Zwei Familienfotos
Auf den ersten Blick zwei Familien, die miteinander nichts zu tun haben - und doch verbindet beide jetzt so viel.
Patrick Desbrosses
Geradestehen, so geht das!
Die Karpensteins bürgen jetzt für eine syrische Familie. Und sie bürgen nicht nur, sie zahlen. Im Zweifel länger als für ihre eigenen Kinder. Volles Risiko, das haben sie so entschieden. Zum Glück tragen sie es inzwischen nicht mehr allein. Eine Geschichte zum Nachmachen
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
privat
24.11.2015

Es war eine Entscheidung am Küchentisch. Rechtsanwalt Ulrich Karpenstein, 47, saß da mit seiner Frau Tina Mede-Karpenstein, 44, und überlegte, ob er unterschreiben sollte oder nicht. Sie hatten selbst vier Töchter, weswegen Tina Mede im Er­ziehungsurlaub war. Eine Siebenjährige und drei Sechsjährige, die es hassen, wenn man sie Drillinge nennt.

Die Entscheidung: Soll Ulrich Karpenstein für eine unbekannte Frau aus Syrien und ihren dreijährigen Sohn, einen Bluter, bürgen und ihnen so die Flucht aus Syrien nach Deutschland ermöglichen? Immerhin konnten sie so zwei Menschen das Leben retten. Die Frau und das Kind stammen aus der umkämpften syrischen Grenzregion zur Türkei. Die medizinische Versorgung war dort zusammengebrochen. Der kleine Junge brauchte dringend ärztliche Hilfe. Übers Mittelmeer hätten sie unmöglich fliehen können. Der Junge hätte es kaum überlebt. Es gab nur einen Weg: die legale Einreise nach Deutschland.

Der Autor

###drp|4TnhcZvMaedoRuTX5AEJCzX_00125944|i-43||###Burkhard Weitz, Jahrgang 1965, hatte privat über Bürgschaften für Syrer recherchiert und so den Berliner Verein kennengelernt.

Doch dafür musste sich jemand in Deutschland verpflichten, für die Mutter und ihr Kind alle Rechnungen zu bezahlen, solange sie es nicht selbst können – oder selbst tun. Jemand muss gegenüber dem Staat versichern, dass der Lebens­unterhalt gesichert ist, die Miete, alle Krankenkosten, die nicht durch die Versicherung abgedeckt sind, die Haftpflicht, also fast alles, für immer und unwiderruflich. Muss unterschreiben, dass der Staat sein Einkommen und Vermögen pfänden darf, wenn er seiner Verpflichtung nicht nachkommt.

Sie müssten für die Syrerin länger aufkommen als für ihre eigenen Kinder

Die Karpensteins sind wohlhabend. Sie können sich so etwas leisten. Ulrich Karpenstein ist ein bundesweit bekannter Anwalt in einer renommierten Kanzlei am Leipziger Platz. Seine Kunden: mal die Bundesregierung gegen große Konzerne, mal große Konzerne gegen die Bundesrepublik Deutschland. Gerade hilft er dem Atomkonzern Vattenfall, gegen den Atomausstieg zu klagen. Da geht es um viel Geld. Und darum, wer die Gesetze im Interesse der eigenen Sache am überzeugendsten auslegt. Da geht es nicht um Moral. 

Tina Mede-Karpenstein vertrat zuletzt das Bundeswirtschaftsministerium bei der EU-Kommission, bevor sie ihre Eltern­zeit nahm. Die Karpensteins bewohnen ­eine Villa in Berlin-Lichterfelde, ein kleines, weiß gestrichenes Schlösschen. Wenn ­irgendjemand der Syrerin und ihrem kranken Kind helfen kann, dann Bürger wie die Karpensteins.

