Alle Illustrationen: Roz Chast
Wer sorgt für die alten Eltern zu Hause?
Die Mutter ist im Krankenhaus, der Vater allein zu Haus - und jetzt? Stress pur. Wo man Hilfe kriegt und was man sonst noch tun kann, finden Sie hier (Angaben Stand 2016).
Tim Wegner
22.01.2016

Themen

  • Die alten Eltern wollen nicht über "so was" reden
  • Wie man trotzdem über "so was" sprechen könnte
  • Wirklich wichtig: die Vorsorgevollmacht
  • Die Eltern mauern. Was muss man akzeptieren?
  • Sie wollen sich vorbereiten für den Fall der Fälle?
  • Der GAU: Krankenhaus. Und jetzt?
  • Wann soll ich das alles organisieren?
  • Wer berät mich?
  • Wie viel Unterstützung ist überhaupt notwendig?
  • Wer zahlt das?
  • Sonstige Hilfen: kostenlos oder kostenpflichtig
  • Hilfe für die Angehörigen
  • "24-Stunden-Betreuung": ausländische Betreuerinnen
  • Eine Betreuerin anstellen – fair und korrekt
  • Eine Betreuerin via Agentur – bessere und schlechtere Agenturen unterscheiden
  • Wie geht man fair mit der Betreuerin um?
  • Quellen für Hochinteressierte

1. Die alten Eltern wollen nicht über "so was" reden

"Können wir nicht über was anderes reden?" Diese Antwort hören viele Menschen, wenn sie mit ihren schwächer werdenden Eltern über deren Zukunft reden wollen. Was soll sein, wenn Mutti nicht mehr zum Einkaufen gehen und Vati nicht mehr Auto fahren kann? Nur so zum Beispiel. Aber darüber wollen die wenigsten Eltern reden. Es macht ihnen Angst. Kann nicht alles so weitergehen wie bisher? Und überhaupt: Was geht das die Kinder an? "Wir kommen schon selbst klar", sagen alte Eltern dann.

Auch die Eltern von Roz Chast wollten nichts vorzeitig klären, und sie wollten schon gar nicht jemanden Fremdes in der Wohnung haben. Roz Chast ist bekannt für ihre Cartoons in der Zeitschrift "New Yorker". Nun hat sie in einem gezeichneten Buch, einer Graphic Novel, die letzten Jahre mit ihren Eltern festgehalten. Komisch, traurig, anrührend. Erst bei absoluten Katastrophen (Mutter stürzte und liegt im Krankenhaus), riefen die Eltern die Tochter an. Die Tochter hat den Eltern ihren Willen gelassen oder vielmehr: Sie musste den Eltern ihren Willen lassen. So haben die Eltern bis zuletzt nach ihren eigenen, wie auch immer merkwürdigen Vorstellungen gelebt. Auch wenn das die Tochter oft bis an den Rand des Wahnsinns gebracht hat.

chrismon dankt der Zeichnerin Roz Chast, dem Übersetzer Marcus Gärtner und dem Rowohlt-Verlag für die großzügige Erlaubnis, einige Zeichnungen hier abzudrucken. Das Buch "Können wir nicht über was anderes reden?" ist 2015 erschienen, es war sogar Nummer 1 der "New York Times"-Bestsellerliste. Es kostet 19,95 Euro.

Viele Menschen, die jetzt zwischen 60 und 75 sind, machen sich sehr wohl Gedanken über mögliche Zukunftsszenarien. Sie ziehen dann vom unpraktischen Familienhaus auf dem Land in eine komfortable Stadtwohnung, zum Beispiel. Oder sie sagen ganz klar: Meine Kinder sollen mich nicht pflegen müssen. Die Menschen dieses Alters haben oft selbst über lange Jahre die eigenen Eltern begleitet, wenn nicht sogar selbst gepflegt. Sie wissen, dass Altern heute ein Marathon ist, wie es Margot Klein von der Beratungsstelle "Viva" in Mannheim ausdrückt. Die heute 80- bis 100-Jährigen hingegen haben diese Erfahrung häufig nicht. Als sie jung waren, starben alte Menschen meist schnell – eine Lungenentzündung oder ein Herzinfarkt bedeuteten das Ende.

Auch wenn hier nur von "Eltern" gesprochen wird, sind alle angesprochen, die sich Gedanken machen über Geschwister, Tanten, Onkel, Freunde, Freundinnen etc.

Wie also vorgehen, wenn man meint, dass die Eltern Hilfe brauchen, sie diese aber ablehnen? Man möchte ja nicht unbedingt so lange warten, bis die Eltern verwahrlost sind und man also beim Amtsgericht eine Betreuung beantragen kann. Auch viele Fachleute haben da keinen Rat. Beispielhaft die Antwort eines Pflegeforschers: "Es gibt viele ältere Menschen, die ihren Urlaub besser planen als ihre Pflege – ich hab die in meiner Familie und nenne sie Eltern. Meine Mutter sagt: 'Pflegebedarf? So was haben die alten Nachbarn, ich doch nicht!'"

2. Wie man trotzdem über "so was" sprechen könnte

  • Immer sinnvoll: von sich selbst zu sprechen. Dass man sich in letzter Zeit viele Gedanken macht über die Eltern und sich fragt, welche Zukunftspläne oder Zukunftvorstellungen sie wohl haben.
  • Womöglich könnte man, fortschreitend, auch sagen, dass man sich fürchtet vor der Situation, dass man plötzlich ganz viel regeln muss, weil nichts geklärt ist. Dass man sich vor allem davor fürchte, weil man nicht weiß, was im Detail die Eltern gewünscht hätten. Das würde den Eltern deutlich machen, dass sie selbst Verantwortung tragen, auch gegenüber den Kindern. "Ich will nur wissen, was ihr wollt" – das könnte eine Formulierung sein.
  • Wenn man ein herzhaft-direktes Verhältnis zueinander hat, könnte man womöglich auch ausprobieren, was eine Kollegin zu ihren Eltern gesagt hat: "Ich finde das egoistisch von euch, dass ihr alles so laufen lasst!" (Die Eltern haben dann ihr einsam stehendes Haus auf dem Land verkauft und sind in die Stadt gezogen.)
  • Beschämung unbedingt vermeiden. Nicht sagen: "Wie sieht es denn hier aus! Hier müsste dringend mal wieder geputzt werden!" Das weiß die Mutter vermutlich selbst, sie schafft es eben nicht mehr. Oder sie sieht es nicht. So will man nicht auf die eigene Schwäche und Überforderung hingewiesen werden.

