Gastbeitrag
"Später habe ich mir Vorwürfe gemacht"
Der frühere Landrat Bertram Fleck half einem älteren Mann in einer brenzligen Situation im Straßenverkehr. Dass er nicht nachfragte, ob der Mann den Führerschein abgeben wolle, ärgert ihn bis heute. Ein Gastbeitrag
Die Hände eines älteren Mannes am Steuer eines Pkw
Wann sollte man im Alter lieber die Hände vom Steuer lassen?
ColdStoneStorm / iStockphoto
Bertram FleckRichard Fuchs
10.04.2024
3Min

Ich bin bald 75 Jahre alt und meine natürlich, ich sei in körperlicher und geistiger Hinsicht topfit. Das mag auch so sein – jetzt. Aber ich glaube, man sollte die Frage der Fahrtüchtigkeit nicht nur selbst beurteilen, sondern sich mit Blick auf schlimme Unfälle regelmäßigen Überprüfungen unterziehen müssen.

Bertram FleckRichard Fuchs

Bertram Fleck

Bertram Fleck war von 1989 bis 2015 Landrat im Rhein-Hunsrück-Kreis. Er gehört der CDU an. Den Landkreis entwickelte er zur Vorzeigeregion für die Energiewende. Derzeit ist er immer wieder unterwegs auf der Ost-Tour der "Klimaunion", einer Vereinigung innerhalb der CDU und CSU, um für einen Umstieg auf erneuerbare Energien zu werben.

Für dieses Thema bin ich besonders sensibilisiert, einige Erlebnisse haben dazu beigetragen: Einmal stand ein Fahrzeug mitten auf einer Kreuzung in der engen Altstadt von Mainz, blockierte die Kreuzung und sah sich von verschiedenen Seiten einem Hupkonzert ausgesetzt. Als ich einen älteren Herrn – ich schätze ihn auf Mitte 80 – am Steuer entdeckte, stieg ich aus und fragte, ob ich helfen könnte. Der Mann war nicht in der Lage gewesen, sein Steuer so stark zu drehen, dass er buchstäblich die Kurve hätte kriegen können. Durch das Hupkonzert bekam er Panik. Ich übernahm das Steuer und parkte das Fahrzeug in der nächsten Straße. Dem Mann war zwar geholfen, aber ich habe mir später Vorwürfe gemacht, dass ich mich nicht mehr mit seiner sicher mangelnden Fahrtüchtigkeit beschäftigt habe.

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Das zweite Beispiel erlebte ich mit meinem verstorbenen Vater: Als er Mitte 80 war, fuhr er extrem langsam und deshalb – seiner Meinung nach – sicher, kuppelte jeweils vor Kreuzungen aus, rollte ohne Gang weiter und schaltete erst wieder nach dem Erreichen der nächsten Straße den Gang ein. Er wollte auf diese Weise plötzliche Ereignisse, auf die er selbst hätte schnell reagieren müssen, vermeiden. Selbst seine Frau, meine Mutter, fühlte sich unsicher. Mein Vater reagierte aber leider auf kein Gespräch. Gott sei Dank ist in all den Jahren nichts passiert.

Gelegentlich kommt es vor, dass ältere Mitmenschen auch freiwillig – aber meist unter Druck von Angehörigen – ihren Führerschein abgeben, meist unter Tränen. Auf dem Land bedeutet das bei den mangelnden Busverbindungen einen noch größeren Einschnitt in die persönliche Freiheit als im städtischen Bereich. Als Landrat habe ich diesen Menschen ein offizielles, einfühlsames und lobendes Schreiben geschrieben und gelegentlich die Presse gebeten, über die mutige Entscheidung der älteren Menschen zu berichten.

In meine Sprechstunde kam einmal ein älterer Herr, der nach einem Schlaganfall kaum laufen konnte und auch sonst körperlich stark eingeschränkt war. Er bat mich um die Wiedererteilung seines Führerscheins, nachdem der ihm "wegen eines kleinen Unfalls" entzogen worden sei. Er wolle wenigstens zwischen einem kleinen Dorf und dem Kreisstädtchen einmal die Woche hin- und herfahren, sonst sei er vollkommen vom Leben abgeschnitten. Menschlich gesehen war das sicher tragisch. Aber es stellte sich heraus, dass er gegen die Fahrtrichtung auf der Autobahn gefahren war und dabei einen heftigen Unfall mit Schwerverletzten verursacht hatte. Das hatte er irgendwie verdrängt.

Die starre Haltung der FDP und das einseitige, überpointierte Freiheitsdogma kann ich überhaupt nicht verstehen. Ich habe schon im ersten Semester Jura gelernt, dass die Freiheit des Einzelnen nur so weit geht, bis die Freiheit des Anderen berührt ist, und hier geht es ja sogar um die Abwägung mit der Unversehrtheit und dem Leben des Anderen.

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