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###drp|5Ou8tKzf1qIVebYTvg6lBbJE00118166|i-40||###Mehr zum großen Thema Migratio​n und Flüchtlinge in Deutschland finden Sie auf unserer Schwerpunktseite: chrismon.de/fluechtlinge

Dennoch schreckte das Risiko sie ab: Sie würden für die Syrerin und ihren Sohn länger aufkommen müssen als für ihre ­eigenen Kinder. Nicht nur die nächsten 15 Jahre, bis der Junge volljährig ist, sondern lebenslang. Wenn auf die Syrerin Behandlungskosten für ihren Sohn zukommen, den Bluter, für die die Krankenkasse nicht zahlt, müssten die Karpensteins einspringen. Wenn Frau Al-Massri (Anm.: alle Namen der Flüchtlinge wurden von der Redaktion geändert) unrechtmäßig Sozialleistungen bezieht, und sei es wegen eines Behördenfehlers, kann der Staat das Geld von dem Bürgen zurück­fordern – alles schon passiert.

Die Karpensteins sind Realisten. Sie kennen sich aus mit den Tücken des Rechts. Deswegen wissen sie, was so eine Verantwortung bedeuten kann. Am Küchentisch soll damals auch ein befreundeter Unternehmer gesessen haben, Martin Keune, Geschäftsführer einer Werbeagentur. Künstler, Autor, ein Rundum-Genie. Er war von Anfang an begeistert. „Wir ­gründen einen Verein und federn so das Risiko ab.“ Das war seine Idee.

Flüchtlingshilfe als Art Lebensaufgabe

„Flüchtlingspaten Syrien“ heißt der ­Verein. Heute, neun Monate später, ver­walten die 40 aktiven Mitglieder etwa 35 000 Euro an monatlichen Spenden, manche Spender zahlen zehn Euro, andere 3000. Martin Keune ist der umtriebige Pressesprecher und hat selbst eine Verpflichtung übernommen. Unter den Fittichen des Vereins sind bisher 53 Verpflichtungserklärungen unterschrieben worden, 14 weitere stehen bevor. Allerdings konnten erst 16 Menschen sicher aus Syrien ausfliegen – wegen der wochen­langen Wartezeiten für ein Visum.

Deutsche, auch Syrer, die in Deutschland leben, stehen für Bürgerkriegsflüchtlinge gerade, sie bezahlen alles. Selbst dann, wenn diese Menschen sich irgendwann selbst versorgen können, haften die Bürgen weiter. Viele Bundesländer tragen die Kosten für die Krankenversorgung, so auch Berlin.

Soll man einer unbekannten Frau und ihrem Kind helfen, nur weil man sich über einen Krieg irgendwo auf der Welt empört? Es gibt doch so viel anderes zu tun! Und warum ausgerechnet dieser Frau helfen, die mit ihrer Familie in der Grenzstadt Qamlishi in einem eigenen Haus wohnt, das noch nicht ein einziges Mal beschossen wurde? Deren Mann ein Auskommen hat, ein leidliches, in einem Fliesengeschäft, wo er Bestellungen entgegennimmt. Warum nicht einem von den Millionen anderen helfen, die in Zelten hausen, die keine Arbeit haben und deren Kinder nicht zur Schule gehen können?

Wenn man Tina Mede-Karpenstein im Vereinsladen in der Großgörschenstraßen in Berlin trifft und mit ihr über den Verein „Flüchtlingspaten Syrien“ spricht, strahlt sie über beide Wangen, als hätte sie in der Hilfe für die Flüchtlinge ihre Lebensauf­gabe gefunden.

Die Wut steigerte sich

Sie erzählt, wie der Kontakt zur syri­schen Frau zustande gekommen ist: Eine Cousine ihres Mannes arbeitet für die „Kontakt- und Beratungsstelle für Flüchtlinge“ in Berlin. Dort hilft ein Mann aus ­Syrien aus. Er lebt seit 18 Jahren in Deutschland und übersetzt häufig für den Verein aus dem Arabischen ins Deutsche. Amir Al-Massri suchte verzweifelt Verpflichtungsgeber für seine Schwester. So hörten die Karpensteins von Soraya Al-Massri aus Qamlishi in Nordsyrien und ihrem Sohn Junis, der Bluter ist.

Sie sei früher viel durch Syrien gereist, sagt Tina Mede-Karpenstein, einmal auch mit ihrem Mann. Als Kommissions­beamtin war sie lange für Syrien zuständig. Sie habe da viel Gastfreundschaft erlebt. „Das Zusammenleben der Menschen hat funktioniert. Wenn man sieht, was daraus geworden ist, wie die Gegensätze ins­trumentalisiert wurden – da wollten wir etwas tun.“

„Es war die Wut, dass die Weltgemeinschaft hilflos zusieht, wie Fassbomben auf Aleppo fallen, wie der IS Kobane erobert“, sagt Ulrich Karpenstein. Nachts sah er sich im Internet Videos aus den Kriegsgebieten an. Das steigerte seine Wut nur noch mehr.

