max: Er hat mich auf jeden Fall wachgerüttelt. Danach wusste ich: So schnell kann es gehen.

Daniela: Ich habe es schon so ­wahrgenommen, dass du dadurch sehr plötzlich ­erwachsen wurdest. Du hast unserer Mutter Halt ­gegeben, musstest dich auch mehr kümmern.

Als Kind alter Eltern ist das Thema Tod etwas, mit dem man sich früher auseinandersetzen muss als die Kinder junger Eltern. Max, hat dich das als Kind schon beschäftigt?

Max: Nein, überhaupt nicht. Meine Eltern ­waren für mich immer wie zwei Säulen, von denen man denkt, sie bleiben für immer.

Was macht gute Eltern eurer Meinung nach aus?

Daniela: Gute Eltern unterstützen ihre Kinder in ihren Interessen und Vorhaben. Ich finde, das haben unsere Eltern geschafft.
Max: Sie bringen vor allem Stabilität in das ­Leben ihrer Kinder: Dass man weiß, man kann immer auf diese zwei Menschen setzen.

Interviewt wurden Daniela Kuzmanowitsch und Max Taubmann von ihrer Cousine.

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