3. Wirklich wichtig: die Vorsorgevollmacht

  • Gut wäre natürlich, die Eltern setzen sich gegenseitig oder/und das Kind in einer Vorsorgevollmacht als Bevollmächtigte ein. Dieser Bevollmächtigte darf dann im Falle, dass man seine eigenen Angelegenheiten nicht regeln kann, das Notwendige in die Wege leiten – zum Beispiel mit Ärzten eine Behandlung beschließen oder bei der Pflegeversicherung Leistungen beantragen. In einem zusätzlichen Schriftstück sollte man das "Innenverhältnis" regeln, also aufschreiben, in welcher Weise der Bevollmächtigte agieren soll. Dass er einen zum Beispiel nicht schon bei leichter Pflegebedürftigkeit in ein Heim verlegen lassen soll. Oder dass alle Gelder zur Pflege und zum eigenen Wohl eingesetzt werden sollen.
  • Achtung: Um jemandem eine Vollmacht über Konten zu geben, muss man bei der Bank ein eigenes Formular ausfüllen. Will man dem Bevollmächtigten auch erlauben, im Fall der Fälle die Wohnung zu verkaufen, muss man die Unterschrift öffentlich beglaubigen lassen (das geht auch bei den Betreuungsbehörden der Gemeinde, ohne Notar).
  • Eine Vorsorgevollmacht ist nicht dasselbe wie eine Patientenverfügung! Man kann zusätzlich eine Patientenverfügung aufsetzen. Darin legt man fest, in welche medizinischen Behandlungen man im Fall, dass man seinen Willen nicht selbst äußern kann, einwilligen würde und in welche nicht.
  • Die Eltern zu einer Vollmacht zu bewegen, gar zu einer Patientenverfügung, kann sehr schwierig sein. Manchmal ist es aussichtslos. Eine Pflegeexpertin hat es bei den eigenen Eltern nicht geschafft. Um das Verhältnis nicht zu zerrütten, sprach sie das Thema nicht mehr an. Dann geriet die Mutter in eine lebensbedrohliche Situation, und der Vater durfte nichts gegenüber den Ärzten entscheiden, weil er keine Vollmacht hatte. Tja, sagt die Tochter, so ist das eben: "Jeder erwachsene Mensch hat das Recht, selbst zu entscheiden, was für ihn richtig ist." Auch wenn das manchmal negative Konsequenzen für ihn hat.
  • Infos und Formulare: Sehr gut verständliche Broschüre mit Leitfaden, Erklärungen, Formularen: "Vorsorge für Unfall, Krankheit, Alter", Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), 2015 aktualisiert. Hier herunterladen oder als Papierversion bestellen.

    "Das Vorsorge-Set" der Stiftung Warentest enthält nicht nur Infos und Formulare zur Vorsorgevollmacht, sondern auch zu Patientenverfügung, Testament und Betreuungsverfügung. 2016 aktualisiert, für 12,90 Euro bestellbar hier.

4. Die Eltern mauern – was muss man akzeptieren?

  • Ja, es schmerzt zu sehen, wie die Eltern nicht mehr können. Aber den womöglich schmuddeligen Kokon, in den sie sich eingesponnen haben, sollte man akzeptieren. Es muss nicht alles picobello sein. Die unabhängige Pflegeberaterin und Pflegesachverständige Heike Bohnes aus Aachen hat beobachtet, dass es Angehörigen bei ihren Aktionen (etwa rabiaten Aufräumaktionen oder Heimeinweisungen) oft nicht darum gehe, dass der alte Mensch sich besser fühlt, sondern dass sie selbst sich besser fühlen. "Wir müssen auch einiges aushalten. Zum Beispiel, dass sich die Lebensansprüche mit dem Alter verändern und dass alte Menschen Kompromisse eingehen, auch was Sauberkeit angeht. Das müssen wir akzeptieren."
  • Einzige Ausnahme: Es herrschen derart unhygienische Zustände, dass sich Ungeziefer in der Wohnung ansiedelt oder dass die Person offene Hautwunden hat, und gleichzeitig ist die Person nicht bereit, an einer Veränderung mitzuwirken – dann kriegt man die Versorgung nicht mehr über Besuche vom ambulanten Pflegedienst in den Griff, dann wäre womöglich ein Umzug ins Heim angeraten. Und womöglich auch durchzusetzen – wenn denn Gefahr für Leib und Leben drohen.
  • Und wenn die Alten Verschimmeltes im Kühlschrank haben und finden, das könne man doch gut noch essen? Keep cool, sagt dazu Margot Klein von der Beratungsstelle "Viva" in Mannheim, "die haben im Krieg noch ganz anderes gegessen. Wenn jemand 90 ist und isst was Verschimmeltes, kriegt er halt vielleicht Durchfall, aber was Schlimmeres als den Tod hat er nicht zu befürchten."
  • In manchen Fällen muss man wohl auch die gewisse Einsamkeit von Menschen ertragen – zumindest der Menschen, die schon immer gern alleine oder eigenbrötlerisch gewesen sind. Nur weil man sich selbst vorm Alleinsein fürchtet, muss man nicht einen anderen Menschen zu Geselligkeit zwingen. ("Im Heim hättest du immer jemanden zum Sprechen!")
  • Und wenn wirklich Unterstützung her muss, die Eltern sich aber beratungsresistent zeigen? Dann, so die Pflegesachverständige Heike Bohnes, helfe es oft, jemand Fremdes dazu zu holen, etwa eine Pflegeberaterin. Das klappe, wenn man diesen Besuch mit Fingerspitzengefühl "verkaufe". Das könnte sich etwa so anhören: "Da kommt mal jemand kucken, da gibt es ja Leistungen von der Kasse, in die du schon so lange Beiträge zahlst, das solltest du dir mal anhören." Oft findet eine fremde Person leichter Zugang zu den alten Menschen als deren Kinder.
  • Aber Achtung: Kinder sind manchmal zu früh dran. Sie empfinden eine Situation viel früher als schlimm als die Eltern. Also mauern die Eltern, wollen selbst bestimmen, sind eigensinnig, verwahren sich gegen das übergriffige Verhalten ihrer Kinder. Zu Recht.