Der Fotograf

###drp|9xlC__yEzS815Oin_xzo9lD000130742|i-43||###Patrick Desbrosses, Jahrgang 1982, hat sich gefreut, dass die Kinder der Familien beim Fotogra­fieren so wild gespielt haben.

Damals, im Herbst 2014, war Kobane gerade an den sogenannten Islamischen Staat gefallen. Qamlishi liegt 300 Kilo­meter weiter östlich, gar nicht so weit weg. Nicht jedem Flüchtling hätten die Karpen­steins helfen können. Die deutschen Gesetze sind nämlich so: Nur ein Syrer, der hier schon vor dem 1. Januar 2013 gemeldet war, in Berlin vor dem 1. Januar 2014, kann einen Antrag auf Familiennachzug stellen. Dafür kann er selbst bürgen, was viele reiche Syrer in Deutschland auch tun. Hat er selbst nicht genügend verpfändbares Einkommen oder Vermögen, kann er andere bürgen lassen. Außerdem muss der Syrer in einem Bundesland leben, in dem es überhaupt möglich ist, Verwandte über den Familiennachzug legal einreisen zu lassen. Das erlauben derzeit nicht alle Länder. Welche Bedingungen wo erfüllt sein müssen, das erfährt man bei Pro Asyl (siehe Infos auf S. 18). 

Ein Zeichen gegen das illegale Schleusen

Anfang der 1990er Jahre, als Ulrich Karpenstein noch Jura studierte, war er aus der SPD ausgetreten. Damals hatten die Sozialdemokraten dem Asylkompromiss zugestimmt: Wer aus einem sicheren Drittstaat nach Deutschland einreist, kann sich nicht mehr auf das Grundrecht auf Asyl berufen. „Dass wir bei unserer Vergangenheit sagen: Sollen sich doch unsere Nachbarn um die Flüchtlinge kümmern, das hatte mich damals empört.“

Und nun lässt die Bundesregierung die Bürgerkriegsflüchtlinge monatelang übers Mittelmeer, durch Griechenland und über die Balkanroute ziehen, ungeschützt vor Kälte und Regen, mancherorts der Polizeigewalt ausgesetzt, um sie dann in Deutschland willkommen zu heißen. „Warum kann man verfolgten und deshalb asylberechtigten Syrern nicht einfach ein Visum erteilen und sie sich ein Flugticket kaufen lassen?“, fragt Ulrich Karpenstein. „Dann müssen sie ihr Geld nicht den Schleppern in die Hand drücken.“ Deutschland be­klage sich über die Schlepperei, dabei begüns­tige die Politik doch dieses illegale Gewerbe. Er und seine Frau hätten ein Zeichen setzen wollen, dass es so nicht weitergeht.

Und doch, dieses Risiko! Zunächst habe er gezögert, sagt Karpenstein. „Ich habe nachgefragt, ob die Verpflichtungserklärung sich nicht zeitlich begrenzen lasse. Die Antwort war: Nein. Unsere Entscheidung war emotional, das Unterschreiben nachher nicht mehr.“

"Ein fremder Mann hat uns das ermöglicht"

Als Ulrich Karpenstein die Verpflichtungserklärung unterschrieb, war der Verein „Flüchtlingspaten Syrien“ noch in der Gründungsphase. Er und seine Frau wussten noch nicht, ob so ein Verein funktionieren würde und ob er ihnen finanziellen Rückhalt geben kann. „Ich habe danach im Büro erst mal einen Schnaps aufgemacht.“

Berlin, Schöneberg, am 1. Oktober: Soraya Al-Massri, 36, eine kleine Frau, trägt zwischen ihrem schwarzen Pulli und der schwarzen Strickjacke eine rosa Häkelweste. Ihr damals noch dreijähriger Junis ist ein quirliger Junge. Er springt auf ihren Schoß, zupft an ihren Haaren, springt wieder runter, klettert über einen Heizkörper, hämmert mit Plastikspielzeug auf den Tisch. Aber wenn seine Mutter ihm das Handy mit den Bildern vom Vater und den Geschwistern hinhält, ist er ruhig und guckt minutenlang hin. „Er hat seinen Vater und seine Geschwister seit einem halben Jahr nicht mehr gesehen. Aber er erkennt sie noch“, sagt sie.

