Claudio Verbano
Pendo geht zur Schule
Zwanzig Kilometer hin, zwanzig zurück. Jeden Tag. Das zehnjährige Massai-Mädchen möchte einmal Lehrerin werden. Oder Krankenschwester.
27.01.2020

Aufstehen im Dunkeln. Frühmorgens zieht Pendo die Schuluniform an und macht sich auf den Weg

Wenn sie ihre Hütte verlässt und zur Schule aufbricht, ist es stockdunkel: morgens um vier. Aber Pendo spürt, wo sie ihre Füße hinsetzen muss, während sie ihr Dorf hinter sich lässt. Erst allmählich heben sich die scharfen Konturen der Akazienbäume vom Himmel ab. Lange Schatten begleiten Pendo; Stunden vergehen, die Sonne steigt, die Schatten werden kürzer. Und die Geräusche der Tiere vielfältiger: Zebras, Büffel, Elefanten, manchmal auch Hyänen. Die Emboreet-Grundschule liegt im nördlichen Tansania, ganz in der Nähe des Tarangire-Nationalparks, vier Stunden Fußmarsch von ihrem Heimatdorf entfernt. Pendo ist zehn Jahre alt.

Pendos Familie besitzt eine Rinderherde

Wie viele Massai in Ostafrika leben, lässt sich nicht ­sicher sagen, vielleicht eine halbe Million, es können aber auch deutlich weniger oder mehr sein. Viele leben noch ­traditionell als Rinderhirten, manche haben erkannt, dass ihr unverwechselbares, stolzes Auftreten, ihre bunten Stoffe, ihre Lehmdörfer eine interessante Kulisse für die Besucher der Nationalparks sind. Massai-Frauen verkaufen Schmuck am Straßenrand, Analphabetismus ist verbreitet.

Pendos Eltern sind Rinderhirten. Sie leben in einem ­Boma, einer Hütte aus getrocknetem Kuhdung, Lehm und einzelnen Holzpfosten. Pendo teilt sich mit ihrer jüngeren Schwester ein selbst gezimmertes Bett aus Holz, das mit Kuhhaut bedeckt ist. Der kleine Bruder schläft im ­Zimmer der Mutter. Ständig brennt ein kleines Feuer, das die ­Moskitos fernhält und abends für Wärme sorgt. Tagsüber wird darauf gekocht.

Je näher Pendo der Schule kommt, desto mehr Kinder schließen sich ihr an

Viele Massai-Familien lassen nur das erstgeborene Kind die Schule besuchen, normalerweise den erstgeborenen Jungen. Pendos Eltern ist es wichtig, dass ihre Tochter zur Schule geht.

Nur an Schultagen zieht sie das weiße Hemd und den Pullover der Schuluniform über. Auf dem Schulweg trifft Pendo viele andere Kinder aus den umliegenden Dörfern. Zwischen acht und neun erreicht sie die Emboreet Grundschule – trotz des Staubes noch immer in weißen Socken.

Mittags bekommen die Kinder ein Essen, das zwei Freiwillige zubereiten

Pendo liebt die Schule. Obwohl sie im Unterricht oft müde ist. Ihre besten Fächer: Swahili (Tansanias Amtssprache) und Geschichte.

Die Grundschule hat mehr als 600 Schülerinnen und Schüler. Die Lehrer kommen oft von weit her und schlafen im Lehrerhaus. Ein paar Freiwillige aus der Umgebung kochen mittags, während die Schüler spielen.

Pendo nutzt diese Zeit meist, um zu ­lernen. Denn wenn sie abends zu Hause ankommt, muss sie ihrer Mutter im Haushalt helfen, das wird von ihr auch nach einem Schultag erwartet.

Wenn Pendo groß ist, möchte sie Lehrerin werden - oder Krankenschwester.

Auf dem Heimweg sammelt Pendo Feuerholz, dann kocht sie mit ihrer Mutter das Abendessen