5. Sie wollen sich vorbereiten für den Fall der Fälle?

Nicht jeder wird im Alter pflegebedürftig. Aber irgendeine Art von Unterstützung brauchen im hohen Alter fast alle. Man kann das nicht vorab durchplanen, weil man nicht weiß, was eintreten wird (Verwirrung, Schlaganfall, Sturz, allgemeine Schwäche). Aber man kann verschiedene Szenarien durchdenken und ein Gefühl dafür entwickeln: Was würde ich mir wünschen und was nicht? Was wäre möglich und was nicht? Was könnte ich mir außerdem vielleicht vorstellen, wenn ich mehr darüber wüsste?

Umfassende Erstorientierung über wirklich alle relevanten Themen (von Wohnformen über Demenz, Eigenheimübertragung und ausländische Betreuerin bis zur Frage, wann Kinder zahlen müssen) bietet übersichtlich, einladend und bestens lesbar das 130-seitige Sonderheft von Stiftung Warentest mit dem Titel "Spezial Pflege" vom Juni 2015, 8,50 Euro. Zu bestellen hier.

Ein Beispiel für "Szenarien durchdenken": Man könnte sich vorstellen, mit anderen ein Wohnprojekt aufzuziehen? Das sind – zur Miete oder als Eigentum – Häuser oder große Wohnungen, in denen jeder seine eigene Wohnung beziehungsweise sein eigenes Zimmer hat, dazu gibt es Gemeinschaftsräume. Da die Mitbewohner nicht die Pflege übernehmen wollen oder können, gründen manche Wohnprojekte zusätzlich einen Pflegeverein mit angestellten Pflegekräften. Tolles Modell! Aber: Es dauert erfahrungsgemäß drei bis zehn Jahre von der Idee bis zum Einzug ins Wohnprojekt. Also besser früher als später damit loslegen. Infos zum gemeinschaftlichen Wohnen hier: www.fgw-ev.de und www.wohnprojekte-portal.de

Wenn jemand unbedingt zu Hause bleiben will, auf keinen Fall egal wohin ziehen würde, dann muss man klären: Wie ließe sich die Wohnung altersgerecht anpassen? Die staatlichen Zuschüsse wurden 2015 erhöht. Erstberatung bekommt man oft bei der Gemeinde etwa unter dem Stichwort Wohnberatung oder Wohnen im Alter. Buchtipp: "Clever umbauen" von der Verbraucherzentrale. Mit Grundrissen. 2014, 19,90 Euro. Telefonauskunft bei der öffentlichen Bank KfW zur Förderung für altersgerechtes Umbauen: 0800 539 9002 (kostenfrei).

Oder es ist ganz klar: "Dann nehmen wir Mutter zu uns." Auch das sollte vorher durchgedacht werden. Buchtipp: "Pflege zu Hause organisieren. Was Angehörige wissen müssen", Verbraucherzentrale, 9,90 Euro. Inhaltsverzeichnis hier.

6. Der GAU: Krankenhaus. Und jetzt?

Nichts war möglich an Vorbereitung. Jetzt ist die Mutter gestürzt, liegt im Krankenhaus, und die Ärztin sagt: "Übermorgen kommt Ihre Mutter raus." Der Sohn sagt: "Sie kann nicht nach Hause, es kann sich niemand kümmern, wir sind noch nicht so weit." Stress pur.

Früher – bis etwa 2003 – sagten die Krankenhäuser dann: Na gut, das ist eine soziale Indikation, die Mutter bleibt noch da. Doch seit Einführung der fallbezogenen Pauschalen (Diagnosis Related Groups = DRG) ist für jeden Krankheitsfall eine bestimmte Zahl von Krankenhaustagen festgelegt. Bleibt die Patientin länger im Krankenhaus, bekommt das Krankenhaus die zusätzlichen Kosten nicht von den Kassen erstattet.

Seitdem also geraten Angehörige immer wieder in die schreckliche Situation, dass der alte Mensch entlassen wird und keine Versorgung da ist. Die Familien müssen also sehr viel schneller reagieren. Dann geht man ins Internet und fragt dort um Hilfe – und landet bei den entsprechenden Angeboten von Agenturen, die innerhalb weniger Tage die Ankunft einer "24-Stunden-Betreuerin" aus Osteuropa versprechen.

Zwar hat die Politik Krankenhäuser, Ärzte, Rehaeinrichtungen und Krankenkassen bereits 2007 verpflichtet, für eine Anschlussversorgung der Versicherten zu sorgen durch ein richtiges Versorgungsmanagement. Dieser Verpflichtung sind viele Krankenhäuser aber nicht gefolgt. Weswegen sie jetzt mit detaillierten Vorschriften dazu gezwungen werden sollen. Voraussichtlich 2016 klappt das dann.

Das heißt: Auch heute schon hat jeder Patient, jede Patientin Anspruch auf die Klärung der anschließenden Versorgung. Damit das klappt, sollten Angehörige aber frühzeitig selbst tätig werden:

  1. Die Krankenkasse informieren, dass die Versicherte im Krankenhaus liegt, dass man Hilfe braucht anschließend und jetzt schon vorsorglich eine Pflegestufe beantragen möchte.
  2. Im Krankenhaus alsbald den Sozialdienst ansprechen, manchmal heißt der auch Überleitungsdienst, und einen Termin ausmachen.
  3. Hilfreich für die erste Zeit nach dem Krankenhaus sind auch ein paar Wochen "Übergangspflege". Das kann zum Beispiel ein vorübergehender Heimaufenthalt sein, bis die Situation klarer ist. Damit gewinnen Angehörige Zeit.Seit 2016 haben Patientinnen und Patienten, die nicht dauerhaft pflegebedürftig sind, nach einer Krankenhausbehandlung ausdrücklich Anspruch auf Übergangspflege (häusliche Krankenpflege, Haushaltshilfe sowie Kurzzeitpflege) als Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. So steht es im Krankenhausstrukturgesetz. Alle Verbesserungen durch das Zweite Pflegestärkungsgesetz in Kurzform hier.