Soraya Al-Massri und Junis sind seit Februar 2015 in Deutschland. Sie hat eine Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung in Berlin-Schönefeld. Die Karpensteins haben sie für sie angemietet. Als sie im August einzog, sagte Soraya: „Ein fremder Mann hat uns das ermöglicht. Ich bin mir nicht sicher, ob meine Angehörigen so etwas für mich machen würden.“

Nachts per Schiff in die Türkei

Eigentlich will Soraya Al-Massri nicht in die Öffentlichkeit. Sie will ein ­ruhiges und abgeschiedenes Leben führen, so wie früher. Sie wollte auch nie ins Ausland, das war die Idee ihres Bruders Amir. Wegen der schlechten medizinischen Versorgung in Qamishli war es dringend nötig. Auch wegen der ständigen Angst vor Querschlägern, wenn die großen Kinder Ali, 9, und Yara, 7, auf dem Schulweg waren. Nachts hörte man die Schießereien am Stadtrand.  

Schon ihre eigene Flucht aus Qamishli zum Konsulat nach Istanbul muss schrecklich gewesen sein: mit Junis ins Nachbardorf fahren, dann in einem umkämpften Gebiet mit dem Schiff nachts über einen Fluss in die Türkei übersetzen. Soraya hatte die Tasche über der Schulter und Junis in ihren Armen. Er war vor Angst erstarrt und gab kein Wort vor sich.

Syrer, die unbegrenzt lange in Deutschland bleiben dürfen, können ihre Ehepartner und minderjährigen Kinder auch ohne Bürgschaft zu sich holen. Soraya Al-Massri auch, weil sie als Bürgerkriegsflüchtling unbegrenzt lange in Deutschland bleiben darf. Ihrem Antrag auf Familienzusammenführung wurde im Frühjahr stattgegeben.

"Freudentränen und Regen vermischen sich - willkommen in Berlin!"

Ihr Mann Yasin Dama und ihre Kinder Ali und Yara mussten dafür aus Syrien illegal in die Türkei einreisen. Soraya hat ein Auf und Ab der Gefühle hinter sich. Zunächst hieß es, ihr Mann, Ali und Yara müssten auf ihren ersten Botschafts­termin 15 Monate warten. Das ARD-Magazin Monitor fand heraus, dass in manchen Botschaften schnellere Termine nur mit Bestechung zu haben waren. Ein Skandal, das Außenministerium schaltete sich ein. Plötzlich sollte das Visum doch innerhalb weniger Wochen zu beantragen sein.

Den ersten Versuch, Anfang August die Grenze zur Türkei zu überqueren, musste Yasin Dama abbrechen. Kurdische Milizen hielten ihn und die Kinder auf. Auf Facebook verfolgten die Mitglieder des Vereins „Flüchtlingspaten Syrien“ die zweieinhalb Monate dauernde Flucht.

Am 8. Oktober vermeldete der Verein auf Facebook: "Berlin im Regen, ein Taxi vom Flughafen hält – und dann ist plötzlich alles vorbei, die nächtliche Angst, die monatelange Warterei, die verrauschten Telefonate über große Strecken. Soraya hebt ihre Tochter vom Boden und lässt sie nicht wieder los, Ali schleppt seinen kleinen Bruder Junis lachend und tanzend über den Gehweg, und der Vater wuchtet aufgeregt den einzigen Koffer aus dem ­Kofferraum. Freudentränen und Regen vermischen sich. Willkommen in Berlin!"

Was, wenn die Stimmung kippt?

