Im Dezember 1909 brachte der ungarische Dramatiker Ferenc Molnár "Liliom" in Budapest zur Uraufführung. Es ist die Geschichte eines Rummelplatzausrufers, der nicht weiß, wie er seine Familie ernähren soll. Er begeht einen Überfall, aber die Polizei erwischt ihn. Verzweifelt rammt er sich ein Messer in die Brust. Selbstmord. Nach 16 Jahren Buße darf er für einen Tag auf die Erde zurückkehren, um seiner Familie etwas Gutes zu tun. Seine Tochter Marie ist inzwischen fast erwachsen. Liliom erzählt der jungen Frau alles über ihre Herkunft. Maries Mutter wirft ihn hinaus. Vor Wut schlägt Liliom seiner Tochter auf die Hand. Aber Marie verspürt keinen Schmerz. Das Premierenpublikum, das damals lieber Heile-Welt-Stücke sehen wollte, war irritiert von so viel Einsamkeit und Hilflosigkeit. Aber an "You'll never walk alone" denkt 1909 noch niemand.
Das ändert sich im April 1945, am Broadway, als die Produzenten und Komponisten Richard Rodgers und Oscar Hammerstein den Stoff als Musical "Carousel" in der New Yorker Traumfabrik aufführen - zwei Jahre lang vor ausverkauftem Haus. "You'll never walk alone" erklingt zwei Mal. Nach dem Selbstmord Lilioms (der am Broadway Billy heißt) und im hoffnungsschwangeren Finale mit der kitschigen Botschaft: Alles wird gut! Der Erfolg ermutigte Rodgers und Hammerstein dazu, 1956 eine Kinoversion zu riskieren. Wenig erfolgreich zwar, aber "You'll never walk alone" interessierte nun immer mehr Musiker, die sich an dem Musicalstück versuchten.
Wie das Lied zurück nach Europa kam
So kam das Lied zurück nach Europa. 1963 interpretierten Gerry and the Pacemakers - mit dem Leadsänger Gerry Marsden, ein Konkurrent der Beatles - "You'll never walk alone" so gelungen, dass es auf den ersten Platz der britischen Charts schnellte. Erst dadurch ging der Song seine ewige Liaison mit dem Fußball ein: An der Anfield Road, der Heimstatt des FC Liverpool, ertönte damals vor dem Spiel der jeweilige Nummer-eins-Song aus der Hitparade. Bis dahin hatten die europäischen Fußballfans die Spiele ziemlich stumm verfolgt. Aber die Bilder der feiernden Südamerikaner, die während der Weltmeisterschaft 1962 in Chile über die Fernsehgeräte geflimmert waren, hatten die Lust am Singen geweckt. "You'll never walk alone" verfing sich, weil es den Kern des Spiels beschreibt: Nie aufgeben, wir stehen zu euch! Man kann es auch mit Psalm 23 sagen: "Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir."
Eine Katastrophe machte den Song berühmt
Bis heute ertönt das Lied in der Fassung von Gerry and the Pacemakers an der Anfield Road. Sogar in das Wappen der Liverpooler hat es der Titel geschafft. Aus tragischem Anlass. 1989 starben bei der Katastrophe von Hillsborough fast 100 Fans, viele kamen aus Liverpool. Beim Pokalfinale dirigierte Gerry Marsden die Zuschauer in Wembley zu "You'll never walk alone" - als Trauerchor. Das Lied hatte endgültig seinen Kultstatus erreicht.
Auch in Madrid haben es die Fans aus Liverpool nun wieder gesungen. Diesmal aber stieg es aus purer Freude und Begeisterung der Änhänger des FC in den Nachthimmel.