7. Wann soll ich das alles organisieren?

Seit 2015 kann man sich bis zu 10 Arbeitstage ohne Ankündigung freinehmen, um in einer akuten Situation für eine Angehörige, einen Angehörigen eine Pflege oder Versorgung sicherzustellen. Es ist egal, wie groß oder klein der Betrieb ist. Man bekommt in dieser Zeit Pflegeunterstützungsgeld.

Außerdem kann man bis zu 6 Monate teilweise oder ganz aus dem Job aussteigen, um einen nahen Angehörigen zu pflegen, ohne damit seine Anstellung zu gefährden. Das geht aber nur in Betrieben ab 15 Arbeitnehmern. Und die Fehlzeit wird nicht bezahlt. Dafür kann man ein zinsloses Darlehen aufnehmen. Es gibt auch eine Variante für zwei Jahre. Zusätzlich kann man drei Monate für die Begleitung in der letzten Lebensphase ganz oder teilweise aus dem Job aussteigen. Der "nahe Angehörige" darf seit neuestem übrigens auch der Lebenspartner, die Lebenspartnerin sein. Alles weitere zu diesen Möglichkeiten hier.

8. Wer berät mich?

Nicht nur die Pflegebedürftigen selbst, sondern jetzt auch die pflegenden Angehörigen haben einen Anspruch auf eine umfassende Pflegeberatung. Beratung bekommt man vor allem bei den Pflegestützpunkten sowie bei Beratungsstellen der kirchlichen und freigemeinnützigen Wohlfahrtsverbände und der Kommunen.Wichtig:

  • Man kann auch einen Besuch zu Hause einfordern.
  • Am besten sind BeraterInnen vor Ort – die kennen die verschiedensten örtlichen Angebote am allerbesten (auch Ehrenamtlichennetzwerke zum Beispiel).
  • Man kann bei der Kasse eine Liste der vor Ort sitzenden "unabhängigen" BeraterInnen einfordern. Unter Umständen auch sich an unabhängige Pflegesachverständige wenden (das muss man meist selbst zahlen).
  • Bei Testberatungen, die die Stiftung Warentest 2010 durchführte, zeigte sich: Nur jeder dritte Pflegestützpunkt beriet gut. Selten wurde die Situation des Pflegebedürftigen sorgfältig erfragt. Selten kannten die BeraterInnen Unterstützungsmöglichkeiten vor Ort. Es gibt außerdem einzelne Erfahrungen, dass von der Pflegekasse eingesetzte BeraterInnen zu Lösungen raten, die für die Kasse preiswert sind.
  • Das Gesetz verpflichtet die Pflegeberatung nicht nur dazu, über die Leistungen der Pflegeversicherung aufzuklären. Vielmehr soll die Beratung die individuellen Bedarfe analysieren und, wenn gewünscht, einen individuellen Versorgungsplan erstellen und bei der Umsetzung helfen. Die Beraterin, der Berater soll also richtiggehend Casemangement betreiben und alle möglichen Unterstützungen vernetzen –Ehrenamtliche, Pflegedienst, Wohnungsanpassung, Haushaltshilfe, Schulung für Angehörige, Entlastung für Angehörige usw., usw. Diese Koordinationsleistung erbringen längst nicht alle Pflegeberatungsstellen, oft bleibt es bei der Information über Kassenleistungen, wie die Stiftung Warentest 2010 feststellte. Die Kompetenz und Unabhängigkeit von BeraterInnen scheint sehr unterschiedlich.
  • Online Beratungsadressen suchen: Zentrum für Qualität in der Pflege, eine gemeinnützige Stiftung, gegründet zwar 2009 durch den Verband der Privaten Krankenversicherung e.V., mit Informationen aber auch für gesetzlich Versicherte. Gut: In der Datenbank kann man per Postleitzahl nach Beratungsadressen suchen.
    Eventuell wird man auch hier, beim Bundesverband unabhängiger Pflegesachverständiger und PflegeberaterInnen e. V., fündig.

9. Wie viel Unterstützung ist überhaupt nötig?

"Ihre Mutter kann nicht mehr alleine leben!" Wenn das jemand im Krankenhaus zu Ihnen sagt, bedenken Sie: Das Krankenhaus kennt Ihre Mutter nur in der Situation absoluter Geschwächtheit. Darauf weist Margot Klein von der Beratungsstelle "Viva" in Mannheim hin. Wer etwa einen Oberschenkelhalsbruch hatte, muss sehr lang üben, wieder zu gehen. Wie ein Kind. Aber die Leute haben die Motivation dazu. Man muss als Angehöriger ihre Langsamkeit aushalten. Muss im Alter irgendwas schnell gehen?

Probieren Sie, auch wenn Sie sich dazu zwingen müssen, ein paar Tage bei Ihren Eltern zu Hause zu sein und möglichst nur zu schauen. Sich der eigenen Werthaltungen bewusst werden (Wie schnell muss meiner Meinung was gehen, wie leicht, wie präzise…?) Erst durch dieses Hinschauen, so Margot Klein, bekomme man eine genaue Vorstellung davon, wo die Angehörige wirklich Unterstützung braucht. Dosierte Unterstützung, nennt Klein das. Es sollen nur jene Arbeitsschritte übernommen werden, die der Betreffende nicht mehr selbst durchführen kann: "Die Menschen brauchen einerseits Hilfe, aber sie müssen auch wieder ihre eigenen Kräfte wahrnehmen können – und dann auch, was sie nicht so gut können." Das ist nämlich ein anstrengender innerer Weg: selbst zu sagen, was man nicht so gut kann.

10. Wer zahlt das?

Die Pflegeversicherung deckt nur einen Teil der Pflegekosten ab. Einen ersten Eindruck vom sogenannten "Eigenbeitrag" liefert der Pflegelückenrechner. Man kann voreinstellen: häusliche Pflege, Tagespflege oder Pflegeheim.