Die „Flüchtlingspaten Syrien“ haben viel Zulauf. Immer größer werden die monatlichen Spendeneinnahmen, immer mehr Bürger erklären sich bereit, mit ihrem Vermögen für fremde Syrer zu bürgen. „Ein kleines Wunder, wie viele sich inzwischen engagieren, mit so viel Nächs­tenliebe hatten wir nicht gerechnet“, sagt Ulrich Karpenstein ganz ungläubig. Inzwischen überweist er monatlich seinen Beitrag für die Familie Dama und Al-Massri aus Qamishli an den Verein, und der bezahlt ihre Wohnung und ihren Unterhalt in Höhe des Sozialhilfesatzes. So können die Karpensteins ihre Hilfe immerhin von der Steuer absetzen. Auch konnte der Verein eine Versicherung gewinnen, die 30 Flüchtlinge gleichzeitig in die Haftpflicht nahm. Der Verein organisiert auch Deutschkurse, viele freiwillige Helfer ­haben sich dafür gemeldet.

Trotzdem, sicher ist die Sache noch nicht. Was, wenn die Stimmung kippt? Was, wenn niemand mehr einsieht, dass Bürger noch mehr Flüchtlinge ins Land holen, wo doch schon Hunderttausende von selbst über die Grenzen drängen und hier Wohnungen und Deutschkurse in Anspruch nehmen? Was, wenn dem Verein die Mittel ausgehen – weil Regress­forderungen vom Staat beglichen werden müssen? Oder weil die Spender wegbleiben?

Dann werden die Karpensteins weiter bürgen. Sie werden auch am nächsten Weihnachtsfest mit ihren vier Töchtern am Tisch sitzen, und vielleicht werden Ulrich und Tina Karpenstein still für sich mal durchgehen, wer, virtuell, noch alles mit am Tisch sitzt. Für wen sie sorgen, für wen sie nur noch bürgen – und wer mit ihrer Hilfe schon seinerseits andere um einen Tisch versammeln kann. Aus eigener Kraft. Menschen, die sie vorher nicht einmal kannten.

Nachtrag: Inzwischen bürgen die Karpensteins auch für die christliche Syrerin Samira H., die ihren Bruder, seine Frau und Töchter, 12 und 6 Jahre, aus Damaskus nach Deutschland holen möchte. 

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Sehr geehrte Damen und Herren,

Ihr Chrismon-Magazin liegt „meiner“ Süddeutschen bei und ich lese es immer sehr gerne.

Religion ist kein Bestandteil meins Lebens, ich würde mich auch nicht als Christ bezeichnen. Lesenswert kann so ein Magazin ja trotzdem sein.

Der Artikel "Geradestehen, so geht das!“ zeigt eine Familie, die eine Bürgschaft für Flüchtlinge übernimmt.

Im Prinzip bewundernswert.

Nur, ist ihnen eigentlich klar, um welche Familie es sich da handelt?

Der Anwalt Karpenstein, angestellt bei der US-Großkanzlei MWE, verklagt im Auftrag des schwedischen Staatskonzerns Vattenfall die Bundesregierung und die Bundesrepublik Deutschland  - somit eigentlich auch mich - auf 4,7 Mrd. Euro Schadensersatz.

Das Konstrukt dieser Klagemöglichkeit ist das Vorbild der Schiedsgerichte a la TTIP, TISA, CETA & Co.

Aufgrund  eines Vertrags für die Energiewirtschaft als man sich noch im Atomkraft-Irrsinn der 70er und 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts befand.

Durch den Atomausstieg sieht sich Vattenfall in seiner Möglichkeit eingeschränkt, mit unsicheren Atomkraftwerken Gewinne zu machen und verklagt daher die Bundesrepublik.

Und dabei es geht sehr wohl um Moral!

Wer als Mensch, Anwalt, Familienvater, was auch immer,  so etwas tun, der ist ein schlechter Mensch. Punkt.

Für den Klagewert kann Deutschland z.B. über 130.000 Flüchtlinge mindestens 5 Jahre lang in Deutschland aufnehmen, unterhalten (und integrieren.) Da verzichte ich sehr gerne auf eine  Familie Karpenstein in ihren Schlösschen in  Berlin.

