chrismon: Herr Ernst, was fehlt Ihnen am geplanten Lieferkettengesetz?
Christoph Ernst: Es ist richtig, über die Produktionsbedingungen zu diskutieren: Was verdient die Kaffeebäuerin in Kolumbien? Wie giftig ist die Herstellung eines Billig-T-Shirts in Bangladesch? Doch viele vergessen, dass alle Produkte auch transportiert werden müssen, auch der Kakao aus fairem Anbau.
Christoph Ernst
Der dann mit einem Schiff nach Deutschland kommt.
Genau. Mittlerweile gibt es Schiffe, die können mehr als 10 000 40-Fuß-Container transportieren. So viel, wie auf 200 Güterzüge passen. Trotz dieser Riesenmenge arbeiten auf so einem Schiff in der Regel nur 20 bis 25 Leute. Die sind im wahrsten Sinne des Wortes unsichtbar.
Warum sind Sie der Initiative Lieferkettengesetz beigetreten?
Rund 1,5 Millionen Seeleute leben und arbeiten auf Handelsschiffen. In der Diskussion um fairen Handel und das Lieferkettengesetz wurden sie vergessen.
Stimmt es, dass es Schiffe gibt, auf denen Seeleute bis zu 91 Stunden pro Woche arbeiten?
Das gibt es, und das ist ein großes Problem, nicht zuletzt mit Blick auf die Sicherheit am Arbeitsplatz. Trotzdem plädiere ich dafür, die Diskussion auch aus der Sicht der Seeleute zu führen. Was machen Sie als Seemann mit einem freien Tag pro Woche, wenn Sie nicht vom Schiff gehen können, weil die Reise von Südamerika nach Europa zwei Wochen dauert? Da arbeiten Sie lieber durch und hoffen bei nächster Gelegenheit auf Landgang.
Kämpfen Sie für höhere Löhne auf den Schiffen?
Wir wollen uns nicht in die Tarifautonomie einmischen, obwohl wir natürlich der Meinung sind, dass die Mehrheit der Seeleute nach unseren deutschen Standards unterbezahlt ist. Ich möchte auch kein Reederbashing betreiben. Viele, gerade deutsche Reeder sind sich ihrer sozialen Verantwortung bewusst. Beim Lieferkettengesetz geht es jetzt jedoch zunächst darum, dass Politiker, Sozialpartner und nicht zuletzt die Öffentlichkeit die Seeleute in der Diskussion überhaupt wahrnehmen.
Wieso reden wir erst jetzt, seitdem Kreuzfahrtschiffe in Häfen mit der ganzen Besatzung stranden, über die oft schlimmen Arbeitsbedingungen auf See?
Die Öffentlichkeit interessiert sich zwar jetzt erst für das Thema, aber wir von der Seemannsmission kümmern uns schon seit über 100 Jahren genau darum. Wie in vielen Bereichen hat die Corona-Pandemie auch hier noch einmal deutlich gemacht, was global nicht funktioniert.
Die Deutsche Seemannsmission ist eine evangelische Seelsorge- und Sozialeinrichtung für Seeleute. Sie betreibt mit ihren Mitgliedsvereinen 32 Stationen im In- und Ausland, in denen über 700 haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter tätig sind. Vorläufer des gemeinnützigen Vereins wurden schon Mitte des 19. Jahrhunderts auch auf Initiative von Johann Hinrich Wichern gegründet.