Der "Pflegeleistungs-Helfer", ein interaktiver Fragenkatalog auf der Seite des Bundesgesundheitsministeriums zeigt – passend für die eigene Situation – alle möglichen Leistungen und vor allem deren Kombination. Denkbar wäre ja auch eine Kombination aus "Pflegedienst morgens und abends" und dazwischen "Tagespflege" (mit Abholung zu Hause, meist auch Bettlägeriger; dieses Angebot gibt es allerdings noch nicht flächendeckend).

Was tun, wenn Heim oder Pflege mehr kosten, als man zahlen kann? Auf dieser Seite können Sie eine hochinformative Broschüre der Verbraucherzentrale kostenlos herunterladen.

Wann müssen Kinder für ihre Eltern zahlen? Hier gibt es Beispielrechnungen, bis zu welchem Betrag Kinder herangezogen werden können. Ausführlich wird das Thema Elternunterhalt – Kinder haften für ihre Eltern in einem Buch der Verbraucherzentrale behandelt, es erscheint im März 2016, Autoren sind Günther Dingeldein, und Martin Wahlers, 14,90 Euro.

11. Sonstige Hilfen – kostenlos oder gegen Geld

  • Besuchsdienste gegen Einsamkeit: Fast jeder Mensch möchte Kontakt. Ob man nun zu Hause lebt oder im Heim. Und es gibt erstaunlich viele ehrenamtliche Besuchsdienste! Geben Sie mal im Internet als Suchworte den Namen Ihres Ortes und das Wort Besuchsdienst ein. Na?
  • Wohnen für Hilfe: Eine Studentin, einen Studenten bei sich aufnehmen. Pflegeleistungen sind ausgeschlossen (etwa zur Toilette begleiten, Stützstrümpfe anziehen). Aber Einkaufen, Gartenarbeit, Staubsaugen, Haustier versorgen, Wäsche aufhängen usw. – das alles ist möglich. In einem Vertrag legt man vorab alles gemeinsam fest. Üblich sind Absprachen wie: Pro Quadratmeter überlassenem Wohnraum wird eine Stunde Hilfe im Monat geleistet. Infos: www.wohnenfuerhilfe.info
  • Bezahlte Nachbarschaftshilfe – meist für Haushaltstätigkeiten, Arztbegleitung etc.. Kostet häufig etwas mehr als den Mindestlohn, ist aber preiswerter als Haushaltsdienstleistungen über den Pflegedienst. Interessanter ist es auch, denn man lernt Menschen aus der direkten Nachbarschaft kennen. Solche Nachbarschaftshilfenetze gibt es in vielen Städten, aber man muss ein bisschen herumfragen für, zum Beispiel bei Diakonie, Caritas, Stadtverwaltung, Pflegestützpunkt etc.
  • Haushaltshilfen finden: Neues öffentliches (also nichtkommerzielles) Portal, auf dem man auch eine Suchanzeige aufgeben kann: www.haushaltsjob-boerse.de
  • Ein Hausnotruf für Zeiten, in denen niemand da sein kann, sorgt für Sicherheit. Das funktioniert so: Man hat ein Band mit Knopf ums Handgelenk; in Notsituationen (Sturz im Bad etwa) drückt man auf den Knopf und alarmiert damit die Notrufzentrale. Die wiederum ruft die eigentliche Kontaktperson an (etwa den Sohn) oder schickt einen Profihelfer vorbei. Die Stiftung Warentest hat diverse Anbieter getestet. Pluspunkte bekamen Anbieter zum Beispiel, wenn die Notrufzentrale in Kontakt blieb, bis die Hilfe vor Ort eingetroffen ist. Oder wenn der Technische Dienst bei der Einrichtung auch wirklich prüfte, ob von allen Winkeln der Wohnung aus das Funksignal des Notrufknopfs funktionierte. Nur 3 der 12 geprüften Anbieter bekamen ein "Gut". Hier kann der Test von 2011 kostenlos heruntergeladen werden.

12. Hier bekommen Angehörige Hilfe

  • Pflegende Angehörige geraten oft an ihre Grenzen. Sie können einfach nicht mehr. Ja, das wissen sie, sie sollten auch für sich selbst sorgen – aber wie soll das denn gehen? Eine psychologische Online-Beratung sowie einen Belastungs-Selbsttest und einen Notfallkoffer gibt es hier: www.pflegen-und-leben.de
  • Ein sortiertes Selbsthilfe-Forum für pflegende Angehörige gibt es hier: www.pflegendeangehoerige.info
  • Ein Krisentelefon (wenn man befürchtet, demnächst auszurasten, oder wenn man bereits aggressiv geworden ist) findet man hier: http://pflege-gewalt.de/
  • Wie helfe ich jemandem aus dem Bett oder geleite ihn sicher durch die Wohnung? Für den DAK-Pflegecoach braucht man zwar rund fünf Minuten, um sich zu orientieren, aber dann findet man richtig gute Sachen, klasse sind die "Pflegevideos", die es zu mehreren Kapiteln gib: https://dak-pflegecoach.de/
  • Angehörige von Demenzerkrankten kommen oft nicht aus dem Haus. Tolles Angebot: Online-Schulung für Angehörige von Demenzkranken. Man trifft sich zehn Mal per Videochat mit der Seminarleiterin und maximal 6 weiteren Angehörigen. Technisch soll das auch für Computerlaien machbar sein: www.demenz-anders-sehen.de, dann Menüpunkt "Mitmachen".
  • Demenz-Sorgentelefon der Diakonie Hamburg, offen für Anrufe aus dem ganzen Bundesgebiet: montags bis freitags von 9 bis 12 Uhr erreichbar unter 040/30 620-349.
  • Und auch mal hier vorbeischauen, bei "Wir pflegen", der Interessenvertretung für pflegende Angehörige.
  • Untereinander austauschen können sich pflegende Angehörige unter anderem auch in diesem Forum: http://elternpflege-forum.de
  • Es gibt an vielen Orten ehrenamtliche (aber geschulte) "Pflegebegleiter". Sie unterstützen und entlasten pflegende Angehörige durch Gespräche, sind auch ansprechbar für alle Fragen im Zusammenhang mit der Pflege. Oder in die Suchmaschine eingeben: Ihren Ort und das Wort Pflegebegleiter oder Pflegebegleitung.