Mit freundlichen Grüßen,

Markus Hahnel, München

Antwort auf von Leserbrief

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Hallo Herr Hahnel, nur Atomkraftgegner dürfen etwas Gutes tun? Wer entscheidet denn bei Ihnen über unmoralisch und moralisch, über gut und schlecht? Vattenfall ist übrigens - falls Sie es nicht wussten - ein schwedisches Staatsunternehmen. Und wenn die Recht bekommen, käme dies dem schwedischen Staatshaushalt unmittelbar zugute, der bekanntlich für jeden Flüchtling sehr viel mehr Geld ausgibt als Deutschland. Also entspannen Sie sich. Ohnehin gehts hier nicht um ein Schlösschen, einen Anwalt oder TTIP und Atomkraft. Der Schwerpunkt des Artikels sind gerettete Menschenleben. Keine Überfahrt in Schlauchbooten. Keine Schlepper. Es geht um eine syrische Familie, die nun in Deutschland lebt und eine gute Integrationsperspektive hat. Beste Grüße, Lukas Schneider

Antwort auf von Leserbrief

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Sehr geehrter Herr Hahnel,
Sie richten in völliger Unkenntnis über die charakterlichen Qualitäten von Herrn Karpenstein. Beschämend! Herr Karpenstein arbeitet im Übrigen nicht für MWE. Und was tun Sie denn Gutes außer dem Verfassen solcher schlechten Kommentare?
Es grüßt Sie
U. Witting

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Lieber Markus Hahnel,
darf den Flüchtlingen nur helfen, wer vorher bei Ihnen nicht als schlechter Mensch durchfällt? Hoffentlich bleiben welche übrig ;-) Ich finde die Entscheidung, sich ein Leben lang für Fremde zu verpflichten, großartig. Und wenn Sie sich die Webseite oder Facebookpräsenz dieser „Flüchtlingspaten Syrien“ mal ansehen, scheinen da keineswegs nur schlechte Menschen begriffen zu haben, dass konsequentes Handeln erforderlich ist, – sondern auch Ärztinnen, Lehrer, Rentner und andere normale Leute wie Sie und ich. Apropos: Reicht Ihr Gehalt für eine Verpflichtungserklärung aus? Auch Atomkraft- und TTIP-Gegner wie Sie und ich dürfen bürgen! Gleich morgen!

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Liebe Leserinnen und Leser, chrismon geht im hier verlinkten Interview der Frage nach, die in diesem Kommentarblock der Leser Markus Hahnel aufwirft: Ist es richtig, die Moral zu privatisieren und aus dem Berufsleben ganz herauszuhalten? Ich bin in dieser Frage gespalten. Auf der einen Seite kann man dieses Problem grundsätzlich nicht von der Hand weisen, wie m.E. die von chrismon interviewte Soziologin Claudia Czingon überzeugend darlegt. Auf der anderen Seite handelt der hier kommentierte Artikel von einem Anwalt, der um die Anwendung von Gesetzen streitet. Rechtsstaatlichkeit ist ein hohes Gut. Zum Rechtsstaat gehört es, dass sich jede Privatperson und jedes Unternehmen auf Gesetze verlassen kann und sich auf gesetzlicher Grundlage ihr oder sein gesetzlich verbrieftes Recht erstreiten darf. Auch ein Unternehmen wie Vattenfall. Burkhard Weitz, chrismon-Redakteur

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Die Kritik des Lesers Marcus Hahnel , "Flüchtlingspaten" ist sehr wohl nachvollziehbar, obwohl man hier auch anderer Meinung sein kann. Nicht tolerierbar aber, sind die wertenden Leserkommentare, die, ausnahmslos, den Kommentierenden persönlich angreifen.
Ein anschauliches Beispiel dafür, wie Andersdenkende MUNDTOT gemacht werden ?
Eine solche Art mit kontroverser Meinung umzugehen, ist schlichte Boshaftigkeit, und meilenweit davon entfernt, einen konstruktiven Dialog zu führen.
Demokratie soll nicht heißen, der Stärkere gewinnt, womit für mich auch die Hervorhebung des Anwalts in der besonderen Sache der Flüchtlingspatenschaft ein redaktionell recht missglücktes Beispiel für eine gute Tat darstellt, zumal in Beziehung auf unsere Rechtsstaatlichkeit, wie Herr Weitz argumentiert.
Im Grunde waren solche Kommentare voraussehbar.