Am Freitag zogen Gewitter über Deutschland, räumten die Hitzewelle, die Mitte Mai übers Land gekommen war, erst einmal ab. Das Tief "Emmelinde" hatte gefährliche Zutaten im Gepäck - feuchtheiße Luftmassen einerseits; Winde, die aus unterschiedlichen Richtungen kommen, andererseits. Es sind die Voraussetzungen für Tornados, die ganze Straßenzüge in Lippstadt und Paderborn verwüstet haben. Es gab Schwerverletzte.
Nils Husmann
Heute ist das Land in eine neue Woche gestartet. Sicher, übers Wetter reden die Menschen immer gern, aber die verstörenden Bilder aus Ostwestfalen, wo mancherorts Schulen und Kitas weiterhin geschlossen sind, weil die Gebäude beschädigt sind, bleiben folgenlos. Versendet, gesehen, vergessen?
Ich kann verstehen, dass wir alle überfordert sind. Corona macht zwar gefühlt gerade Pause, aber die Pandemie hat uns zwei Jahre lang unsere Ohnmacht vor Augen geführt, wie es nun auch der russische Überfall auf die Ukraine macht. Wir kommen nicht zur Ruhe, sind der schlechten Nachrichten überdrüssig.
Ein Foto aber geht mir seit Freitag nicht mehr aus dem Kopf. Es ist der Turm der katholischen Traukirche St. Clemens zu Hellinghausen, das zu Lippstadt gehört. Er ist weg. Ja, Bilder haben eine große Macht, auf ihnen wirkt es so, als sei der ganze Turm umgeweht, es hat aber - wenn man alte Aufnahmen betrachtet - "nur" ein Turmdach getroffen. Dennoch: Wir leben in einer Zeit, in der Wetterextreme so kraftvoll werden können, dass sie in Sekunden zerlegen können, was für Jahre gedacht war. Dazu die verstörenden Fotos von Bäumen, die einfach zerfetzt worden sind. Und mittendrin die Trümmer des Turmdaches. Ich empfinde das Foto als eine Art allerletzte Warnung.
Ja, Tornados sind auch früher schon vorgekommen bei uns, aber niemand hat sie auf dem Smartphone gefilmt, weswegen die Bedrohung nun unmittelbarer wirkt. Und ja, es ist nicht seriös, jedes einzelne Wetterereignis auf die menschengemachte Erderwärmung zurückzuführen. Niemand kann sagen: "Der Turm in Hellinghausen ist weggeweht, weil wir im Jahr zuvor zu viel Kohle verfeuert haben." Aber sehr wohl lässt sich sagen: Weil die Menschheit seit Jahrhunderten Kohle, Öl und Gas verfeuert, CO2-Speicher wie Wälder gerodet und eine intensive Land- und Viehwirtschaft mit hohen Methanemissionen betrieben hat, ist das Risiko für extreme Wetterereignisse weltweit gestiegen. Die Atmosphäre erhitzt sich schneller, die Folgen sind gut dokumentiert. Auch kein Gotteshaus ist vor dieser Entwicklung sicher.
Raus aus der Ohnmacht: mit erneuerbaren Energien
Also ab in die nächste Ohnmacht? Nein! Gegen Extremereignisse wie Tornados können wir uns schützen, weil Fachleute klar benennen können, wann sie drohen. So war es auch in der vergangenen Woche. Wo genau sie zuschlagen, weiß man erst Minuten vorher. Aber wir müssen uns an ein Wetter gewöhnen, in dem eine große Feier, die draußen stattfinden soll, kurzfristig abgesagt werden muss - weil eine gefährliche Wetterlage droht. Das ist schlicht verantwortungsbewusst und kein Grund, sich über Alarmismus lustig zu machen, wenn es nicht so schlimm kommt wie befürchtet. Wir alle werden lernen müssen, das Wetter besser zu lesen. Sirenen, die in die Jahre gekommen sind, müssen dringend flottgemacht, Warnungen über Smartphones verbessert werden. Wir müssen uns, so traurig es auch ist, an die Klimakrise anpassen - und stabiler bauen.
Und wir müssen endlich aufhören, immer noch mehr Treibhausgase in die Atmosphäre zu pusten. Und, gut gegen Ohnmacht: Wir haben die Mittel dazu, indem wir radikal auf Wind- und Sonnenenergie setzen. Das macht uns auch unabhängiger von Energieexporten aus Russland und anderen Staaten. Strom aus Wind und Sonne wird lokal erzeugt, das Geld stärkt ganze Regionen, im Hunsrück ist all das seit Jahren zu beobachten.
Atomkraft übrigens wird uns nicht retten. Schon im Frühjahr mussten französische Atommeiler vom Netz gehen. Es mangelt an Kühlwasser - weil es zu heiß und zu trocken ist.