13. "24h-Betreuung": ausländische Betreuerinnen

Will man eine (meist osteuropäische) Betreuungskraft in den Haushalt des Pflegebedürftigen holen, sollte man mehrere Dinge bedenken und beachten:

  • Die Frauen sind seltenst ausgebildete Pflegerinnen. In Einzelfällen haben sie von ihrer Entsendeagentur einen Erste-Hilfe-Kurs bekommen, mehr aber auch nicht. Die allermeisten haben halt eigene Kinder großgezogen, oder sie haben bei der Pflege der Großeltern zugeschaut. Vor allem im Umgang mit Demenzerkrankten sind die meisten so ahnungslos wie die Angehörigen auch. Sie versuchen, sich im Internet schlau zu machen.
  • Für die Betreuerinnen gelten die deutschen Arbeitsschutzbestimmungen. Sie haben Anspruch auf Freizeit. Zum Beispiel einen ganzen Tag und zwei halbe Tage in der Woche. Eine dauernde Tag- und Nachtbereitschaft ist nicht legal.
  • Es ist unverantwortlich, die Betreuerin mit der pflegebedürftigen Person alleine zu lassen. Das ist eine Überforderung – und auch nicht gut für die betreute Person. Denn man weiß nicht, was die Betreuerin bei Verzweiflung durch Totalüberlastung tut. Entlastung muss organisiert werden: Angehörige übernehmen stunden- oder tageweise selbst die Betreuung, der Pflegedienst kommt täglich, an manchen Tagen ist die betreute Person aushäusig in der Tagespflege.
  • Bei Demenz stößt die häusliche Betreuung schnell an Grenzen. Demenzerkrankte sind oft besser aufgehoben (und froher) in einer Pflege-Wohngruppe.
  • Mehr zu den rechtlichen Details steht in der chrismon-Geschichte "Dann holen wir uns eben eine Polin".

14. Eine Betreuerin anstellen – fair und korrekt

Eine Betreuerin selbst anzustellen, ist die derzeit einzige rechtlich wirklich sichere und faire Variante. Diese drei Vermittlungsstellen sind chrismon bekannt:

FairCare: Das in der chrismon-Geschichte "Dann hol ich mir eben eine Polin" (Februar 2016) vorgestellte Projekt der Diakonie in Württemberg sucht Betreuerinnen auch für Haushalte in anderen Bundesländern. Empfehlenswert ist diese Variante: Zwei Betreuungskräfte wechseln sich alle zwei Monate ab. Sie teilen sich sozusagen eine Stelle, springen füreinander ein. Ihren Urlaub bekommen sie ausbezahlt. So entstehen keine Versorgungslücken. Kontakt: Frau Darchiashvili, Telefon 0711/23941-37, Mo–Fr, 8–16 Uhr.

CariFair: Entstanden bei der Caritas des Erzbistums Paderborn/ NRW. Mittlerweile werden aber auch Polinnen in andere Bundesländer vermittelt. Die Betreuungskräfte werden nur bei Patienten eingesetzt, die von einer Sozialstation begleitet werden. Damit soll auch der Schutz des Pflegebedürftigen sichergestellt werden. Noch nicht überall gelöst ist das Problem der Urlaubsvertretung, eventuell will man einen Springerinnen-Pool einrichten. Kontakt: Frau Menebröcker, Telefon 05251/209-257.

Bei beiden Projekten zahlt der Haushalt auch einen Betrag für Vermittlung und Abwicklung der Gehaltsabrechnung. Insgesamt an die 2300 Euro. (Der tatsächliche Eigenbeitrag ist niedriger, da man das Pflegegeld dafür einsetzen kann und auch Steuern erlassen bekommt.)

ZAV: Kostenlos ist die Vermittlung einer Haushalts- und Betreuungskraft durch die ZAV (= Zentrale Auslands- und Fachvermittlung der Bundesagentur). Die ZAV vermittelt die Betreuerin an den Haushalt, aber wickelt nicht alles Weitere ab. Es wird empfohlen, für die Lohnabrechnung einen Steuerberater zu engagieren (kostet etwa 20 Euro im Monat). Da die Menschen aus den neuen osteuropäischen EU-Mitgliedsländern keine Arbeitsgenehmigung mehr brauchen, vermittelt die ZAV heute ehrenamtlich. Ein ausführliches Merkblatt sowie Telefonnummer und aktuelle Gehaltstabelle finden sich hier.

In allen drei Fällen (FairCare, CariFair und ZAV) orientiert sich der Lohn am Tarifvertrag, den die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) (= Arbeitnehmerseite) mit dem Hausfrauenbund (= Arbeitgeberseite) abgeschlossen hat.

Außerdem gibt es noch die Variante, dass die Betreuerin bei einem deutschen (!) Pflegedienst angestellt ist. Etwa die ökumenische Stiftung Innovation & Pflege, ebenfalls in chrismon 2/2016 vorgestellt. Die Stiftung beschäftigt Menschen, die in Deutschland leben. Die Frauen sind bei Innovation & Pflege angestellt, sie werden fortgebildet, sie arbeiten jeweils zwei Wochen im Haushalt eines Pflegebedürftigen und sind dann zwei Wochen bei sich zu Hause. Eine Sozialstation muss jeweils beteiligt sein, auch zwecks Anleitung der Betreuerin. Die Stiftung sitzt in Sindelfingen bei Stuttgart, versorgt mittlerweile aber auch PatientInnen anderswo in Deutschland. Kostenbeispiele hier. Tel. 07031/72400-10

Umfassend informiert diese Broschüre der Verbraucherzentrale über alle Möglichkeiten und alle Fallstricke. Auf Papier zu bestellen unter www.vz-ratgeber.de.

