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Passkontrolle
Endlich wieder mehr Freiheit im Altenheim! Die Besucher:innen aber werden umso strenger kontrolliert.
Portrait Hanna Lucassen, Redaktion chrismon, Redaktions-Portraits Maerz 2017Lena Uphoff
31.05.2021

Durchgeimpft. Dieser Begriff meint in der Corona-Pandemie zweierlei: Zu einen ist eine Person, die schon beide Impfungen bekommen hat, durchgeimpft. Zum anderen nennt man so eine Gruppe oder Gesellschaft, in der fast alle Mitglieder vollständig geimpft sind. Israel etwa ist fast durchgeimpft. Gibraltar ebenso. In der britischen Exklave lebt man seit ein paar Tagen fast wie früher: Keine Masken, keine Ausgangssperre, Bars und Restaurants sind bis zwei Uhr morgens offen. Eine Insel der Glückseligen.

Im Zimmer ohne Maske

Ich war nicht in Gibraltar, aber auch ich darf einmal die Woche in so eine durchgeimpfte Gesellschaft eintauchen. Im Altenheim, in dem ich aushilfsweise arbeite, haben so gut wie alle Bewohner:innen ihre zweite Impfung erhalten, vor Wochen schon. Lange ging alles weiter wie bisher, aber vor zwei Wochen ist auch hier eine Art Freiheit eingezogen. Keine wöchentlichen Nasenabstriche mehr! Zusammen im Speiseraum essen! Und das Wichtigste: Besuch, fast so oft und lange, wie man will! Bis zu zwei Menschen am Tag dürfen pro Bewohner:in kommen, fast schon eine Kleingruppe, und diese dürfen im Zimmer auch die Maske abnehmen. Das sind echte Privilegien. Für die (wenigen) nicht-geimpften Bewohner:innen gilt das nicht. Das übrigens sind in der Regel keine Impfverweiger:innen, sondern Neuzugänge, die noch auf einen Termin warten.

Frau X. gehört zu den Priviligierten. Als ich neulich im Dienst war, kam sie schon am Morgen um 9:30 strahlend in den Gemeinschaftsraum. Ihre zwei Nichten würden um 15 Uhr kommen, wollten Kuchen mitbringen. Ob sie dann irgendwo Kaffee kriegen könnte? Frau X., eine kleine Frau mit vielen Lachfalten, lebt noch nicht lange hier. Sie kennt das Altenheim nur unter der Corona-Isolationsbedingungen. Frau Y., die zufällig daneben saß, zeigte ihr, wo sie für den Nachmittag eine Thermoskanne Kaffee bestellen könnte. Und gab ihr den Geheimtipp, sich aus der Cafeteria einfach drei Tassen mit aufs Zimmer zu nehmen. Als Frau X. später mit dem drei einfachen bruchsicheren Tassen im Korb ihres Rollators an mir vorbei kam, lachte sie mich an. "Ich freue mich so", sagte sie, "Ich mag die beiden ganz arg gerne."

Heute mal Türsteherin  

Ich verbrachte den Tag am Empfang. Es war ein bisschen wie beim Grenzübergang. Passkontrolle. Alle Besucher:innen mussten mir sagen, zu wem sie wollten, mir den Impfnachweis oder ein negatives Testergebnis vorlegen. Wer nichts von beiden dabei hatte, den testete ich vor Ort. Und wer das nicht wollte, der kam nicht rein. Was für eine Macht. Ich kam mir vor wie eine Türsteherin in einem begehrten Club. Naja, am Anfang des Abends, Schlangen gab es noch keine.

Es war kurz nach 15 Uhr, als Frau Y mich fragte: "Sind denn die Nichten von Frau X gekommen?" Naja, war ja noch früh. Aber um halb vier war ich auch irritiert. Immer wieder standen Angehörige vor der Tür, zwei Damen um die fünfzig waren nicht dabei. Der Gedanke, dass Frau X. jetzt ganz allein mit den drei Tassen am hübsch gedeckten Tisch sitzt und wartet, machte mich traurig. Um 15:45 holte ich mir die Besucherliste und schaute noch mal drüber. Da fand ich den Eintrag: zwei Besucherinnen für Frau X. Sie waren schon um 14:15 Uhr gekommen. Da war ich in der Pause gewesen, meine Kollegin hatte sie reingelassen. Das rief ich rüber zu Frau Y.. Erleichtert lachten wir uns an. Sie kriegt keinen Besuch. Nie. Nein, stimmt nicht. Ein älterer Mann holt sie manchmal ab, mit ihm geht sie spazieren. Eine neue Liebe? Nein, er ist homosexuell, sagte Frau Y. Deswegen verstehen wir uns so gut.

Aber das ist eine andere Geschichte.

 

 

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Kolumne

Hanna Lucassen

Schwester, Schwester! Hanna Lucassen erzählt von Streiks, Spritzen und Sonntagsdiensten.