15. Eine Betreuerin via Agentur – bessere und schlechtere unterscheiden

Lassen wir mal dahingestellt, in welchem Ausmaß die Agenturmodelle (entsandte Betreuerin, Vermittlung einer "selbstständigen" Betreuerin etc.,) legal sind – woran kann man bessere und schlechtere Agenturen erkennen? Folgende Merkmale können Zeichen einer gewissen Seriosität sein:

  • Die Agentur sagt an prominenter Stelle auf ihrer Homepage, dass die Betreuerinnen natürlich nicht 24 Stunden am Tag arbeiten. Sondern dass sie – mit Ausnahme von Notfällen – nur 40 Stunden in der Woche arbeiten
  • Die Agentur sagt klipp und klar, dass die Betreuerinnen freie Tage haben (mindestens einen ganzen freien Tag in der Woche, also frei vom einen Morgen bis zum anderen Morgen! Mindestens!)
  • Die Agentur sendet auf Verlangen einen Muster-Dienstvertrag zu. Es sollte kein Maulkorb-Erlass drinstehen, wonach man der Betreuerin nicht sagen darf, was man an die Agentur zahlt. Oder man sollte ihn durchstreichen können.
  • Im Dienstvertrag sollten arbeitsfreie Zeiten festgelegt sein und Urlaub.
  • Der Vorabfragebogen sollte nicht nur die Hilfebedarfe des Pflegebedürftigen abfragen, sondern auch nach seinen Vorlieben und Interessen fragen und danach, wer sich sonst noch kümmert. Welche Freizeitmöglichkeiten die Betreuerin wahrnehmen kann, wie gut erreichbar die nächstgrößere Stadt ist usw.
  • Es sollte kontinuierlich eine Ansprechperson geben, es sollten mehrfache Hausbesuche zugesichert sein.
  • Man erhält auf Nachfrage nähere Informationen zu dem ausländischen Dienstleister, der die Betreuerin entsendet. Wie heißt dieser Dienstleister, wo sitzt er, was ist sein Geschäft – und was verdient die Betreuerin am Ende netto? Das sollte der deutsche Vermittler wissen.
  • Angebote für unter 2000 Euro können nicht legal sein. Dann bekommt die Betreuerin nicht mal den Mindestlohn (oder wird nur für eine schöngerechnete kurze Arbeitszeit bezahlt).
  • Dass eine Agentur eine Vertragsstrafe verlangt, wenn man innerhalb eines gewissen Zeitraums nach Beendigung des Vertrags die Betreuerin selbst einstellt, ist nicht per se ungesetzlich. Es kommt auf die Angemessenheit an. Zwei Jahre lang die Person nicht selbst einstellen zu dürfen, könnte einem Gericht unangemessen lang vorkommen. 10.000 Euro Vertragsstrafe sind ganz sicher unangemessen, aber auch 5000 Euro könnten zu viel sein.

Der Tipp einer Pflegeberaterin: Wenn man in Panik die erstbeste Agentur genommen hat und unzufrieden ist: Wechseln! Oder wenigstens mit Kündigung drohen, falls man nicht eine bessere Betreuerin bekommt. Das klappe erstaunlich oft.

16. Wie geht man fair mit der Betreuerin um?

"Eine Polin für Oma", so heißt das Buch der ARD-Reporterin Ingeborg Haffert über den Pflegenotstand in deutschen Familien (Econ Verlag 2014). Haffert hat mit unzähligen deutschen Familien und osteuropäischen Betreuerinnen gesprochen. Am Ende des Buchs formuliert sie ein paar Regeln für einen fairen Umgang mit den Betreuerinnen. Die sind so hilfreich, dass sie hier gekürzt wiedergegeben seien:

  • Tagein, tagaus, von früh bis spät mit einem Pflegebedürftigen zusammen zu sein, für ihn verantwortlich zu sein und seinen Wünschen unterworfen, das sei, so schreibt Haffert, eigentlich niemandem zuzumuten und auch von niemandem zu leisten. Angehörige müssten deshalb so viel Ausgleich wie möglich für die Betreuerin schaffen. Dass die Betreuerin sonntags in den Gottesdienst darf und dann noch ein wenig spazieren gehen darf – worauf viele Familien geradezu stolz sind – ist viel zu wenig, um sich zu erholen von diesem immens belastenden Job.
  • Unabdingbar: ein eigenes, abschließbares Zimmer, mit Tageslicht, mindestens 10 Quadratmeter groß und bitte wohnlich eingerichtet und nicht mit den abgenutzten Jugendmöbeln der ausgezogenen Kinder bestückt.
  • Eigener Internetanschluss im Zimmer der Betreuerin und eigenes Telefon mit Flatrate. Die Frauen leben hier völlig isoliert - Skype, Telefon, Internet sind ihre Verbindungen zur Welt.
  • Man möge sich einfach mal vorstellen, man selbst käme in einem fremden Land als Pflegekraft an: Was würde man sich wünschen, was würde einem gut tun, was zum Wohlbefinden beitragen? Wer sich diese Fragen ehrlich beantwortet, kann im Grunde nichts falsch machen, sagt Ingeborg Haffert.
  • Deutsche Familien wissen oft nicht, was die Frauen wirklich verdienen. Ein vertrauliches Gespräch über ihren wahren Lohn sollte man nicht scheuen, denn nur so könne man feststellen, ob die Agentur, mit der sie zusammenarbeiten, seriös ist.
  • Der Betreuerin nicht die Schmutzwäsche anderer Familienangehörigen aufladen oder sie nötigen, noch weitere Wohnungen zu putzen. Doch, das kommt vor. Manche Familien behandeln die osteuropäische Betreuerin wie eine Leibeigene.
  • Am besten im gemeinsamen Gespräch zu Beginn ausführlich und verbindlich verabreden, welche Arbeiten die Frau erledigen soll. Wichtig: den Frauen einen gewissen Spielraum einräumen, die Pflege und Versorgung auf ihre persönliche Art zu organisieren. Das hat was mit Würde und Autonomie zu tun.
  • Die Frauen sollten Arbeitszeiten und Tätigkeiten vor allem zu Beginn möglichst jeden Tag genau dokumentieren. Wie eine Art Pflegetagebuch. Darin auch notieren, welche Dinge geklärt werden müssen, was ihnen auffällt etc.
  • Einen Deutschkurs spendieren!
  • Sich auch selbst um Verständigung bemühen - zum Beispiel mit einem Volkshochschulkurs oder dem Buch "Rumänisch-Deutsch für die Pflege zu Hause" (2016, 19,99 Euro)
  • Ob "Sie" oder "Du", es muss gegenseitig sein. Wenn man sich in Polen besser kennt, kombiniert man "Frau" plus Vornamen – Frau Maria.
  • Angehörige sollten sich so oft wie möglich mit den Betreuerinnen austauschen und sie ehrlich nach ihrem Befinden fragen. Nicht nur danach, wie es dem Vater/der Mutter geht. Am besten die Betreuerin hat einen festen Ansprechpartner in der Familie. Das ist wichtig, da sie eh schon in einem kompliziertem Beziehungsgeflecht lebt, bestehend aus Pflegebedürftigem, Angehörigen, Vermittlungsagentur, Hausärztin, Pflegedienst, eigener Familie in Polen.
  • Wenn es der Platz zulässt, den Frauen anbieten, auch mal ihre Familienmitglieder als Besuch zu haben. Und: Kontakte zu anderen Pflegekräften fördern.
  • Und wenn der pflegebedürftige Angehörige gestorben ist – bitte der Betreuerin die Tage bis zur Beerdigung bezahlen! Sie in den Trauerprozess einbeziehen – gemeinsam gedenken, gemeinsam die Beerdigungsfeier organisieren. Ja, und in der Traueranzeige darf und soll auch der Name der Betreuerin erscheinen!

17. Quellen für Hochinteressierte

  • Evaluation des Projekts „Heraus aus der Grauzone“ (= polnische Betreuerinnen vermittelt von der Caritas im Erzbistum Paderborn“), erschienen September 2014:
  • Sieben Thesen zur Monetarisierung des Ehrenamts von Prof. Thomas Klie (April 2015):
  • Barmer GEK Pflegereport 2015 (erschienen November 2015) mit Schwerpunkt Pflegen zuhause:
  • Pflegestatistik (Statistisches Bundesamt), veröffentlich März 2015 mit den Zahlen von 2013. Erscheint alle zwei Jahre. Download hier.
  • Vergleich des Pflegesystems in Skandinavien mit dem deutschen familienbasierten System, von Cornelia Heintze für die Friedrich-Ebert-Stiftung, April 2015:
  • "Arbeitsort Privathaushalt: eine arbeitsschutzfreie Zone?“ Die Rechtwissenschaftlerin Marta Böning erläutert, warum das deutsche Arbeitszeitgesetz für Präsenz-Betreuerinnen gilt, obwohl §18 Arbeitszeitgesetz eine Ausnahme zu machen scheint. Kenntnisreiche Analyse in WSI-Mitteilungen 4/2015, Seiten 309–312, als ebook für 9,99 Euro hier zu erstehen.
Die Kommentarfunktion ist nur noch für registrierte Nutzer verfügbar. Um einen Leserkommentar schreiben zu können, schließen Sie bitte ein Abo ab, schreiben Sie uns eine Mail an leserpost@chrismon.de oder diskutieren Sie auf Instagram, Facebook und LinkedIn mit.
Permalink

Sehr geehrte Frau Holch,

Ihr sehr guter Artikel hat mir als Ärztin ausder Seele gesprochen !
Endlich wird einmal davon gesprochen ,daß Alte und Kranke nicht per se
eine 24 Stunden - Betreuung beanspruchen können und das auf Kosten
von pflegenden Frauen aus anderen Ländern oder der Familienfrauen.
Jeder Mensch sollte dazu aufgerufen werden sein Alter genau so sorgfältig
zu planen wie Ausbildung und Beruf. Dazu gehört sich rechtzeitig eine
passende ,schwellenfreieWohnmöglichkeit zu schaffen , sich ein kleines modernes
Fahrzeug zuzulegen oder sein Domizil an öffentlichen Verkehrsmitteln zu
suchen und sich möglichst gesund zu erhalten. Viel wichtiger aber ist sich ein haltbares soziales Netz durch
EIGENEN , sozialen Einsatz rechtzeitig zu schaffen.,d. H. in der Familie oder Nachbarschaft
nach der Berufstätigkeit auf Kinder aufpassen , für Ältere und Kranke Einkäufe zu
erledigen,sich in Vereinen , in der Kirche sozial zu betätigen. Dann kommt die geleistete
Hilfe im Idealfall zurück. Zudem muss auch der Ältere lernen sich seinen Alltag so lange wie möglich
allein zu gestalten, das heißt von Männern und Frauen müssen sämttliche häuslichen
und sonstigen Kulturtechniken bis zur Rente perfekt erlernt werden .Waschen, Bügeln ,
Kochen, Putzen, Einkaufen , Bank-und Postgeschäfte erledigen,PC Kenntnisseerwerben, kleine Reparaturen
selbst machen ,eine zuverlässige Handwerkerliste anlegen etc.Zudem sollten brachliegende
Kenntnisse im musikalischen , musischen ,sportlichen Bereich aktiviert und möglichst in Gruppen
oder Vereinen ausgeübt werden. Im häuslichen Bereich gibt es interessanteRadio-und Fernsehprogramme,
CDs , DVDs, Spiele, Hörbücher Telefonfreundschaften,so daß auch alte und leichter Kranke NICHT RUND UM
DIE UHR unterhalten werden müssen ,aiuf Kosten der pflegenden Person.
DIESE RUNDUMVERSORGUNGSMENTALITÄT DARF SICH ÜBERHAUPT
ALS FERNZIEL nicht in den Köpfen festsetzen ,denn sie ist in den allermeisten
Fällen absolut unnötig. Natürlich sind Schwerstkranke , Demente , Gelähmte von
dieser Betrachtung ausgenommen.Menschen ,die nach der Rente das Leben NUR
auf Reisen und zum Vergnügen genossen haben und die Gesellschaft mit ihren Sorgen
und Problemen allein gelassen haben ,können nicht plötzlich im Alter von Anderen eine
Rundumversorgung erwarten ,die in moderne Sklaverei ausartet.
Ihre Zeitschrift ist mit das Beste an der evangelischen Kirche!

Weiter so !
Freundliche Grüße Ihre Dr. med. Helga Becker.